Unbestreitbare Wahrheit. Mike Tyson
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„In Anklagepunkt 2 verurteile ich Sie zu zehn Jahren.“ Don King und meine Freunde im Gerichtssaal rangen lautstark um Luft. Dieser Anklagepunkt war für die Benutzung meiner Finger. Fünf Jahre für jeden Finger.
„In Anklagepunkt 3 verurteile ich Sie zu zehn Jahren.“ Das war für den Einsatz meiner Zunge. Zwanzig Minuten lang. Vermutlich war das ein Weltrekord im Rahmen einer Vergewaltigung.
„Die Strafen können gleichzeitig verbüßt werden“, fuhr sie fort. „Außerdem belege ich Sie mit der Höchststrafe von 30.000 Dollar. Ich erlasse vier von diesen Jahren und setze vier Jahre auf Bewährung aus. In dieser Zeit unterziehen Sie sich einer psychoanalytischen Behandlung bei Dr. Jerome Miller und verrichten 100 Stunden gemeinnützige Arbeit im Bereich Jugendkriminalität.“
Fuller sprang jetzt hoch und plädierte dafür, dass ich gegen Kaution frei gelassen werde, während Alan Dershowitz, der berühmte Verteidiger, meine Berufung vorbereitete. Dershowitz befand sich im Gerichtssaal und verfolgte die Verkündung des Strafmaßes. Nachdem Fuller sein Plädoyer beendet hatte, trat Garrison, der ungehobelte Cowboy, auf den Plan. Viele behaupteten später, ich sei das Opfer von Rassismus gewesen. Aber ich glaube, Typen wie Modisett und Garrison taten eher so zum Schein. Letztlich kümmerte sie das Ergebnis der Verhandlung wenig; sie waren einfach scharf darauf, ihre Namen in den Schlagzeilen wiederzufinden. Garrison spielte sich auf und behauptete, ich sei ein „schuldiger, brutaler Vergewaltiger, der vermutlich zum Wiederholungstäter werden wird. Wenn man den Angeklagten nicht hinter Gitter bringt, spielt man die Schwere des Verbrechens herunter, wertet die Vollstreckung von Gesetzen ab, gefährdet andere Unschuldige und ermöglicht es einem Schuldigen, seinen Lebensstil fortzusetzen.“
Die Richterin pflichtete ihm bei. Keine Kaution. Was bedeutete, dass ich auf direktem Weg ins Gefängnis wandern würde. Sie wollte gerade den Hammer nehmen, um die Sitzung zu beenden, als plötzlich Unruhe im Saal entstand. Dershowitz war aufgesprungen, hatte sich seinen Aktenkoffer geschnappt und war aus dem Gerichtssaal geeilt, wobei er murmelte: „Ich werde dafür sorgen, dass Gerechtigkeit geschieht.“ Einen Moment lang herrschte Verwirrung, aber dann ließ die Richterin den Hammer auf den Tisch fallen. Die Verhandlung war vorbei. Der County Sheriff kam auf mich zu, um mich in Gewahrsam zu nehmen. Ich erhob mich, nahm meine Armbanduhr ab, löste meinen Gürtel und reichte alles, zusammen mit meiner Aktentasche, Fuller. Zwei Freundinnen von mir, die in der ersten Zuschauerreihe saßen, weinten hemmungslos. „Mike, wir lieben dich“, schluchzten sie. Camille stand auf und kam auf mich zu. Wir umarmten uns zum Abschied. Dann führte der Sheriff Jim Voyles und mich durch die Hintertür aus dem Gerichtssaal.
Man brachte mich nach unten, durchsuchte mich und nahm meine Fingerabdrücke. Vor dem Gerichtssaal wartete ein Mob von Reportern und umringte das Auto, das mich zum Gefängnis bringen sollte.
„Wenn wir aufbrechen, achte darauf, dass dein Mantel deine Handschellen bedeckt“, riet mir Voyles. Meinte er das wirklich ernst? Langsam wich die Benommenheit, und Wut wallte in mir auf. Sollte ich mich schämen, mit Handschellen gesehen zu werden? Die sind mein Ehrenabzeichen. Wenn ich die Handschellen verberge, bin ich ein Schwächling. Jim glaubte, wenn ich meine Handschellen verbarg, würde ich keine Scham empfinden, aber genau das hätte mich mit Scham erfüllt. Man musste mich damit sehen. Scheiß drauf, es sollte ruhig jeder sehen, dass ich welche umhatte. Ich würde jetzt auf eine Schule für Krieger gehen.
Wir verließen das Gerichtsgebäude und bahnten uns den Weg zum Polizeiauto. Stolz hielt ich meine Handschellen hoch. Und ich grinste, als wollte ich sagen: „Glaubt ihr diesen Scheiß wirklich?“ Dieses Bild von mir war dann überall auf der Welt auf den Titelseiten zu sehen. Ich stieg in das Polizeiauto, und Jim quetschte sich neben mich auf den Rücksitz.
