Zehn Jahre nach Oscar Cullmanns Tod: Rückblick und Ausblick. Группа авторов
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![Zehn Jahre nach Oscar Cullmanns Tod: Rückblick und Ausblick - Группа авторов Zehn Jahre nach Oscar Cullmanns Tod: Rückblick und Ausblick - Группа авторов Basler und Berner Studien zur historischen Theologie (BBSHT)](/cover_pre940232.jpg)
Als drittes ökumenisches Projekt sei hier lediglich erwähnt das Konzept für Chamonix post mortem. Cullmann hatte sich vorgestellt, dass die Villa Alsatia in Chamonix eine Stätte des wissenschaftlichen Austausches, der ökumenischen Studien und des gemeinsamen Lebens werden könnte.110
Überblickt man die zwei letzten Projekte, fällt der Leitgedanke einer ökumenischen Lebens- und Arbeitsgemeinschaft auf. Für dieses Motiv dürften die Erfahrungen im Thomasstift und im Theologischen Alumneum prägend gewesen sein.
V. Zugang über Werke: Das Gebet im Neuen Testament
Neben der Korrespondenz nimmt die Kategorie der «Manuskripte» den Löwenanteil des Nachlasses ein. Aus dieser ursprünglich pragmatisch angelegten, breiten Kategorie wurden während der Sichtung des Materials ein Bereich umgeordnet: Die Korrespondenzen aus Cullmanns Feder, also Briefe, Brieffragmente, Briefentwürfe, Abschriften oder Kopien, wurden in einer eigenen Kategorie der Korrespondenz zusammengefasst. Cullmann legte selbst ein Dossier mit Konzilsakten an, das zahlreiche Manuskripte enthält und das geschlossen in die Kategorie «Zweites Vatikanisches Konzil» einging. Ob eine weitere Differenzierung notwendig sein wird, muss die Benutzung des Archivs zeigen. Jedenfalls sind die Quellen in der gegenwärtigen Ordnung problemlos greifbar.
Die Kategorie der «Manuskripte» ist reich ausgestattet und umfasst eine Vielfalt von Quellengattungen. Ich nenne drei Beispiele zur Illustration: In einem Entwurf aus den Jahren 1938/1939 notiert Cullmann seine Einschätzungen der Entwicklung der Theologischen Fakultät in Basel. Nachdem vertriebene oder geflohene Kollegen aus Hitlerdeutschland aufgenommen worden seien, spiele die Theologische Fakultät eine internationale Rolle. Es ist nicht klar, in welchem Zusammenhang der Bericht steht, ob es sich um einen Vortrag oder um eine Stellungnahme handelt.111 1979 hielt Cullmann eine Laudatio für Willem Visser ’t Hooft aus Anlass der Würdigung durch die Fondation Boegner in Genf.112 Aus dem gleichen Jahr sind Notizen zur |36| Auseinandersetzung mit Hans Küng vorhanden. Cullmann war der Auffassung, Küng stelle Rom unbillige Bedingungen für den Dialog.113
Ein grosser Anteil der handschriftlichen und maschinengeschriebenen Manuskripte entfällt auf die Vorlesungen und auf unveröffentlichte oder später veröffentlichte Publikationen. An den Vorlesungen lässt sich Cullmanns Vorgehen in der Lehre nachvollziehen. Meistens beliess er den Grundstock einer Vorlesung, bearbeitete diesen aber im Verlauf der Jahre und benutzte Teile auch für andere Veranstaltungen. Die Ordnung der einzelnen Manuskripte, die Karlfried Froehlich vornahm, war nicht einfach, weil einzelne Teile manchmal weit verstreut waren.
