Rhythmen des Lebens - Die erste Genesis-Autobiografie. Mike Rutherford
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Vielleicht fiel es ihnen aus diesem Grund schwer, Nicky und mir ein Zuhause zu bieten. Auch wir hatten keine wahren Freunde. Mein bester Freund war der Sohn unserer Putzfrau, mit dem ich auf dem Treppenabsatz in Far Hills spielte.
Während des Aufenthalts auf Whale Island hatten mir die Marinetischler eine wunderschöne hölzerne Truhe für Holzspielzeug gezimmert. Wir bauten daraus kleine Forts, von wo aus wir uns mit allen erdenklichen Dingen beschossen. Es machte viel Spaß, doch eines Tages muss ich wohl geglaubt haben, dass mein Freund schummelt, denn ich warf ihm eines dieser Spielklötzchen an den Kopf. Da floss zwar nicht viel Blut, aber es war das einzige Mal, dass mir Dad eine Tracht Prügel verpasste.
Das alles mag auf ein einsames Leben hindeuten, doch ich fühlte mich nicht einsam, sondern zufrieden und autark, was sogar so weit ging, dass ich mir mein eigenes Taschengeld auszahlte – Half Crowns, die ich aus der Garderobe von Dad nahm. Das waren große und dicke Münzen, die wertvoll wirkten. Meist gab ich sie für Süßigkeiten oder Modellbausätze aus: Flugzeuge und keine Boote, die ich als zu langweilig empfand. Erst als ich die Vorschule besuchte, wurde mir klar, was ich bislang mit Blick auf das gesellschaftliche Leben verpasst hatte. Und ich machte eine weitere Entdeckung: die Musik.
„Nun, Michael! Du bist der Sohn eines Marineoffiziers. Du musst dich wie ein Marineoffizier verhalten und immer stark sein.“
Ich werde niemals die Worte meines Vaters vergessen, als er mich im Alter von sieben Jahren zum ersten Jahr in der Vorschule The Leas in Hoylake zurückließ: Er trug eine schicke Tweedjacke, eine robuste Hose aus Twill und braune Wildlederschuhe – und ich fürchtete mich zu Tode.
In dieser Nacht lag ich hellwach im Schlafsaal. Links und rechts neben mir weinten und wimmerten Jungs, denen am nächsten Morgen ein eiskaltes Bad blühte. Ich wiederholte Dads Worte: „Du bist der Sohn eines Marineoffiziers: Sei stark! Zeig niemals deine Gefühle, und dir wird es gutgehen.“ Mir ging es auch gut, aber das hielt nur drei Wochen an. Eines Morgens – ich trank gerade meine Milch in der großen Sporthalle – dämmerte es mir plötzlich. Meine Eltern hatten mich verlassen, und ich würde sie die nächsten sechs Wochen nicht mehr sehen. Ich war wie am Boden zerstört.
Mit der Milchflasche in der Hand brach ich in Tränen aus und heulte während der ganzen Pause. Die anderen Jungs hatten diese Erfahrung schon vor Wochen gemacht. Mit Sicherheit dachten sie: „Was ist denn mit Rutherford los?“ Doch ich war eben schon immer ein Mensch, der in emotionaler Hinsicht „nachhinkt“.
Auch Dad hatte eine Vorschule besucht. Sie lag in Rochester und war charakteristisch für die damalige Zeit: Abgewetzte Tische, gesprungene Tintenfässchen, primitive Toiletten und der typische Geruch von Haferflockenbrei, Rouladen, Fleisch-Kartoffel-Auflauf, Gerichten aus Rindertalg und Reispudding. Das war 1914, doch als ich in The Leas ankam, hatte sich nicht viel geändert. Der einzige Unterschied bestand in der vorgeschriebenen Kleidung für den Tanzunterricht. Dad musste ein Eton-Jackett und weiße Glacé-Handschuhe tragen, während ich zumindest Turnschuhe anziehen durfte. Das war nicht gerade ideal, denn mein Partner Jones Minor trampelte mir immer auf die Füße. Außerdem lief ihm ständig die Nase.
Ich rang meinen Eltern nur ein Versprechen ab, bevor ich ins Internat ging: Ich wollte auf keinen Fall Tanzunterricht nehmen. Wenige Wochen später drehte ich verkrampft und bemüht meine „Walzerrunden“ in der Turnhalle, wobei ich mich im Stich gelassen fühlte.
