Chimära mensura?. Группа авторов

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die ich als Eingangsthese postuliert habe. Durch die Eigenlogik der Tierwelt, durch Kontaktsuche, den Fortpflanzungstrieb oder auch die Verweigerung in der Langeweile waren der Verstaatlichung als Form biopolitischer Totalkontrolle Grenzen gesetzt. Diese Grenzen wirkten nicht nur im MenschTier Verhältnis, sondern auch im Verhältnis der Menschen untereinander, wie der Verweis auf die Bewachungslücken zeigt. Hier wird die zentrale Bedeutung der Human-animal Studies für die neuere Totalitarismusforschung klar, denn sie kann den Nachweis einer tierischen Eigenlogik, vielleicht sogar eines „Eigensinns“ im Sinne von Alf Lüdtke, die Grenzen des Totalen aufzeigen.35 Gerade im Sinnbild des DDR-Totalitarismus, den Grenzanlagen an der Mauer, zeigt sich diese Unmöglichkeit völliger Kontrolle über Tier und Mensch. Die Natur verlangt ihr Recht und widersetzt sich mit Wachstum, Fortpflanzung und Vermehrung dem zivilisatorischen Prinzip der Grenze, das durch Klarheit, Abgrenzung und Statik gekennzeichnet ist. Ein Beispiel für diesen Widerspruch ist nicht nur die paradoxe Dialektik der Grenzhunde, sondern auch der hilflose Versuch der DDR-Grenztruppen, die Anlagen vor Schädigungen durch Wildtiere zu schützen. Bei dem sogenannten ‚militärischen Wildabschuss‘ entlang der Grenze kam es regelmäßig zur regelrechten Orgien der Gewalt – Massentötungen von Rehen, Hasen, Dachsen und anderen Spezies, die in den menschenleeren Grenzräumen Zuflucht vor der industriellen Zersiedelung der Landschaft gesucht hatten. Die gewaltsamen Ausmerzungsbemühungen der NVA blieben jedoch eine Sisyphusarbeit: Immer neu regenerierten sich die Wildbestände im Grenzraum, heute ist der „eiserne Vorhang“ in vielen Regionen als Grüngürtel und Naturschutzgebiet erhalten – die Kontrolle der Natur schlug um in ihr Gegenteil.36 Die Hundegrenze der DDR blieb, wie wir wissen, nicht ewig – im Jahr 1990 wurde sie aufgelöst, die über 5000 Hunde in überwiegend westdeutsche Pflegefamilien gegeben. Gerade die Laufleinenhunde enttäuschten allerdings jene, die auf einen „scharfen Hund“ gehofft hatten durch ihre häufig ängstliche und menschenscheue Natur.37