„Nun, mein Junge, jetzt sind nur noch wir beide übrig“, scherzte ich.
Man fuhr mich in das „Diagnostic Center“, wo festgelegt wurde, in welche Art von Gefängnis ich gesteckt würde. Ich musste mich nackt ausziehen, vorbeugen und einer Leibesvisitation unterziehen. Dann gab man mir einen pyjamaähnlichen Anzug und ein paar Slipper und chauffierte mich zum Indiana Youth Center in Plainfield, einem Gefängnis für Straftäter der Stufe zwei und drei. Als ich am Ziel angelangt war, kochte ich vor Wut. Ich würde diesen Mistkerlen zeigen, wie man sich im Gefängnis verhielt. Auf meine Art. Es ist seltsam, aber ich erkannte erst spät, dass diese kleine weiße Richterin, die mich ins Gefängnis steckte, mir vielleicht das Leben gerettet hat.
Wir lagen mit den Puma Boys im Clinch. Ich lebte in Brownsville, Brooklyn, und diese Jungs stammten aus meiner Nachbarschaft. Damals hatte ich mich jedoch einer Gang der Rutland Road angeschlossen, den Cats aus dem nahe gelegenen Crown Heights, einer Bande von Typen aus der Karibik. Wir waren eine Bande von Einbrechern. Einige unserer Gangsterfreunde hatten einen heftigen Streit mit den Puma Boys, also begaben wir uns zum Park, um sie zu unterstützen. Gewöhnlich hatten wir mit Waffen nichts im Sinn, aber es ging um unsere Freunde, also stahlen wir ein paar, einen .357 Magnum Revolver und ein langes Gewehr mit Bajonett aus dem Ersten Weltkrieg. Wenn man einen Bruch machte, wusste man nie, was man vorfand.
Wir marschierten also ungeniert mit unseren Gewehren durch die Straßen, doch niemand hielt uns auf, kein einziger Bulle war unterwegs. Wir hatten nicht einmal einen Beutel, um das große Gewehr zu verstauen, also wechselten wir uns alle paar Blocks einfach mit dem Tragen ab.
„Da drüben rennt er ja“, rief mein Freund Haitian Ron. „Der Kerl mit den roten Pumas und dem roten Halseinsatz.“ Ron hatte den Typen, hinter dem wir her waren, erspäht. Als wir losrannten, teilte sich die riesige Menschenmenge im Park wie das Rote Meer vor Moses. Das war sehr vernünftig, weil einer meiner Freunde das Feuer eröffnete. Als die Schüsse fielen, kam es zu einem Gedränge.
Als wir weitergingen, sah ich, dass einer der Puma Boys zwischen den auf der Straße geparkten Autos in Deckung gegangen war. Ich hatte das M1-Gewehr, schnellte herum und sah, wie der lange Kerl die Pistole direkt auf mich gerichtet hielt.
„Was zum Teufel machst du da?“, raunzte er mich an. Es war mein älterer Bruder Rodney. „Verpiss dich!“
Ich lief dann einfach aus dem Park und nach Hause. Ich war damals zehn Jahre alt.
Ich sage oft, ich sei das schwarze Schaf der Familie gewesen, aber wenn ich darüber nachdenke, war ich den größten Teil meiner Kindheit über sehr sanftmütig. Ich kam am 30. Juni 1966 im Cumberland Hospital im Fort Greene-Bezirk von Brooklyn, New York, zur Welt. Meine frühesten Erinnerungen drehen sich um Aufenthalte in der Klinik – ich hatte ständig Lungenprobleme. Einmal tauchte ich den Daumen in irgendeinen Rohrreiniger und steckte ihn dann in den Mund. Man brachte mich im Eiltempo in die Klinik. Weiter erinnere ich mich noch, wie mir meine Patentante ein Spielzeuggewehr schenkte, das ich aber sofort demolierte.
Über meine Familie weiß ich nicht sehr viel. Meine Mutter Lorna Mae war New Yorkerin, wurde aber in Virginia geboren. Mein Bruder ist mal dorthin gefahren, um sich die Gegend anzugucken, in der meine Mutter aufgewachsen ist, aber da gab es nichts außer Wohnwagensiedlungen. Ich bin also ein echter Trailer-Park-Nigga. Meine Großmutter Bertha und meine Großtante arbeiteten in den Dreißigern für eine Weiße, zu einer Zeit, in der die meisten Weißen keine Schwarzen mehr für sich arbeiten ließen. Bertha und ihre Schwester waren so dankbar, dass sie beide ihre Töchter Lorna tauften – nach der weißen Lady. Mit dem Geld, das Bertha bei ihr verdiente, schickte sie ihre Kinder