Höllen-Lärm. Ian Christe
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„No Life ’Til Leather“ ebnete Metallica den Weg über die Stadtgrenzen hinaus und führte zu ihrem ersten Auftritt in San Francisco am 18. September 1982. Bei einer Show für die Promotion von Metal Massacre begegnete die Band, die in Los Angeles ruhig ihr eigenes Ding durchgezogen hatte, plötzlich Leuten, die Cassetten tauschten und das Metallica-Tape bereits kannten. „Metallica, Bitch und Cirith Ungol sollten spielen“,sagt Brian Slagel,„aber Cirith Ungol sagten in letzter Minute ab. Als Metallica auf die Bühne kamen, war das magisch. Die Menge war nicht mehr zu halten, und die Band rastete einfach aus. Sie hatten in L. A. ein paar Fans, aber so etwas hatten sie noch nicht erlebt. Es war unglaublich.
Das war der Punkt, an dem mir klar wurde, dass sie L. A. verlassen mussten.“ Im Vergleich zu Los Angeles, das letztlich den Futtertrog der Musikindustrie darstellte, bildete San Francisco eine kulturelle Insel und ein kreatives Paradies. Die Stadt wies eine höhere Dichte an Clubs, Plattenläden und Radiosendern auf, und überall dort arbeiteten Freunde, die bestrebt waren, harte Sachen noch ein wenig mehr anzuschieben. So, wie die Bands der NWOBHM den zerfransten britischen Hardrock entwirrten, so übernahmen Bands wie Trauma und Exodus freudig den Vorsitz über die Auslöschung der Bay-Area-Waschlappenrocker Starship und Journey. Jeff Hanne-man von Slayer sagt: „Als wir das erste Mal Exodus hörten, waren wir überrascht, dass es eine Band gab, die irgendwie so klang wie wir, die dieselbe Art von Musik spielte. Ich war total aufgeregt, als wir das erste Mal in Frisco spielten, weil da tatsächlich jemand einen ähnlichen Stil draufhatte.“
Im Rückblick erscheint es fast unwahrscheinlich, dass die pickeligen Jeansjackenträger Metallica eine solche Akzeptanz in Los Angeles erreichten, wo das Showbusiness immer mehr zählte als musikalisches Können. Das extremste Beispiel waren W.A.S.P., deren dröhnender Schockrock in einer Bühnenshow präsentiert wurde, zu der Folterinstrumente, aufgespießte Schädel und mehr Feuer, Rauch und Lichter gehörten, als an Halloween bei den Munsters im Wohnzimmer zu finden war. „Bevor wir erfolgreich wurden, hatte mein Dad ein Baugeschäft“, erklärt der Bandleader Blackie Lawless, „und daher arbeitete ich, als ich nach Kalifornien zog, für eine Spezialeffektefirma und baute Nebelmaschinen und Feuertechnik. Eine Menge davon ist in die Show eingeflossen. Da ich Informationen aus erster Hand besaß, wusste ich, was möglich war und was nicht. Besonders, was den explodierenden Hosenlatz und so ein Zeug anging.“
Das Erscheinungsbild von Metallica, ohne Make-up oder explodierende Hosenlätze, verweigerte sich einem bestimmten Image. Sie blieben bei Lederjacken, Jeanswesten, T-Shirts und dem einen oder anderen Nietengürtel. Metallica sahen aus wie die Headbanger in der ersten Reihe eines Iron-Maiden- oder Judas-Priest-Konzerts. Ihre Anstecker und Aufnäher entsprachen dem klassischen Image des Metal-Fans, nicht dem des extravaganten Rockstars. Plötzlich gab es in L. A. eine aufregende Metal-Szene – Mötley Crüe, Ratt, Quiet Riot und Dokken sicherten sich alle bis Ende 1982 Plattenverträge bei Majorfirmen. Die Ironie war, dass Metallica, welche die Werbetrommel dafür gerührt hatten, nicht in die neue Umgebung passten.