       Die Hunde des Bundesgrenzschutz der BRD

      Weiterhin aktuell ist dagegen die Geschichte der Schäferhunde des Bundesgrenzschutzes, die sich bis heute in den Hundestaffeln der Bundespolizei fortsetzt – laut Polizeiangaben werden dort noch immer insgesamt 500 Diensthunde eingesetzt.38 Überwiegend, aber nicht ausschließlich handelt es sich um Deutsche Schäferhunde.39 Die Tiere werden in ihrer Mehrzahl als Drogensuchhunde, Sprengstoffsuchhunde oder Leichensuchhunde, aber auch als Wach- und Fasshunde zur Ergreifung Flüchtiger eingesetzt. Während die ersten Drogensuchhunde erst 1972 eingeführt wurden, haben die Wach- und Fasshunde eine längere Tradition, die in komplementärem Gegensatz zu den DDR Grenzhunden steht. Denn die Bundespolizei entstand 1951 als „Bundesgrenzschutz“, der vor allem an der innerdeutschen Grenze tätig war. Sie stand in der Nachfolge des im NS etablierten „Zollgrenzschutz“ von 1937.40 Die NS-Kontinuität, die für die DDR durch den Einsatz in KZs und sowjetischen Speziallagern bis hin zum Grenzschutz gegeben ist, kann auch für die Bundespolizei vermutet werden. Bisher ist es mir zwar nicht gelungen, durch Stammrollenvergleiche oder Lieferscheine von Zuchtbetrieben eine direkte Kontinuität der Zuchtlinie nachzuweisen. Trotz fehlender Quellenlage ist jedoch klar, dass durch die institutionelle NS-Kontinuität der Repressionsorgane in DDR und BRD eine Kontinuität zumindest in der Form ihrer Hundenutzung gegeben ist, in jener spezifischen Form von Mensch-Tier-Verhältnis, die ich als „Verstaatlichung des deutschen Schäferhundes“ bezeichnet habe. Die Hunde, als quasi abgeleitete Staatsorgane, mussten somit die staatliche Trennung Deutschlands durchsetzen und durchleiden. Um es konkret zu machen: Von den 34 getöteten Schäferhunden im Grenzbereich zwischen 1961 und 1989, die ich nachweisen konnte, starben neun in den Reihen des BGS, vier weitere im Dienst der Westberliner Schutzpolizei. Die häufigste Todesursache war Stacheldraht, wie im Fall des zitierten Schutzhundes „Rex“ aus Berlin, der sich am 14. August 1961 in den provisorischen Stacheldrahtrollen, dem Vorgänger der Mauer, verfing und von Ost-Berliner Grenztruppen erschossen wurde. Aus Berlin sind zwei weitere Fälle bekannt, bei einem Berliner Schäferhund ist die Todesursache im Jahr 1987 unklar. Meine These ist, dass mit der Professionalisierung der Grenzanlagen die Todesfälle abnahmen, weil die westdeutschen Hunde nach der Errichtung von geschlossen Betonsperren, der klassischen „Mauer“, gar nicht mehr in die eigentlichen Grenzanlagen vordrangen. Sie wurden nun hauptsächlich als Suchhunde an den Übergängen eingesetzt.41 Anders dagegen die Hunde der Berliner NVA-Grenztruppen: Hier gab es immer wieder Zwischenfälle und Verletzungen an Stacheldrahtanlagen, in zwei Fällen aus den Jahren 1964 und 1977 auch Todesfälle durch „friendly fire“ aus den Gewehren verunsicherter Mauerschützen, jeweils nachts oder bei schlechter Sicht.42 Auch an der innerdeutschen Grenze außerhalb Berlins gab es ähnliche Verluste durch Auslösung von Selbstschussanlagen. Betroffen waren hier vor allem freilaufende Hunde. Die Zahlen sind hier unklar, die Gesamttodeszahl von 13 toten Hunden West und 21 toten Hunden Ost bezieht sich nur auf die mir bekannten, aktenkundigen Fälle – es ist sicherlich von einer weit höheren Dunkelziffer auszugehen. Insbesondere die Laufleinenhunde der NVA wurden in zynischer Manier als entbehrlich und nicht zählenswert behandelt. Hier muss es hunderte weitere tote Hunde gegeben haben, über die wir nichts wissen.43 Im BGS, der deutlich weniger Tiere, diese jedoch gezielter einsetzte, ist dagegen eine geringere Dunkelziffer an toten Hunden zu vermuten. Hunde des BGS kamen an der innerdeutschen Grenze nur zweimal durch Schüsse von NVA Grenztruppen ums Leben – 1962 und 1981.44 In der Regel wurden Zwischenfälle solcher Art, der ja im Ernstfall diplomatische Konsequenzen bis hin zu einem dritten Weltkrieg gehabt hätte, durch strikte Einhaltung des Leinenzwangs vermieden.45 Nicht nur zur Vermeidung diplomatischer Zwischenfälle oder gar des Anscheins einer Aggression wurde der Leinenzwang für Diensthunde durch den BGS strikt eingehalten. Es galt zudem, der Bevölkerung für den in den 1950er Jahren auch in westdeutschen Städten und Landgemeinden zunehmend eingeführten Leinenzwang ein Vorbild zu sein.46 Wichtiger jedoch: Die Tatsache, dass Republikflüchtlinge im Westen grundsätzlich willkommen waren und als Beweis für die Überlegenheit des Westens galten, machte den Einsatz scharfer Hunde faktisch unnötig. Die defensive Rolle der BGS-Hunde änderte sich jedoch in den 1990er Jahren, als die innerdeutsche Grenze fiel. Während die Mehrzahl der NVA-Hunde in den Ruhestand versetzt wurde, rückte der Bundesgrenzschutz nun nach Osten und nahm die Schäferhunde mit. An der deutsch polnischen Grenze wurden ihn nun ganz neue Aufgaben übertragen und sollten aggressiv gegen Flüchtlinge und „Schleuser“ vorgehen.

       Fazit und Ausblick

      Als Ausblick stehen meiner Ansicht nach zwei Konsequenzen im Raum. Erstens muss die Geschichte des Mensch-Tier Verhältnisses an der innerdeutschen Grenze weiter aufgearbeitet werden und im Falle der Grenzhunde, ob nun Schäferhunde oder andere, erinnerungspolitisch thematisiert werden. In diesem Sinne wären die mindestens 34 an der Mauer getöteten Hunde in die Planungen des Berliner „Einheits- und Freiheitsdenkmals“ mit einzubeziehen und symbolisch zu würdigen. Ob dies über eine gesonderte Namenstafel oder über eine eher metaphorisch-künstlerische Form geschieht, wäre zu diskutieren. Denkbar ist beispielsweise die Integration einer symbolischen Stahlleine in Erinnerung an die Laufleinen der NVA, gleichzeitig Anspielung auf die Metapher der Ankettung innerhalb des SED-Staates im Allgemeinen. Eine zweite, vielleicht utopischere Forderung wäre im Sinne der „animal liberation“ das Ende der Projektion von menschlicher Staatsgewalt durch Hundekörper. Insbesondere alle auf Verletzung und Ergreifung von Menschen dressierten Wach- und Fasshunde müssen entlassen und in ein ziviles Leben resozialisiert werden. Es kann schlicht nicht sein, dass 25 Jahre nach dem Fall der Mauer und 100 Jahre nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges der Deutsche Schäferhund ungebrochen Träger und gleichzeitig Opfer eines Gewaltverhältnisses ist, vor dem die Mehrheit der Bevölkerung ihre Augen verschließt.

      _______________

      1 Der Vorgang ist dokumentiert in: Bundesarchiv, Abteilung Militärarchiv (Freiburg), Kommando der Grenztruppen, Stellvertreter des Chefs der Grenztruppen und Chef Technik und Bewaffnung, BArch GT, DVH 321124

      2 „Hitler hatte das größte Vergnügen, wenn Blondi wieder ein paar Zentimeter höher springen konnte [...], und er behauptete, die Beschäftigung mit seinem Hund sei seine beste

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