Harras - der feindliche Freund. Winfried Thamm

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Harras - der feindliche Freund - Winfried Thamm

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habe und dass vieles viel relativer und subjektiver ist, als ich als junger „Linksalternativer“ (oder „Alternativlinker“?) zu erkennen fähig war. Jetzt habe ich die Zeit, darüber nachzudenken und komme doch nicht dazu, weil mich die Geschichte mit Harras nicht in Ruhe lässt. Harras hat mich verraten. Die Kränkung sitzt tief. Er herrscht immer noch über mich, meine Gedanken und meine Zeit. Und das passiert mir als Referent für Zeitmanagement. Ich trainiere angehende und ausübende Manager darauf, ihre Zeit effizient einzusetzen. Ich lasse sie Zeittabellen und Prioritätenlisten erstellen, bringe sie dazu, Blockzeiten durchzusetzen und Time-out-Planungen vorzunehmen. Ich sage ihnen, dass sie zeithart und zielorientiert sein müssen, denn das ist das Wichtigste und teuerste, was sie haben, die Zeit. Sie dürfen nicht geliebt werden wollen, sondern müssen Leistung bringen, effizient sein. Für die Streicheleinheiten sind die Betriebsräte und die Vertrauensleute zuständig oder vielleicht ihre teuer bezahlten Therapeuten. Dafür verdienen sie ja auch genug.

      Kapitel 4

      11. Juli 2001

      Jetzt noch einmal etwas zu Harras und mir:

      Wir lernten uns auf dem Gymnasium kennen. Als er das zweite Mal sitzen blieb, kam er in meine Klasse, die Obersekunda, so hieß das damals. Zuerst fand er mich nur interessant, weil ich mit den „richtigen“ Leuten zusammen war. Es waren die, die Bier tranken, kifften, feierten, Unterricht schwänzten, gegen die Lehrer revoltierten, auf Demos gingen und sich wehrten. Das Politische war ihm immer gleichgültig gewesen, im Unterschied zu mir, aber das Aufmüpfige, das Unangepasste und das Ausgeflippte hatte ihm gefallen. Er machte auch die damalige Mode der langen Haare und der Che-Guevara-Parka nicht mit, wurde aber deswegen seltsamerweise von keinem kritisiert oder ausgeschlossen. Mein politisches Bewusstsein war damals eher von erzählter Kommunistenromantik über Karl Liebknecht, Rosa Luxemburg, Sacco und Vanzetti, Ernesto Cardinal, Che Guevara und von einem allgemeinen Gerechtigkeitsgefühl geprägt als von fundiertem Wissen über Marx, Engels und dem dialektischen Materialismus als Kritik am kapitalistischen System und von der Musik dieser Zeit natürlich, von Bob Dylan, Donovan, Joan Baez, den Stones und Beatles, Zappa und Pink Floyd und den Liedermachern mit ihrem naiven Sendungsbewusstsein. Es war für mich ein zeitgeistiges Phänomen aus Philosophie, antibürgerlichem Widerstand, sozialem Engagement und Hippiegefühl. Politisch gesehen war ich eher ein Mitläufer. Harras und mich verbanden die Gemeinsamkeit der philosophischen Gedankenexperimente, das Verlangen, anders zu sein und ..., nun ja: das Bier. Und uns verband unsere gemeinsame Faszination an unseren Unterschiedlichkeiten: Er war ein Spieler, Schach und Poker, so selbstsicher, so arrogant, so kühl, so egoistisch, so belesen, so gescheit, so distanziert, so sprachgewandt, so chaotisch und so entwaffnend ehrlich. Und die Frauen liefen ihm nach. Mir nicht. Ich bemühte mich um sie, verliebte mich andauernd, ohne anzukommen, hing unerfüllten Lieben nach, traute mich nicht und wenn, dann ohne Selbstvertrauen. Ich wollte keinem Menschen wehtun, am wenigsten mir selbst, war hilfsbereit und geduldig, suchte Sicherheit und Anerkennung in Gruppen. Doch das war es nicht, was er an mir mochte. Denn das war nur Grund für ihn, sich besser zu fühlen. Doch ich konnte die Lieder von Dylan, Donovan und Cohen mit so einer Inbrunst spielen, als hätte ich sie selbst geschrieben. Ich war ziemlich fit auf dem Klavier und konnte bei zufälligen Treffen von Musikern, und die gab es damals reihenweise auf Feten, mit ihnen improvisieren. In meiner Jugend hingen überall Gitarren herum, nicht selten gab es in Kneipen oder bei Freunden zu Hause auch Klaviere. Ich konnte durch die Musik viel von mir geben. Meine Philosophie, mag sie auch noch so naiv gewesen sein, war sichtbar oder hörbar in Liedern und Tönen. Ich konnte weinen am Klavier und schreien in meinen Liedern. Harras hatte überhaupt keine Ahnung von Musik. Da bekam er glänzende Augen, da bewunderte er mich.