Der entscheidende Faktor für den Weggang von Metallica aus Los Angeles war jedoch der Wunsch, Ron McGovney durch den drahtigen und kraftvollen Bassisten Cliff Burton zu ersetzen. Burton, ein in den Siebzigerjahren hängen gebliebener Typ mit langen glatten Haaren und Schlaghosen, spielte bei Trauma, einer Band aus San Francisco, die auf Metal Massacre II vertreten gewesen war. „Trauma machten ziemlich astreinen Hardrock“, sagt Ron Quintana, „und sie hatten einen merkwürdig aussehenden Bassisten [Burton], der echt gut war. Sie trugen passende Outfits und hatten sich bei Judas Priest Gesten wie dieses Gitarrenschwingen abgeschaut. Das Gitarristenpaar und der Sänger trugen handgefertigte Blitze auf ihrem Leder. Cliffs Outfit wirkte stets, als käme er gerade von der Haight Street, aber die anderen drei sahen einer wie der andere aus. Wir fanden sie cool, wenigstens war das kein Pop-Glam-Scheiß.“
Burton mochte den bodenständigen, aggressiven Ansatz von Metallica. Nach monatelangem Überreden erklärte er sich am 28. Dezember 1982 bereit, von Trauma zu Metallica zu wechseln, jedoch unter der Bedingung, dass er sich nicht von Familie und Freunden in der Bay Area würde trennen müssen. Sechs Wochen später kam der Berg bereitwillig zum Propheten. Ulrich, Hetfield und Mustaine schleppten ihren Kram in den Norden Kaliforniens und verstauten ihre Marshall-Verstärker und Cassettensammlungen in einem schon bald sehr ramponierten Haus in El Cerrito, das sie sofort mit Postern von Michael Schenker, UFO und Motörhead sowie Werbetransparenten für verschiedene Billigbiersorten dekorierten.
Auch für eine so ehrgeizige Band wie Metallica war es wagemutig, der Musikindustrie von Los Angeles den Rücken zu kehren, aber in San Francisco waren die Fans, und Metallica investierten in ihre Beziehung zu Letzteren. Während im Hintergrund die Lobeshymnen auf den von Amerika neu entdeckten Heavy Metal immer deutlicher zu vernehmen waren, konzentrierten sich Metallica auf ihr Publikum und ihr Handwerk. Promoter und Anwälte aus dem Musikbusiness konnten sie auch später noch kennen lernen.
Ozzy Osbourne: der Madman des Metal (Jet Records)
Das Fanzine Metal Mania
James Hetfield – noch vor den Zeiten von Leather Charm
Metal Massacre
Demo-Hülle von „No Life ’Til Leather“
IV: Heavy Metal America: bunte Bühnen, bunte Bilder
18. Mai 1983: Screaming For Vengeance von Judas Priest erhält Platin in den Vereinigten Staaten
29. Mai 1983: Sechshunderttausend Fans besuchen das U.S. Festival ’83 mit Judas Priest, den Scorpions, Van Halen und Ozzy Osbourne
26. November 1983: Metal Health von Quiet Riot erreicht Platz eins in den Billboard-Charts
12. Oktober 1984: Pyromania von Def Leppard erhält in den Vereinigten Staaten Sechsfach-Platin
In Amerika war Heavy Metal 1983 dank der Luftbrücke aus Europa nicht mehr ausschließlich die Spielwiese der hartgesottenen Ultrafans, sondern wurde durch größere und regelmäßigere Konzerttourneen immer beliebter. Fans, die bereits durch AC/DC eine andere Vorstellung von packender Musik erhalten hatten, waren angesichts von Judas Priest, Iron Maiden, Black Sabbath und anderen britischen Invasoren völlig von den Socken. Schon bald sollten diese Bands durch ihre Videoclips ihren Bekanntheitsgrad enorm vergrößern, aber die Grundlage bildeten jahrelange Tourneen, die ein wachsendes und unglaublich loyales Publikum pflegten.
Die seltenen Auftritte von Iron Maiden und Judas Priest im Radio und die wenigen Berichte in den amerikanischen Rockzeitschriften entsprachen nicht