Bei den Publikationen ist oft die Genese von den ersten Manuskripten zu einem Thema in Vorlesungen oder Vorträgen bis zur Drucklegung erkennbar. Als Beispiel nenne ich Cullmanns letzte grosse Arbeit zum Gebet im Neuen Testament, die 1994 auf Deutsch und 1995 in französischer, englischer und italienischer Übersetzung sowie 1997 auf Deutsch in zweiter Auflage erschienen ist.114 Schon aus der ersten Hälfte der 1970er Jahre gibt es einen Aufriss für eine mögliche Arbeit über das Gebet sowie Notizen mit einem Zeitplan für die Abfassung eines Vortrags oder eines Artikels.115 In Tantur wurde für die Jahre 1978 bis 1981 das Gebet als Studienthema festgelegt.116 Aus dieser Zeit zeugen mehrere Manuskripte, die das Gebet bei Paulus und das Gebet im Johannesevangelium behandeln, von einer intensiven Arbeit am Thema.117 Die Manuskripte stehen im Zusammenhang mit Vorträgen, die Cullmann in Athen, Tantur und bei den Waldensern in Rom gehalten hatte. Aus dieser Beschäftigung gingen dann auch entsprechende |37| Publikationen hervor.118 Aus den folgenden Jahren sind zahlreiche Materialien mit Vorbereitungen für das Buch zum Gebet vorhanden. Mehrere Blöcke und lose Blätter aus den Jahren 1985 bis 1994 enthalten Exzerpte, Konzepte und Entwürfe, die anschaulich Cullmanns Arbeitsweise zeigen.119 Verschiedene Widmungsentwürfe, die Cullmann offenbar vor dem Eintrag in die Geschenkexemplare präzis vorbereitet hatte, zeigen seine weitläufigen persönlichen Beziehungen. So sind beispielsweise die Widmungen an Papst Johannes Paul II. und an Josef Kardinal Ratzinger vorhanden. Neben Notizen und Bemerkungen liegen Angaben für die Buchanzeigen oder das Vorwort für die zweite Auflage in den Dossiers.120 Eine Liste aus dem Jahr 1995 mit ungefähr 100 Personen nennt die frankophonen Empfänger der französischen Ausgabe.121 So überrascht eigentlich nicht, dass es auch weitere Materialien mit Ergänzungen, Korrekturen, Literaturhinweisen, Fotokopien von Aufsätzen, Briefen für die Überarbeitung der weiteren Auflagen gibt.122
Das ganze Konvolut gibt Einblick in die beharrliche Vorgehensweise und zeigt eindrücklich die intensive Auseinandersetzung des betagten Wissenschaftlers mit dem Thema und der einschlägigen Literatur. Für die thematische Behandlung des Gebets wären ausserdem Vortragsmanuskripte zum Vaterunser in französischer und deutscher Fassung aus den 1930er und 1940er Jahren sowie die Gebete aus den bereits erwähnten Andachten beizuziehen.123 Cullmann hat seine Monographien über lange Zeiträume vorbereitet. Und er hat mit seinen Veröffentlichungen das Gespräch gesucht. Die Zustellung |38| seiner Bücher an einen weiten Kreis von Kollegen und Freunden verdankt sich nicht einfach der Eitelkeit des Wissenschaftlers, über die er im Übrigen gut Bescheid wusste,124 sondern dem angestrebten Dialog.
VI. Fazit
Überblickt man den Nachlass Cullmanns, so rücken mit Sicherheit die bekannten, grossen Themen ins Blickfeld, die auch in Zukunft wichtige Bereiche der vertiefenden Erforschung bleiben sollten: die Rolle Cullmanns während des Konzils, das Konzept der Einheit durch Vielfalt, der neutestamentliche Exeget und Theologe oder das Konzept einer biblischen Heilsgeschichte. Daneben aber tauchen weitere Themenbereiche auf, die mit der besonderen Signatur des Nachlasses zu tun haben, in der sich letztlich die Persönlichkeit Cullmanns – wenn auch gebrochen – spiegelt. Ich nenne abschliessend drei Elemente, die dem Nachlass seine spezifische Kontur verleihen:
(1) Der Nachlass ist gekennzeichnet durch Vielsprachigkeit. Cullmann verfasste Buchmanuskripte in Französisch und Deutsch, schrieb Vorträge zuweilen auch in Englisch und trug ausserdem in Italienisch vor. Cullmann lebte in verschiedenen Kulturen. In Strassburg und Basel unterrichtete er, später lehrte er ausser in Basel auch in Paris und Rom und war schliesslich Gastprofessor in den USA, in Deutschland und als Emeritus auch in Jerusalem. Zu Recht wurde Cullmann «ein Mittler zwischen verschiedenen Kulturen» genannt.125
(2) Mit dieser interkulturellen Prägung hängt die weltweite Vernetzung mit Kollegen, Geistlichen und weiteren Persönlichkeiten aus Universität, Kirche und Gesellschaft sowie mit Freunden und Schülern zusammen. Diesen Umstand dokumentiert die ausgreifende Korrespondenz, aber auch die Art, wie sich Cullmann als Wissenschaftler selbst verstand. Er strebte das Gespräch an und war auch nicht abgeneigt, einen polemischen Disput zu führen, wo er es für notwendig hielt. Das zeigen auch die vielfältigen Reaktionen und Rezensionen, die den Publikationen beschieden waren.
(3) Cullmann dachte über die eigene Fachdisziplin hinaus. Selbstverständlich verstand er sich als Neutestamentler, ging in seinen wissenschaftlichen Bemühungen immer wieder von der Exegese der biblischen Texte aus, schlug dann aber den Bogen über die Kirchengeschichte weiter zur systematischen |39| Theologie. Damit hängt auch zusammen, dass er über die eigene Konfession hinausblicken und die Vertreter der römischen Kirche respektieren konnte, was wiederum auf die interkulturelle