      Kapitel 5

      Mitte August 2000

      Zurück zum Fest:

      Die fast erwachsenen Kinder der Gastgeber machten auf der Geburtstagsfete den Service.

      „Jan bringst du uns bitte zwei große Pils.“

      „Du scheinst die Leute hier gut zu kennen“, bemerkte Harras und sein aufmerksamer Blick wanderte über die Gäste.

      „Geht so. Ich bin froh, mir endlich die Namen der Kinder von Bernhard und Benno gemerkt zu haben. Was treibt dich hier hin und was machst du eigentlich? Wie geht es dir denn überhaupt?“ Ich wollte gleich alles auf einmal wissen.

      Harras bremste mich aus:

      „Erstens, die Neugier, zweitens, mal dies mal das, drittens, ich kann nicht klagen. Aber bitte, nicht weiter so in diesem Interviewstil. Lass uns von früher reden. Heute ist mir nach Weißt-du-noch-damals-Geschichten, okay?!“

      „Kein Problem.“ Ich hatte schon verstanden. Mit ihm konnte ich nicht so, wie mit einigen anderen, die ich lange nicht gesehen hatte, da anknüpfen, wo wir jetzt stehen. Es brauchte die Vergangenheit, nur die Vergangenheit, erst einmal.

      Das Bier kam. Wir prosteten uns zu, grinsten beide unbeholfen und tranken.

      Pause.

      Schweigen.

      Ich schaute auf ein Plakat an der Wand, er auf den vollen Aschenbecher.

      „Du warst der Erste mit einem Auto in der Klasse“, begann ich unsicher.

      „Ja, das war echt wichtig. Mein altes blaues Baby, dieser Kadett B“, biss er an.

      „Weißt du noch, als wir damals nachts zum Baggersee nach Kirchhellen gefahren sind?“

      Oh, Mann, wenn er darauf nicht anspringt, muss ich gehen.

      „Ja, das war geil. Ich bin gefahren, du hast gelenkt, ich hab mit Hugo, der auf dem Rücksitz saß, Schach gespielt, und wir waren alle blau. Und Anna war noch dabei. Die zeterte so rum, wegen Unfallgefahr und so.“ Er grinste breit.

      „Es war stockdunkel am Baggersee. Wir haben uns die Arme, Beine und die Gesichter an den Büschen blutig gekratzt und sahen aus wie die Kannibalen. Und dann sind wir mitten in der Nacht schwimmen gegangen, nackt im Baggersee. Das war schon wahnsinnig, das hatte was“, spann ich den Faden weiter.

      „Ja, und du hast dich erst noch geniert, dich auszuziehen, weil Anna dabei war. Mein Gott warst du verklemmt. Bist du immer noch so katholisch?“

      „Nee, lass mal, das hat sich gelegt.“

      Wir bestellten frisches Bier, es kam auch prompt.

      Wir tranken.

      „Und weißt du noch, wie wir die Kiste Bier in diese Studentenkneipe reingeschmuggelt haben? Wie hieß der Laden noch?“ machte ich weiter.

      „Tu nicht so, als wüsstest du den Namen nicht mehr. Das URS war’s, am Wasserturm in Huttrop. Und geschmuggelt war auch übertrieben. Wir haben einfach deinen alten Che-Parka drübergelegt, sind am Türsteher vorbei und haben den ganzen Tisch freigehalten. Das war nicht schlecht.“

      Wieder dieses schiefe Grinsen.

      Wir tranken.

      „Dann hast du immer im Auto so tierisch laut und extrem falsch gesungen. Mein Gott war das schrecklich. Und als ich dir dann sagte, du solltest endlich mal aufhören mit dem Geheule, hast du eine Vollbremsung gemacht, dass ich mir in den alten Gurten – Automatik: Nein danke – fast das Schlüsselbein ramponiert hätte und hast mich aus dem Auto geworfen. Du warst früher schon ein exzentrischer Vogel.“

      „Das hattest du auch verdient, das war meine kleine

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