Es begann in der Abbey Road. George Martin
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Ich war der Liebling meiner Mutter. Als gläubige Katholikin schickte sie mich im Alter von fünf Jahren auf eine Klosterschule in Holloway, die meine Schwester schon besuchte. Drei Jahre später wechselte ich auf die St.-Josephs-Grundschule in Highgate, was bedeutete, mit der Straßenbahn Linie 11 von Drayton Park aus den Hügel hinauf bis nach Highgate zu fahren, was wohl der erinnerungswürdigste Teil dieses Lebensabschnitts war. 1937, im Alter von 11 Jahren, wurde mir die Ehre eines Stipendiums am St. Ignatius College in Stamford Hill zuteil. Es wurde von Jesuiten geleitet und konnte sich rühmen, Charles Laughton, den in den 30ern und 40ern populären Charakterdarsteller, ausgebildet zu haben.
Zwei Jahre später brach der Krieg aus. Meine Schule wurde nach Welwyn Garden City evakuiert, einen Ort, von dem ich noch nie etwas gehört hatte, der aber irgendwo in der Öde nördlich von London lag. Zu dem Zeitpunkt arbeitete mein Vater als Maschinenführer in einer Holzfabrik. Meine Schwester hatte die Schule schon verlassen und verdiente sich ihren Lebensunterhalt als Sachbearbeiterin der „Sun Life of Canada“-Versicherungsgesellschaft, die man wegen der ständigen Bombardements von London nach Bromley in Kent verlegte. Es sah so aus, als werde die ganze Familie auseinandergerissen, woraufhin meine Eltern mich vom Jesuiten-College nahmen und nach Bromley brachten. Dort besuchte ich das Gymnasium. Jahre später sollte auch Peter Frampton seine Schulzeit dort verbringen.
Auch wenn sich meine schulische Ausbildung mit einem Wanderzirkus vergleichen ließ, berührte das nicht mein kontinuierliches Interesse an der Musik. Ich hatte das Klavierspiel als Autodidakt fortgeführt. Wenn man sein Interesse für so ein Instrument entdeckt hat, fällt es leicht, sich weiteres Wissen anzueignen, ohne eine Bücherei zu besuchen und dort bestimmte Themen nachzuschlagen. Das Piano ist ein großartiges „Werkzeug“ zur Aneignung fundamentaler Musikkenntnisse und der Beziehungen zwischen den einzelnen Noten. Ich kann mich gut an die Aufregung und Begeisterung erinnern, wenn ich einen neuen Akkord entdeckte – besonders als mir bewusst wurde, dass es einen natürlichen Zyklus von Akkorden1 gibt. Ich fand heraus, wo man beginnt, spielte die harmonisch korrekten Griffe und befand mich wieder am Ausgangspunkt. Damals war mir noch nicht klar, dass ich mit dem absoluten Gehör gesegnet war, das mir sicherlich bei meiner Entdeckungsreise half. Ich fand heraus, dass in der ganzen Bandbreite nur drei verminderte Akkorde zu finden waren und diese verschiedene Umkehrungen hatten.
Ich begann mit Stücken wie dem „Liebestraum“ von Franz Liszt und verschiedenen Kompositionen von Chopin – und das nur nach Gehör und ohne Hilfe von Notenmaterial. Woher die Begabung kam? Ich weiß es nicht. In der ganzen Familie gab es keinen einzigen Profimusiker. Daraufhin wurde ich für die Position auserkoren: „George ist der Musikalische bei uns … lass ihn mal weitermachen.“
Das soll nicht heißen, dass ich in einer kulturlosen Wüste verdorrte. In der Schule kamen wir in den Genuss des BBC Symphony Orchestra unter der Leitung von Adrian Boult, denn Bromley konnte sich eines großen Musikvereins rühmen. Auch wurden Tanzveranstaltungen ausgerichtet. Ich erinnere mich speziell an einen Auftritt der Squadronaires. Ich trieb mich vor der Bühne herum, wo mich einer der Männer fragte, ob ich selbst Musiker sei. Ich ergriff die, Chance, die sich mir bot, und sagte leichtsinnig und ein wenig unverfroren: „Sicherlich. Ich spiele Klavier. Genau euren Stil.“
Vermutlich hielten sie mich für einen jugendlichen Draufgänger, den man schnell wieder abschütteln konnte, doch sie gaben mir eine Chance: „Okay, wenn du dir sicher bist, dann komm hoch und versuch es.“ Die Einladung reichte mir, und schon saß ich vor den Tasten und spielte mit ihnen den „One O’ Clock Jump“. Es war ein unglaubliches Gefühl, eine unvergleichliche Erfahrung.
Die Musik bestimmtes mein ganzes Leben. Ein anderes Ventil für meine Kreativität fand ich damals in einer kleinen, unbedeutenden Amateur-Theatergruppe namens The Quavers, deren Aktivitäten die Kirche in Bromley organisierte. Auftritte in Stücken von Noël Coward und ähnlichen Autoren machten Spaß, doch niemand – außer den Akteuren selbst – nahm davon Notiz. Auch die Quavers setzten sich für Tanzveranstaltungen ein, und zusammen mit einigen Freunden gründete ich dafür eine Band.
