Die leise Erweckung. Theo Volland
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Die leise Erweckung - Theo Volland страница 5
Wieder wird mir bewusst, dass ich trotz aller Liebe nicht zu diesen Menschen gehöre. Dass ich abends in mein Apartment mit warmer Dusche zurückkehren kann, während sie im kalten Lager mit weiteren zehn Familien auf den nächsten Tag warten. Ich kann den Flüchtlingen in ihrer Situation nur beistehen. Doch aus ihrer Situation heraushelfen kann ihnen nur einer: Jesus selbst. An diesem Abend bete ich intensiv für meine Freunde im Camp.
»Alibaba, alibaba!« – »Dieb, Dieb!« Die Flüchtlingskinder haben sich mal wieder mein Smartphone geschnappt und durchforsten es nach Videos und Musik. Ich lasse ihnen ihren Spaß, solange ich nur sehe, wer mein Handy hat, und es am Ende wiederbekomme. Nachdem ich kurz einer Familie das Tor geöffnet habe, ist es plötzlich still. Erstaunt drehe ich mich um. Die Kindergruppe starrt gebannt auf mein Handydisplay. Sie schauen sich ein Video an, das ich von Freunden zugeschickt bekommen habe; das Pantomime-Theaterstück Lifehouse Everything Drama. Es zeigt, wie Gott den Menschen erschaffen hat und wie sehr er ihn liebt. Wie die Sünde den Menschen verführte und Jesus für ihn stirbt – und wie Jesus unerwartet wieder aufersteht und den Menschen rettet. Ein Video mit christlicher Botschaft, auch ganz ohne Worte mehr als klar verständlich.
Mein erster Reflex ist, ihnen das Handy sofort wegzunehmen und das Video zu löschen, aus Angst vor der Reaktion der Muslime und der Aufseher im Camp. Doch die Kinder sind begeistert und schauen sich das kurze Video wieder und wieder an. Auch in den folgenden Tagen wollen sie es immer wieder sehen, und sie zeigen es anderen Kindern. Ich bete und hoffe, dass dieses kleine Video, meine gelebte Liebe und die vielen Gespräche mit den Menschen im Camp die Herzen meiner afghanischen Freunde bewegt haben. Dass die Saat aus meinem Einsatz im Laufe der Zeit aufgeht und sie eines Tages Gott, meinen liebenden Vater, kennenlernen. An diesem Abend beim Bibellesen jedenfalls macht Jesus mir Mut – durch die bekannten Worte:
Denn ich war hungrig, und ihr habt mir zu essen gegeben. Ich war durstig, und ihr gabt mir zu trinken. Ich war ein Fremder, und ihr habt mich in euer Haus eingeladen. Ich war nackt, und ihr habt mich gekleidet. Ich war krank, und ihr habt mich gepflegt. Ich war im Gefängnis, und ihr habt mich besucht.
Matthäus 25,35-36
Jesus kennt ihre Namen
Hamburg
Flüchtlinge werden sie genannt. Ohne Namen, anonym, eine Masse von Menschen. Selten erfährt man viel mehr von ihnen – außer es endet tragisch. Wie bei dem ertrunkenen Jungen Aylan, der an einen türkischen Strand gespült wurde, weil ein Schlauchboot den Weg nach Griechenland nicht geschafft hatte, und dessen Foto um die Welt ging. Flüchtlinge: Sie alle haben ein Gesicht, einen Namen, eine Familie, eine Hoffnung, eine Geschichte!
Zum Beispiel Gervas aus Nigeria. Er wohnt in einem Asylheim Schleswig-Holsteins. Seit 15 Jahren wartet er nun schon auf eine Entscheidung der Behörden. Seit 15 Jahren! Doch mehr als einige Verlängerungen seiner Duldung waren bisher nicht für ihn drin. Und in den Wohngemeinschaften in diesen Heimen geht es während des Wartens auch nicht immer friedlich zu. Manchmal treffen dort schreckliche Einzelschicksale auf Rassismus und Fanatismus. Gervas ist Christ. Er lebt mittendrin in diesem Status der Unsicherheit seinen Glauben an Jesus. Er redet von Hoffnung, vom Ausharren – und dass Jesus ihn niemals verlässt. Muslime wie Atheisten hören ihm gerne zu, denn er hat einen ausgleichenden Charakter. Manchmal kommen sie sogar zur Bibelstunde, die er in seinem Quartier anbietet. Er ist nicht der einzige Christ in dem Heim, es gibt noch ein paar gläubige Frauen mit Kindern. Sonntags gehen sie gemeinsam in den Gottesdienst einer Gemeinde in ihrer Stadt, um von Gottes Wort gestärkt zu werden und Gemeinschaft unter Christen zu erleben. Nachmittags kehren sie wieder zurück in ihre Bleibe, zurück in den schroffen Alltag, in die provisorische Zwischenlösung in der Massenunterkunft. Zu Menschen, die wir Deutsche oft nur als namenlose »Flüchtlinge« in den Nachrichten wahrnehmen.
