Königliche Hoheit. Thomas Mann

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Königliche Hoheit - Thomas Mann

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brachte Mama mit drolligen Redewendungen zum Lachen, so daß sich die wundervollen kleinen Gruben in ihren weichen Wangen bildeten. Aber es war ein Lachen voll Kunst und Gnade, und sie sah in den Spiegel dabei, als übte sie sich.

      Einiges slawisches Blut floß in ihren Adern, wie man sagte, und daher hatten ihre tiefblauen Augen einen so süßen Glanz, wie die Nacht ihres duftenden Haares so schwarz. Klaus Heinrich war ihr ähnlich, hörte er sagen, insofern auch er stahlblaue Augen zu dunkeln Haaren hatte, während Albrecht und Ditlind blond waren, wie Papa gewesen war, bevor er ergraute. Aber er war weit entfernt, schön zu sein, seiner breiten Wangenknochen und vor allem seiner linken Hand wegen, die Mama ihn anhielt, auf geschickte Art zu verbergen, in der Seitentasche seiner Jacke, auf dem Rücken oder vorn in der Brust – ihn anhielt, gerade dann, wenn er aus zärtlichem Antriebe sie mit beiden Armen umschlingen wollte. Ihr Blick war kalt, wenn sie ihn aufforderte, auf seine Hand zu achten.

      Er sah sie wie auf dem Bild im Marmorsaal: in schillernder Seidenrobe mit Spitzenbehang und hohen Handschuhen, die unter den gepufften Ärmeln nur einen Streifen ihres elfenbeinfarbenen Oberarmes sehen ließen, ein Diadem in der Nacht ihres Haares, hoch aufgerichtet die herrliche Gestalt, ein Lächeln kühler Vollkommenheit um die wunderbar herben Lippen – und hinter ihr schlug ein Pfau mit metallisch blinkendem Hals sein hoffärtiges Rad. So weich war ihr Gesicht, aber die Schönheit machte es streng, und man konnte wohl sehen, daß auch ihr Herz streng war und auf nichts als ihre Schönheit bedacht. Sie schlief viel am Tage, wenn Ball oder Cercle bevorstand, und aß nur Eidotter, um sich nicht zu beschweren. Dann strahlte sie abends an Papas Arm auf der vorgeschriebenen Bahn durch die Säle – graue Würdenträger erröteten, wenn sie ihrer Ansprache teilhaftig wurden, und der »Eilbote« schrieb, daß Ihre Königliche Hoheit nicht nur nach ihrem erhabenen Rang die Königin des Festes gewesen sei. Ja, sie wirkte Glück, indem sie sich zeigte, bei Hofe sowohl wie draußen in den Straßen oder nachmittags im Stadtgarten, zu Pferd oder zu Wagen – und die Wangen der Leute färbten sich höher. Blumen und Lebehochs und alle Herzen flogen ihr zu, und die »Hoch« riefen, meinten sich selbst damit, wie man deutlich sah, und riefen freudig aus, daß sie selbst hochlebten und an hohe Dinge glaubten in diesem Augenblick. Aber Klaus Heinrich wußte wohl, daß Mama lange, sorgfältige Stunden an ihrer Schönheit gearbeitet hatte, daß ihr Lächeln und Grüßen voller Übung und Absicht war und daß ihr eigenes Herz nicht hochschlug, keineswegs, für nichts und für niemanden.

      Liebte sie irgendwen, zum Beispiel ihn selbst, Klaus Heinrich, der ihr doch ähnlich war? Ach, doch, das tat sie wohl dennoch, soweit sie Zeit dazu hatte, und dann selbst, wenn sie ihn mit kühlen Worten an seine Hand erinnerte. Aber es schien, daß sie Ausdruck und Zeichen ihrer Zärtlichkeit für solche Gelegenheiten sparte, wo Zuschauer zugegen waren, die sich daran erbauen konnten. Klaus Heinrich und Ditlind kamen nicht oft mit ihrer Mutter in Berührung, zumal sie nicht, wie seit einiger Zeit Albrecht, der Thronfolger, an der elterlichen Tafel teilnahmen, sondern mit Madame aus der Schweiz gesondert speisten; und wenn sie, was einmal die Woche geschah, in Mamas Wohnräume zu Besuch berufen wurden, so verlief solch Beisammensein ohne Gefühlswallungen unter gelassenen Fragen und artigen Antworten, während es sich im ganzen darum handelte, wie man auf ansprechende Art mit einer Teetasse voll Milch in einem Fauteuil säße. Aber bei den Konzerten, die jeden zweiten Donnerstag unter dem Namen »Donnerstage der Großherzogin« im Marmorsaal stattfanden und so angeordnet waren, daß die Hofgesellschaft an kleinen Tischen mit goldenen Beinen und roten Sammetdecken saß, während der Kammersänger Schramm vom Hoftheater mit Musikbegleitung so mächtig sang, daß die Adern auf seiner kahlen Stirne schwollen – bei den Konzerten durften Klaus Heinrich und Ditlind zuweilen festlich gekleidet eine Nummer und Pause lang im Saale sein, und dann zeigte Mama, daß sie sie lieb habe, zeigte es ihnen und allen so innig und ausdrucksvoll, daß kein Zweifel blieb. Sie nahm sie zu sich an den Tisch, dem sie vorsaß, und hieß sie mit glücklichem Lächeln, sich zu ihren Seiten zu stellen, lehnte sich ihre Wangen an Schulter und Brust, sah ihnen mit weichem, beseeltem Blick in die Augen und küßte sie beide auf Stirn und Mund. Aber die Damen neigten die Köpfe zur Seite und blinzelten rasch mit verklärter Miene, indes die Herren langsam nickten und sich in die Schnurrbärte bissen, um auf männliche Art ihre Ergriffenheit zu bemeistern … Ja, das war schön, und die Kinder fühlten sich beteiligt an dieser Wirkung, die alles übertraf, was Kammersänger Schramm mit seinen seligsten Tönen erzielte, und schmiegten sich stolz an Mama. Denn Klaus Heinrich wenigstens sah ein, daß es uns dem Wesen der Dinge gemäß nicht anstand, einfach zu fühlen und damit glücklich zu sein, sondern daß es uns zukam, unsere Zärtlichkeit im Saale anschaulich zu machen und auszustellen, damit die Herzen der Gäste schwöllen.