Wir nannten uns The Four Tune Tellers und nach einem Neuzugang George Martin and the Four Tune Tellers. Endlich der ersehnte Ruhm! Mein Vater baute uns schmucke und ausladende Notenständer, und wir spielten Standards von Jerome Kern, Cole Porter und weiteren Größen, Stücke wie zum Beispiel „The Way You Look Tonight“. Damals stand der Quickstep hoch im Kurs, und so beendeten wir das Programm immer mit „The Goodnight Waltz“. Terry Hyland spielte bei uns Saxophon. Ich traf ihn einige Jahre später im Astoria, London. Er hatte sein Instrument immer noch nicht aus der Hand gelegt.
Neben den obligatorischen Partys der Quavers gelang es uns, noch ein oder zwei weitere Auftritte wöchentlich zu ergattern. Mit dem dort verdienten Geld bezahlte ich die Klavierstunden in Bromley, die mir ein Schotte mit dem merkwürdigen Namen Urquhart gab.
Ich muss damals 15 oder 16 gewesen sein. Mr. Urquhart besaß ein wunderschönes Bösendorfer, und bei ihm entdeckte ich meine Leidenschaft für die Musik. Plötzlich erkannte ich mein Talent, aber, um ehrlich zu sein, war diese Erkenntnis von einer gewissen Überschwänglichkeit geprägt. Ich träumte davon, dass ich – mit einer ordentlichen Ausbildung – ein zweiter Rachmaninow werden könne. Einige Jahre später verabschiedete ich mich von dem Hirngespinst, denn es dämmerte mir, dass ein gewisser Mr. G. Martin den Ruf eines Rachmaninow nicht bedrohte. Doch ich meiner Jugend sah ich mich gerne als klassischen Komponisten. Ein erstrebenswertes Ziel – zumindest glaubte ich daran – war für mich das Schreiben von Filmmusik. Ich hätte mir niemals träumen lassen, was das für eine verdammt harte Arbeit ist.
Auch wenn ich noch meinen Phantasien nachhing, war der Zeitpunkt gekommen, an dem ich mich für eine Laufbahn nach der Schule entscheiden musste. Ende der Schule – Aufbruch in die große, weite Welt. Meine Eltern versuchten ständig, meine Begeisterung für einen Beruf mit einer sicheren Perspektive zu wecken. Ich war immer gut in Mathematik und im Zeichnen gewesen, und so schlug mir Mutter vor, die Ausbildung zum Architekten anzustreben.
Mein Vater hingegen riet mir: „Wieso versuchst du es nicht mit einem Beamtenjob? Sie können dich nie rausschmeißen.“ Da er lange Zeiten ohne eine Anstellung erlebt und darunter gelitten hatte, stand für ihn verständlicherweise die Sicherheit an erster Stelle. Doch meine Eltern sahen meinen Werdegang durchaus ambivalent. Sie wünschten sich, dass es mir besser gehen solle als ihnen und dass ich eine geregelte Anstellung fände. Trotzdem waren sie auch stolz auf meine Auftritte und unterstützten die Musik.
Doch ich war verrückt nach Flugzeugen und wollte – wie auch ein Freund – als Flugzeugkonstrukteur mein Geld verdienen. Ihm gelang es, mir nicht. Ich versuchte mir einen Ausbildungsplatz bei de Havilland zu sichern, doch die Firma verlange von jedem Anfänger 250 £ Lehrgeld. Im Jahr 1942 lag das Hauptaugenmerk der Firmen darauf, möglichst schnell möglichst viele bereits entworfene Maschinen aus den Hangars rollen zu lassen. Das Interesse an jungen aufstrebenden Konstrukteuren war, gelinde gesagt, minimal. Trotzdem erhielt ich ein Angebot von der Firma Short & Harland, was aber einen Umzug nach Irland bedeutet hätte, wogegen ich mich sträubte.
Ich wurde also weder Architekt noch Flugzeugkonstrukteur und schlug auch keine Beamtenlaufbahn ein.
Stattdessen arbeitete ich für Mr. Coffin in der Victoria Street, einen Bilanzbuchhalter. Die Friedhof-ähnliche Atmosphäre der Arbeit wurde dem Namen des Mannes gerecht. Sechs Wochen gähnender Langeweile überzeugten mich, dass mich die „grandiose“ Entlohnung von 2 £ und 5 Schilling wöchentlich nicht halten konnten. Ich gab meine Kündigung bekannt, doch Mr. Coffin wollte das Arbeitsverhältnis unbedingt fortsetzen. Er bot sogar an, den Lohn zu erhöhen, doch ich drückte ihm mit einer möglichst authentischen Stimme mein großes Bedauern aus: „Nein, Sir, es tut mir wirklich leid, doch die Arbeit sagt mir überhaupt nicht zu.“