Königliche Hoheit. Thomas Mann

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Königliche Hoheit - Thomas Mann

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geschäftliche Dinge ganz und gar unbegabter Herr. Johann Albrecht wußte es nicht, gab sich wenigstens den Anschein, es nicht zu wissen, und befolgte darin genau das Beispiel seiner Vorfahren, die ihre Schulden selten einer mehr als flüchtigen Aufmerksamkeit gewürdigt hatten.

      Der ehrfürchtigen Gesinnung des Volkes entsprach ein außerordentliches Hoheitsgefühl seiner Fürsten, das zuweilen schwärmerische, ja überreizte Formen angenommen und sich am sichtbarsten und – bedenklichsten zu allen Zeiten als ein Hang zum Aufwand und zur rücksichtslosen, die Hoheit sinnfällig darstellenden Prunkentfaltung geäußert hatte. Ein Grimmburger hatte ausdrücklich den Beinamen des »Üppigen« geführt – verdient hätten ihn fast alle. Und so war die Verschuldung des Hauses eine geschichtliche und altüberlieferte Verschuldung, die in jene Zeiten zurückwies, wo noch alle Anleihen Privatangelegenheiten der Souveräne gewesen waren, und wo Johann der Gewalttätige, um ein Darlehen zu erhalten, die Freiheit angesehener Untertanen verpfändet hatte.

      Das war vorbei; und Johann Albrecht III., seinen Trieben nach ein echtgeborener Grimmburger, war schlechterdings nicht mehr in der Lage, diesen Trieben freien Lauf zu lassen. Seine Väter hatten mit dem Familienvermögen gründlich aufgeräumt, es war gleich Null oder glich nicht viel mehr, es war für den Bau von Lustschlössern, mit französischen Namen und Marmorkolonnaden, für Parks mit Wasserkünsten, für pomphafte Oper und jederlei goldene Schaustellung aufgegangen. Man mußte rechnen, und sehr gegen die Neigung des Großherzogs, ja ohne sein Zutun, war die Hofhaltung allmählich auf kleineren Fuß gesetzt worden.

      Über die Lebensführung der Prinzessin Katharina, der Schwester des Großherzogs, sprach man in der Residenz in gerührtem Tone. Sie war mit einem Kognaten des im Nachbarlande regierenden Hauses vermählt gewesen, war, verwitwet, in die Hauptstadt ihres Bruders zurückgekehrt und bewohnte mit ihren rotköpfigen Kindern das ehemalige erbgroßherzogliche Palais an der Albrechtsstraße, vor dessen Portal den ganzen Tag mit Kugelstab und Bandelier ein riesiger Türhüter in prahlerischer Haltung stand und in dessen Innerem es so außerordentlich gemäßigt zuging …

      Prinz Lambert, des Großherzogs Bruder, kam wenig in Betracht. Er lag mit seinen Geschwistern, die ihm seine Mißheirat nicht verziehen, in Unfrieden und ging kaum zu Hofe. Mit seiner Gemahlin, die ehemals ihre Pas auf der Bühne des Hoftheaters vollführt hatte und, nach dem Namen eines Gutes, das der Prinz besaß, den Titel einer Freifrau von Rohrdorf führte, lebte er in seiner Villa am Stadtgarten, und dem hageren Sportsmann und Theaterhabitué standen seine Schulden zu Gesichte. Er hatte sich seines Hoheitsscheines begeben, trat ganz als Privatmann auf, und wenn sein Hauswesen im Rufe einer liederlichen Dürftigkeit stand, so erregte das nicht viel Teilnahme.

      Aber im Alten Schlosse selbst hatten Veränderungen stattgefunden, Einschränkungen, die in Stadt und Land besprochen wurden, und zwar zumeist in einem ergriffenen und schmerzlichen Sinne, denn im Grunde wünschte das Volk, sich stolz und herrlich dargestellt zu sehen. Man hatte um der Ersparnis willen verschiedene Oberhofämter in eines zusammengezogen, und seit mehreren Jahren war Herr von Bühl zu Bühl Oberhofmarschall, Oberzeremonienmeister und Hausmarschall in einer Person. Man hatte weitgehende Entlassungen im Offizendienst und der Hoflivree, unter den Furieren, Büchsenspannern und Bereitern, den Hofköchen und Konfektmeistern, den Kammer- und Hoflakaien vorgenommen. Man hatte den Bestand des Marstalles auf das Notwendigste herabgesetzt … Was verschlug das? Des Großherzogs Geldverachtung empörte sich gegen den Zwang in plötzlichen Ausbrüchen, und während die Bewirtung bei den Hoffestlichkeiten die äußerste Grenze erlaubter Einfachheit erreichte, während zum Souper am Schlusse der Donnerstagkonzerte im Marmorsaal ohne Abwechslung nichts als Roastbeef in Remouladensoße und Gefrorenes auf den roten Sammetdecken der goldbeinigen Tischchen serviert wurde, während an des Großherzogs eigener von Wachskerzen strotzender Tafel alltäglich gespeist wurde wie in einer mittleren Beamtenfamilie, warf er trotzig die Einkunft eines Jahres für die Wiederherstellung der Grimmburg hin.