Ich empfand keine Wut, weil sie mich ins Internat verfrachtet hatten, sondern eher Selbstmitleid. Nach dem ersten Semester in der Vorschule fasste ich einen festen Plan: Auf gar keinen Fall würde ich wieder dorthin zurückkehren! Meine Eltern gingen jedoch geschickt mit der Situation um. Sie versuchten nie, mir die Schule schmackhaft zu machen, denn sie wussten, dass ich den Braten riechen würde. Stattdessen beschwichtigte mich Mum mit den Worten: „Schau mal, Mikey. Wir haben schon Januar, also zählen wir den Januar nicht. Du kommst im März schon wieder nach Hause, und so bleibt nur der Februar übrig. Nur vier Wochen!“, und ich dachte mir: „Oh ja, über was mache ich mir hier eigentlich Sorgen?“
Mich beeindrucken die Veränderungen, die sich im Verlauf der Zeit ergeben, und die Gewöhnung an schwierige Umstände. Zurückblickend war die Phase in The Leas gar nicht so schlecht. An dem großen vierstöckigen Gebäude rankten sich Kletterpflanzen hoch. Der Schulleiter betrat es durch eine ausladende, pompöse Tür, und von den Gängen zweigten zahlreiche Flure ab. Am Ende einer Allee befanden sich das Wissenschaftsgebäude, die Spielfelder und ein Hallenbad (ungeheizt – natürlich!). Es gab sogar einen Bereich für das Rollschuhfahren, zwar keine reguläre Bahn, aber immerhin. Am Abend wurde dieser Abschnitt vom Licht der Klassenzimmer erleuchtet, sodass man noch ungefähr eine Stunde nach dem Klingeln fahren konnte, was sich wie der Inbegriff der Freiheit anfühlte.
Das Essen war ziemlich eklig – ein Missstand, der sich seit 1914 nicht geändert hatte. Allerdings gab es eine überdachte Fruchtbar, die wie eine Kreuzung zwischen einer Nissenhütte und einem Gewächshaus aussah. Beim morgendlichen zweiten Frühstück gingen wir dorthin, um uns Früchte zur Milch auszusuchen. Der Geruch war fantastisch.
In The Leas förderte man den Obstverzehr, und die von Zuhause zurückkommenden Jungen brachten oft Körbe voller Orangen, Äpfel und Birnen mit.
Mutter, eine wahre Exzentrikerin, was die Ernährung anbelangte, schickte mich mit Granatäpfeln und Litschis ins Internat. (Hinsichtlich Bananen hatte Mum ihre Marotten. Wenn ich in den Ferien eine Banane essen wollte, an der auch nur eine winzige braune Stelle zu sehen war, schnappte sie sich die Frucht, begutachtete sie und meinte: „Oh, mein Liebling. Die ist schon schlecht. Gib sie Dad.“)
In der Schule war ich bei den Pfadfindern und sogar Anführer eines Zugs. Wir veranstalteten Schatzsuchen, bei denen man uns nach Hoylake schickte, wo wir auf Zeit eine Liste merkwürdiger Gegenstände einsammeln mussten. Eines Tages fand ich heraus, dass Busfahrten dabei untersagt waren. Meiner Meinung nach hatte ich meine Raffiniertheit unter Beweis gestellt, doch der Klassenlehrer teilte diese Ansicht nicht. Fazit: Eine Tracht Prügel mit einem sehr harten Hausschuh.
Scout zu sein bedeutete auch, jedes Jahr am Sommercamp teilzunehmen, was ich liebte. Dad borgte mir seine Kapitänsmütze – eine Geste, die einem beinahe unglaublichen Vertrauensbeweis gleichkam –, und wir fuhren nach Wales, meilenweit entfernt von einer Ortschaft. Dort erklommen wir den Cader Idris, wanderten die mit Geröll bedeckten Serpentinen hinunter und verbrachten die Zeit mit allerlei Freiluft-Aktivitäten. Mr. Waring, der Pfadfinderführer, war ein großartiger Mann, doch zurückschauend stelle ich mir die Frage, ob sein Verhalten heute noch als angemessen durchgehen würde. Er besaß einen netten alten Rolls Royce mit ausladenden Kotflügeln. Damit kreuzte er mit Jungen, die an den Seiten aus dem Auto hingen, durch Wales.
In der Schule gehörte ich nicht zu den Sportskanonen, doch ich konnte beim Schwimmen und Golfen glänzen. Ich versuchte ständig, im Wasser einen mir weit überlegenen Jungen aus Malaysia auszustechen, was mir allerdings nur ein einziges Mal gelang, da er sich an dem Tag nicht wohl fühlte. Manchmal überlegte ich mir einige schmutzige Tricks, zum Beispiel sein Essen mit einer besonderen Substanz zu „würzen“, aber als ich einige Runden Golf gewann (und man mich zum Golf Captain ernannte), entschied ich mich in dem Sport mit Höchstleistungen zu bestehen. (Leider muss ich eingestehen, dass nicht sonderlich viele Kandidaten um den Sieg wetteiferten. Trotzdem war ich stolz auf mich.)
Mein Vater bewahrte irgendwo einige Schläger auf und erzählte ausführlich von Golfspielen mit verschiedenen Würdenträgern, denen er bei seinen Reisen durch das Empire begegnet war. Natürlich versuchte er jeden, der ihm Gehör schenkte, davon zu überzeugen, dass man sein