Rhythmen des Lebens - Die erste Genesis-Autobiografie. Mike Rutherford
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Mein Vater begrüßte das Ethos von The Leas, denn als ich 1964 das Internat verließ, schrieb er dem Schulleiter:
Wir sind höchst erfreut, dass Michael sich als Leasianer bewährt hat, indem er sich auf dem Gebiet der Leibesertüchtigung und im Rahmen des Gemeinschaftslebens der Schule hervortat, zum Hauspräfekten wurde und zufriedenstellenderweise nach Charterhouse wechselte.
Wir freuen uns auch darüber, das Michal in diesen wichtigen frühen Jahren unter Ihnen und Ihresgleichen weilen und die anschaulichen Beispiele und Einflüsse genießen durfte, die den Charakter Ihres Instituts ausmachen.
In diesen Tagen ist es nicht leicht, eine Einrichtung zu finden, die auf den grundlegenden Tugenden basiert, die von einem aufrichtig religiösen Leben untermauert werden. Solche charakterbildenden Maßnahmen werden heute von sogenannten fortschrittlichen Denkern als dumm und überholt kategorisiert. Man würde die Ansichten dieser Personengruppe zumindest tolerieren, wenn sie adäquate Alternativen böten.
Dem Brief lag auch ein kleiner Beitrag für die Orgel bei. Ich halte das nur für angemessen, denn Michael hat während der letzten sechs Jahre seinen Beitrag zur Abnutzung des alten Instruments geleistet! Das stimmte auch!
Ich weiß nicht, ob Dad tatsächlich glaubte, dass ich „zufriedenstellenderweise“ nach Charterhouse wechselte. In Surrey gelegen, war Charterhouse eine der besten Privatschulen des Landes, was sich auch an dem hohen Schulgeld ablesen ließ. Im letzten Jahr in The Leas hatte Dad mich für ein Marine-Stipendium angemeldet, durch das die gesamten Kosten gedeckt worden wären. Die Entscheidung für das Stipendium fand auf der Basis eines Bewerbungsgesprächs statt, was zuerst gut lief. Scheinbar konnte ich die mir gegenübersitzenden, über und über mit Medaillen behangenen Würdenträger der Marine überzeugen. Doch dann fragte mich einer der Herren, ob ich Geschichtsbücher über die Marine gelesen habe.
„Oh, ja, viele sogar“, antwortete ich.
„Tatsächlich? Welche denn?“
Totenstille.
Damit war auch das Stipendium Geschichte.
„Die Gitarre“, empörte sich Mr. Chare, „ist ein Symbol der Revolution. Und in meinem Haus, unter meiner Aufsicht, wird es keine Revolution geben.“ Um die Aussage zu bekräftigen, schlug er mit beiden Fäusten auf seinen Tisch.
Chare bekleidete den Posten des Erziehers in meiner Unterkunft in Charterhouse und war gleichzeitig meine Nemesis. Seine Augenbrauen waren über zwei Zentimeter lang und stachen ebenso wie sein Kinn hervor. Er hatte die Absätze der Schuhe mit Stahl beschlagen lassen, sodass man ihn schon beim Kommen hörte, wie einen Nazikommandanten! Darüber hinaus sprach er durch zusammengebissene Zähne. Alle Jungs hatten eine unglaubliche Angst vor ihm, allerdings nahm er mich besonders ins Visier. Er hegte den Verdacht, dass die Jugendrevolution exakt in seinem Haus beginnen würde und ich ihr Rädelsführer wäre.
Charterhouse wurde 1611 gegründet und hatte sich vermutlich seit der Ära eines Charles Dickens nicht mehr weiterentwickelt. Die Jungs wurden einem der elf Häuser zugeteilt, von denen einige modernisiert worden waren. (Meins natürlich nicht.) Lockites lässt sich nur als ein Dreckloch beschreiben. Die Toiletten waren draußen, und so musste man durch Regen und Schnee rasen, um dorthin zu gelangen. Ich kann mich noch gut an die Spuren all der nassen Hausschuhe erinnern. Man hatte das Haus zu nahe an einen Hügel gebaut, wodurch es in dem Gemäuer immer dunkel und feucht war. Wenn ich an die Vorschule zurückdenke, verknüpfe ich damit ein Gefühl der Weite: Der ausladende Golfparcours und dahinter die See und Hilbre Island, wo wir einmal im Semester für einen Tag hinfuhren und Krabben aus den Löchern im Fels sammelten.
Denke ich an Charterhouse zurück, verdunkeln sich meine Erinnerungen angesichts der Farben Grau und Schwarz, die ich damit assoziiere.