      Aber unterdessen verfielen seine übrigen Schlösser. Herrn von Bühl standen einfach nicht die Mittel zur Verfügung, ihre Verwahrlosung zu verhindern. Und doch war es schade um manche davon. Die, welche in der weiteren Umgebung der Residenz und draußen im Lande gelegen waren, diese zierlich üppigen, in Naturschönheit eingebetteten Refugien, deren kokette Namen auf Ruhe, Einsamkeit, Vergnügen, Zeitvertreib und Sorglosigkeit hindeuteten oder eine Blume, ein Kleinod bezeichneten, bildeten Ausflugsorte für die Residenzler und die Fremden und warfen an Eintrittsgeldern dies und jenes ab, was zuweilen – nicht immer – für ihre Instandhaltung benutzt wurde. Bei denen jedoch, die in unmittelbarer Nähe der Hauptstadt lagen, war das kaum der Fall. Da war das Empire-Schlößchen Eremitage, das am Rande der nördlichen Vorstadt so verschwiegen und anmutig-streng, aber längst unbewohnt und vernachlässigt inmitten seines wuchernden Parkes, der in den Stadtgarten überging, zu seinem kleinen, von Schlamm starrenden Teich hinüberblickte. Da war Schloß Delphinenort, welches nur eine Viertelstunde Weges von dort, im nördlichen Teile des Stadtgartens selbst, der ehemals ganz der Krone gehört hatte, seine Ungepflegtheit in einem ungeheuren, viereckigen Springbrunnenbecken spiegelte: mit beiden stand es bejammernswert. Daß namentlich Delphinenort, dieses erlauchte Bauwerk, Frühbarock im Geschmack, mit dem vornehmen Säulenaufbau seines Portals, seinen hohen, in kleine, weiß gerahmte Scheiben geteilten Fenstern, seinen gemetzten Laubgewinden, seinen römischen Büsten in den Nischen, seinem splendiden Treppenaufgang, seiner ganzen gehaltenen Pracht auf immer, wie es schien, dem Verfall überlassen bleiben sollte, war der Schmerz aller Liebhaber baukünstlerischer Schönheit, und als es eines Tages infolge unvorhergesehener, ja abenteuerlicher Umstände wieder zu Ehren und Jugend gelangte, erweckte das in diesen Kreisen jedenfalls allgemeine Genugtuung … Übrigens war von Delphinenort in fünfzehn oder zwanzig Minuten der Quellengarten zu erreichen, der ein wenig nordwestlich zur Stadt gelegen und mit ihrem Zentrum durch eine direkte Trambahnlinie verbunden war.

      In der Benutzung der großherzoglichen Familie standen allein Schloß Hollerbrunn, die Sommerresidenz, ein Trakt von weißen Gebäuden mit chinesischen Dächern, jenseits der Hügelkette, welche die Hauptstadt umringte, kühl und angenehm am Flusse gelegen und berühmt durch die Fliederhecken seines Parks; ferner Schloß Jägerpreis, das völlig in Efeu gehüllte Jagdhaus inmitten der westlichen Waldungen; und endlich das Stadtschloß selbst, das »Alte« genannt, obgleich es durchaus kein neues gab.

      Es hieß so, ohne Vergleich, nur eben um seines Alters willen, und die Krittler fanden, daß seine Auffrischung dringlicher gewesen wäre als die der Grimmburg. Verblichenheit und Zerschlissenheit herrschte bis in die Räume hinein, die unmittelbar der Repräsentation und der hohen Familie zum Aufenthalt dienten, zu schweigen von den vielen unbewohnten und unbenutzten, die in den ältesten Gegenden des vielfältigen Gebäudes lagen, und in denen es nichts als Erblindung und Fliegenschmutz gab. Seit einiger Zeit war dem Publikum der Zutritt versagt – eine Maßnahme, die offenbar in Hinsicht auf den anstößigen Zustand des Schlosses getroffen war. Aber Leute, die Einblick hatten, Lieferanten und Personal, gaben an, daß aus mehr als einem stolzen und steifen Möbelstück das Seegras hervorgucke.

      Das Schloß bildete zusammen mit der Hofkirche einen grauen, unregelmäßigen und unübersichtlichen Komplex mit Türmen, Galerien und Torwegen, halb Festung, halb Prunkgebäude. Verschiedene Zeitalter hatten an seiner Ausgestaltung gearbeitet, und große Partien waren baufällig, verwittert, schadhaft, zum Bröckeln geneigt. Es fiel steil ab zum westlichen, tiefer gelegenen Stadtteil, zugänglich von dort auf brüchigen, von rostigen Eisenstangen zusammengehaltenen Stufen. Aber dem Albrechtsplatz war das gewaltige, von kauernden Löwen bewachte Hauptportal zugewandt, zu dessen Häupten ein frommes, trotziges Wort: »Turris fortissima nomen Domini«, halb nur noch leserlich, eingemeißelt stand. Hier war Wache und Schilderhaus, Ablösung, Trommeln, Parade und Auflauf von Gassenbuben …

      Das Alte Schloß besaß drei Höfe, in deren Ecken sich schöne Treppentürme erhoben und zwischen deren Basaltfliesen übrigens meistens allzuviel Unkraut sproß. Aber inmitten des einen Hofes stand der Rosenstock – stand dort von jeher in einem Beet, obgleich sonst keine gärtnerischen Anlagen vorhanden waren. Es war ein Rosenstock wie andere mehr, ein Kastellan wartete ihn, er ruhte im Schnee, er empfing

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