      Zuweilen bekamen auch die Leute draußen in Stadt und Park zu sehen, daß Mama uns lieb hatte. Denn während Albrecht am frühen Morgen mit dem Großherzog ausfuhr oder ritt – obgleich er so schlecht zu Pferde saß –, so hatten Klaus Heinrich und Ditlind von Zeit zu Zeit und abwechselnd Mama auf ihren Spazierfahrten zu begleiten, die im Frühjahr und Herbst nachmittags um die Promenadezeit stattfanden, in Gegenwart der Freifrau von Schulenburg-Tressen. Klaus Heinrich war ein wenig erregt und fieberhaft vor diesen Spazierfahrten, mit denen schlechterdings kein Vergnügen, sondern im Gegenteil viel Mühe und Anstrengung verbunden war. Denn gleich, wenn zwischen den präsentierenden Grenadieren der offene Wagen das Löwenportal am Albrechtsplatze verließ, so stand viel Volks dort versammelt, das die Ausfahrt erwartet hatte, Männer, Frauen und Kinder, die riefen und gierig schauten; und es galt, sich zusammenzunehmen und anmutig standzuhalten, zu lächeln, die linke Hand zu verbergen und so mit dem Hute zu grüßen, daß es Freude im Volke hervorrief. Das ging so fort auf der Fahrt durch die Stadt und im Grünen. Die anderen Fuhrwerke mußten wohl Abstand wahren von unserem, die Schutzmänner hielten darauf. Jedoch die Fußgänger standen am Wegessaum, die Damen ließen sich knicksend nieder, die Herren hielten den Hut am Schenkel und blickten von unten mit Augen voll Andacht und dringlicher Neugier – und dies war Klaus Heinrichs Einsicht: daß alle da waren, um eben da zu sein und zu schauen, indes er da war, um sich zu zeigen und geschaut zu werden; und das war das weitaus Schwerere. Er hielt seine linke Hand in der Paletottasche und lächelte, wie Mama es wünschte, während er fühlte, daß seine Wangen in Hitze standen. Aber der »Eilbote« schrieb, daß die Wangen unseres kleinen Herzogs wie Rosen gewesen seien vor Wohlbefinden.

      Klaus Heinrich war dreizehn Jahre alt, als er an dem einsamen Perlmuttertischchen inmitten des kalten Silbersaales stand und das Eigentliche zu ergründen suchte, um das es sich für ihn handelte. Und wie er die Erscheinungen innig durchdrang: den leeren, zerschlissenen Stolz der Gemächer, der über Zweck und Behagen war, die Symmetrie der weißen Kerzen, in welcher ein hoher und angespannter Dienst, eine beherrschte Entsagung ausgedrückt schien, die kurze Verstörung auf seines Vaters Gesicht, wenn man ihn freihin ansprach, die kühl und streng gepflegte Schönheit seiner Mutter, die sich lächelnd der Begeisterung darstellte, die andachtsvollen und dringlich neugierigen Blicke der Leute draußen – da ergriff ihn eine Ahnung, eine ungefähre und wortlose Erkenntnis dessen, was seine Angelegenheit war. Aber zur selben Zeit kam ihn ein Grauen an, ein Schauder vor dieser Art von Bestimmung, eine Angst vor seinem »hohen Beruf«, so stark, daß er sich wandte und beide Hände vor seine Augen warf, beide, die kleine runzlige linke auch, und an dem einsamen Tischchen niedersank und weinte, weinte vor Mitleid mit sich und seinem Herzen, bis man kam und zu Gott emporblickte und die Hände zusammenschlug und fragte und ihn wegführte … Er gab an, daß er Furcht gehabt, und das war die Wahrheit.

      Er hatte nichts gewußt, nichts begriffen, nichts geahnt von der Schwierigkeit und Strenge des Lebens, das ihm vorgeschrieben war; er war lustig gewesen, hatte sich sorglos fahren lassen und viel Anlaß zum Entsetzen gegeben. Aber früh mehrten sich die Eindrücke, die es ihm unmöglich machten, sich der wahren Sachlage zu verschließen. In der nördlichen Vorstadt, unweit des Quellengartens, war eine neue Straße entstanden; man eröffnete ihm, daß sie auf Magistratsbeschluß den Namen »Klaus-Heinrich-Straße« erhalten habe. Gelegentlich einer Ausfahrt sprach seine Mutter mit ihm beim Kunsthändler vor; es galt einen Einkauf. Der Lakai wartete am Schlage, Publikum sammelte sich an, der Kunsthändler eiferte beglückt – das war nichts Neues. Aber Klaus Heinrich bemerkte zum erstenmal seine Photographie im Schaufenster. Sie hing neben denen von Künstlern und großen Männern, hochgestirnten Männern, deren Augen

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