Gervas erzählt mir von den vielen Verhandlungen, die er in seinen 15 Jahren in Deutschland bereits hat durchstehen müssen: endloses Warten und Hoffen, und immer wieder die gleichen Fragen. Wie in einem Hamsterrad. Mittendrin bezeugt er mutig und ehrlich seinen Glauben. Weshalb er das Warten geduldig erträgt? »Jesus hat einen Plan für mein Leben, und ihm will ich gehorchen«, sagt er und schaut mir dabei tief in die Augen. Es beeindruckt mich, wie viel Mut und Zuversicht Gervas trotz seiner Situation ausstrahlt. Der Nigerianer ist mir ein Vorbild und Glaubensbruder.
Gott baut seine Gemeinde in den Asylunterkünften mit Leuten wie Gervas. Sie sind lebendige Zeugen für Jesus und ein wirklicher Segen. Sie sind wertvoll – jeder Einzelne. Geliebt und bei Jesus mit Namen und Geschichte bekannt. Viele kommen als Christen nach Europa, weil sie in ihren Heimatländern ihres Glaubens wegen verfolgt worden sind. Andere sind durch Kriege entwurzelt und traumatisiert. Manche sind bereits auf den Transitstrecken Christen und Gemeinden begegnet, die ihnen praktische Hilfe angeboten haben und ihnen für die kurze Zeit der Durchreise offen begegneten, voller Anteilnahme. Hier, in ihrem Zufluchtsland, suchen diese Menschen nach ähnlichen Erfahrungen, an denen sie andocken können. In dieser Atmosphäre finden Menschen neue Hoffnung.
Was für ein Wunder, wenn das passiert. Hoffnung mitten in der Not einer unsicheren Zukunft. Was für eine Chance, dass wir Christen in Deutschland dieses Wunder miterleben dürfen. Gemeinsam sind wir eine laute Stimme für unsere neuen Nachbarn aus allen Teilen der Welt: »Hilf dem, der sich selbst nicht helfen kann; schaffe denen Recht, die für sich alleine dastehen« (Sprüche 31,8). Ich bin so dankbar für die vielen Christen, die gerade jetzt ihren Glauben praktisch leben und diesen Einzelnen nachgehen. Es erstaunt mich immer wieder, wie wenig es braucht, um eine Ermutigung zu sein: ein offenes Ohr, ein gemeinsames Gebet, ein Händedruck und eine Umarmung, die signalisiert: »Du bist wertvoll, und wir gehören zusammen. Ich sehe, dass du ein Mensch bist.«
In der Bibel fordert Gott uns auf, Einwanderer zu lieben und ihnen zu dienen. Jeder, egal welcher Hautfarbe und Religion, ist ein Geschöpf Gottes und von ihm geliebt. Er kennt sie alle beim Namen – auch Gervas. Diese Liebe Gottes zu uns Menschen dürfen wir heute leben, darf ich leben! Gott hat durch meinen Kontakt zu Gervas die Tür in meinem Herzen geöffnet. Wir müssen nicht alles selbst organisieren, sondern können auf bestehende Strukturen aufbauen, uns beispielsweise vorhandenen Initiativen zur Flüchtlings- und Migrantenhilfe anschließen. Das spart Zeit, Geld und bündelt Erfahrungen. Neben der praktischen Hilfe ist Gebet für Flüchtlinge und die Regierung ein zentraler Beitrag, den wir als Christen einbringen können. Es tut gut, mit diesem großen Thema nicht alleine zu sein.
Gott sei Dank für alle Christen, die sich für ihre Stadt, ihr Viertel und die Menschen öffnen und bereit sind, neue Wege zu gehen. Durch sie wird Gottes neue Welt in ihrer ganzen Vielfalt sichtbar und erlebbar. So erreicht seine Liebe die Menschen, denn er kennt die Flüchtlinge alle beim Namen.
Hilf dem, der sich selbst nicht helfen kann; schaffe denen Recht, die für sich alleine dastehen. Ja, hilf den Armen und Elenden und sorge dafür, dass sie zu ihrem Recht kommen.
Sprüche 31,8-9
Ein ganz normaler Tag
Regensburg
Sehr genieße ich die Stille Zeit früh am Morgen, bevor der Tag über uns hereinbricht – ein neuer Tag für uns hauptamtliche Mitarbeiter in der Flüchtlings- und Migrantenhilfe in unserem Heimatort in der Nähe von Regensburg. Wir sitzen in unserer kleinen Küche zusammen, der Wasserkocher dampft. Meine Frau und ich frühstücken gemeinsam, und wir beten. Jetzt noch nicht ans Telefon zu gehen,