Die ersten ein oder zwei Jahre verbrachte man in den Gemeinschaftsschlafsälen. Danach zog man in die „Würfel“. Im Grunde genommen ähnelten sie einem durch Trennwände abgeteilten Krankenhauszimmer, das nach oben hin offen war. Zumindest hatte man beim Masturbieren ein wenig Privatsphäre. Erst im allerletzten Jahr wurde uns ein Einzelzimmer mit Schreibtisch zugebilligt. Zu dem Zeitpunkt war man meist schon zu gebrochen, um sich daran zu erfreuen.
Uralte Gesetze und Regelungen bestimmten das Leben, beginnend bei der Länge des Haares (es durfte natürlich nicht lang sein) bis zu der Anzahl der Knöpfe an den Jacketts. In Charterhouse sprachen alle Kids den Schul-Slang. Die Arbeit hieß „Hash“, und folglich bezeichnete man die Klassenzimmer als „Hashrooms“. Man teilte die Schuljahre in „Quarters“ ein (Oration, Long und Cricket – Long war „selbstverständlich“ der kürzeste Zeitabschnitt).
Und dann gab es noch das sogenannte „Fagging“, die gute alte Tradition in Privatschulen, bei der die älteren Jungs den jüngeren das Leben zur Hölle machten, während die sich an ihre eigene Jugend erinnernden Lehrer, dabei nostalgisch werdend, zusahen.
Ich musste als Fag, als gleichsam persönlicher Adlatus, der allerhand Aufgaben zu übernehmen hatte, von Tony Lorenz herhalten, den man wegen seines kleinen, runden Körperbaus Bubbles nannte. (Später wurde aus Bubbles dann ein erfolgreicher Londoner Immobilienmakler.) Er behandelte mich nicht schlecht: Ich war zwar sein Laufbursche, was sich meist darauf beschränkte, ihm gelegentlich einen Toast zu besorgen oder seine Kleidung in den Waschraum zu bringen. Die Fags unterstanden nicht nur einem älteren Jungen, sondern auch dem Präfekten. Wenn er rief, musste man so schnell wie möglich zur Stelle sein. Man rannte und durfte nicht trödeln. Ein Trick bestand darin, sich auf dem Weg zu „verlaufen“, und in einer solchen Situation erwiesen sich die Toiletten auf dem Hof als nützlich. Ich verbrachte dort schon einige Zeit!
Es mag merkwürdig erscheinen, doch ich hinterfragte niemals diese Hackordnung. Es war nun mal so, wie es war, und wenn ich ehrlich bin, freute ich mich ein wenig auf die Zeit, in der ich meinen eigenen Fag kommandieren konnte. Im letzten Jahr angekommen, untersagte Charterhouse jedoch dieses System.
Doch auch 350 Jahre alte Privatschulen blieben letztlich nicht von den Sixties und der Stimmung des Wandels in Großbritannien verschont. Einige Jahre nach meinem Abgang fuhr ich an Charterhouse vorbei und sah – man höre und staune – Jungen mit halblangen Haaren. In einem Punkt behandelte mich das Schicksal mit gütiger Hand. In Charterhouse gab es einen Lichtblick – die Musik.
Charterhouse war für seine Musiktradition berühmt: Ralph Vaughan Williams, einer der klassischen Komponisten, die ich mag, hatte zum Beispiel die Privatschule besucht. Ein Gesangsbuch und ein Junge namens Tony Banks übten dann einen besonderen Einfluss auf mich aus. Das Buch kann man als modern, aber „melodisch“ beschreiben. Mich beeindruckten speziell die Dramatik einiger der pompös gesetzten, ausgeschmückten Akkorde und die fantastischen Akkordfolgen.
Der Gang zur Kapelle war eine zweischneidige Angelegenheit. Ich empfand die Musik als großartig und das Gebäude als beeindruckend. Es war sehr groß und hatte Fenster aus Buntglas. Die Religion hingegen stellte die Kehrseite der Medaille dar: Täglich 40 Minuten und sonntags sogar zwei Mal so lange. Bei der Abendandacht wach zu bleiben glich einer Mordsanstrengung. Oft beobachtete man einige Jungen beim „Gebet“ mit geschlossenen Augen, während alle anderen aufgestanden waren.
Beim Hören von Radio Luxemburg musste ich hingegen nicht gegen die Müdigkeit ankämpfen. In Charterhouse herrschte Radioverbot, doch es gelang mir, einen kleinen Transistorempfänger einzuschmuggeln, den ich nach Beginn der Nachtruhe unter meinem