Die leise Erweckung. Theo Volland
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Die Frucht der Gerechtigkeit aber wird in Frieden denen gesät, die Frieden stiften.
Jakobus 3,18
Tamim will wissen, wer Jesus ist
Süddeutschland
Neugierig lächelt mich der junge Mann an und sagt: »Ich komme aus Afghanistan.« Er ist klein, ordentlich gekleidet, hat markante asiatische Gesichtszüge und dunkles, dichtes Haar. Mit seinem wachen Blick schaut er mir direkt in die Augen und beginnt zu erzählen.
Wir befinden uns irgendwo in Süddeutschland in einem Jugendkreis, bei dem ich einen Abend zum Thema Berufung halte. Junge Leute sind da, alle Christen. Es war nicht einfach, das kleine Gemeinschaftshaus in den verwinkelten Gässchen des kleinen Dorfes im Schwäbischen zu finden. Mitten im Stuhlkreis zwischen den 25 jungen Christen sitzt Tamim aus Afghanistan und strahlt mich an. Wie gut er in der Gruppe aufgenommen ist. Die anderen kümmern sich, reden und lachen mit ihm. Versteht er etwas von meinem Vortrag nicht, dann erklärt ihm der junge Deutsche an seiner Seite leise das Gesagte noch mal. Tamim ist aufmerksam dabei. Nach dem Vortrag kommt er auf mich zu und bedankt sich. Was er an diesem Abend über Jesus gehört hat, bewegt ihn noch sichtlich.
Ich frage, wie es ihm in Deutschland geht. »Gut«, meint er, »ich bin gerne hier.« Tamim, der vor ein paar Monaten erst ins Land gekommen ist, redet schon erstaunlich gut Deutsch. Als wir auf seine Familie in Afghanistan zu sprechen kommen, füllen Tränen seine Augen. Seiner Mutter gehe es gar nicht gut. Es schmerzt ihn, dass er nicht bei ihr sein kann. Ich nehme ihn fest in den Arm und frage ihn, ob ich für seine kranke Mutter und ihn beten darf. »Selbstverständlich!«, sagt er. Wir schließen die Augen und ich spreche ein kurzes Gebet für Mutter und Sohn. Danach frage ich Tamim, ob er Muslim ist. Vehement verneint er: »Von Geburt her eigentlich schon, aber mit dem Islam habe ich abgeschlossen«, sagt er. Der Grund? Muslimische Talibankrieger haben seinen Vater ermordet und seinem Bruder ein Bein weggeschossen. »Ich musste fliehen wegen der Terroristen«, erzählt er.
Ihren Glauben wolle er auf gar keinen Fall annehmen, meint er ernst. Außerdem störe ihn, dass er den Koran nur auf Arabisch lesen dürfe und nicht in der eigenen Sprache, das sei doch nicht normal. In die christliche Jugendgruppe gehe er gerne, weil ihn die Botschaft der Bibel interessiere.
Tamims Kindheit im Nordosten Afghanistans war wild. Gerne ritt er mit seinen Freunden durch die weiten rauen Täler des Hindukusch, erzählt er. Sie waren schon als Teenagerkinder schwer bewaffnet und haben durchaus auch mal eine Karawane mit Lapislazuli und Opium ausgeraubt. Ich bin beeindruckt, wie offen er erzählt. Noch mehr beeindruckt mich, wie sehr er sich bewusst ist, dass er ein Sünder ist und schon viel im Leben falsch gemacht hat. Tamim ist seit früher Kindheit auf der Suche nach einer Begegnung mit Gott und nach Vergebung, mehr noch jetzt in der Fremde. Als die Taliban zum Problem geworden sind und die Familie und Freunde aus ihrer heimischen Bergwelt fliehen mussten, haben amerikanische Christen ihm und seiner Familie sehr geholfen, erzählt er mir. Das hat sein Bild von uns Christen geprägt. »Ich will mehr über Jesus und die Bibel hören«, lächelt er mich an. »Jesus ist so anders, der liebt sogar seine Feinde! Deshalb bin ich hier.« Tamim hat in den jungen Christen neue Freunde gefunden, die ihm diese Liebe glaubhaft vorleben. Es freut mich, an diesem Abend ihren freundlichen Umgang mit dem jungen Afghanen mitzuerleben.
Der Jugendabend hat mich tief bewegt, vor allem das lange Gespräch mit Tamim. Berufung ist ein Thema, dass viele junge Christen beschäftigt. Überall auf der Welt. Jesus beruft uns auch dadurch, dass wir in einer bestimmten Zeit leben, an einem bestimmten Ort. Es gibt nicht nur so eine Berufung, wie die von Missionspionier Hudson Taylor, der für Gott in ein fremdes Land loszog. Es gibt auch die Berufung, hier zu tun, was Gott dir vor die Füße legt. Bewusst redete ich an diesem Abend mit den jungen Leuten auch über die Flüchtlinge aus aller Welt, die in unser Land kommen. Sie sind jetzt hier, direkt vor unserer Haustür. Ich erinnerte sie – und mich selbst – an Matthäus 14,14: »Als Jesus die vielen Menschen sah, hatte er Mitleid mit ihnen!« Die jungen Christen dieser Gruppe wollen gerne den neuen Flüchtlingen in ihrem Ort helfen, ihnen zu Freunden werden und von Jesus weitersagen. Sie leben ihre Berufung. Ich bete, dass ihnen das weiterhin so gut gelingt wie bei Tamim. Er hat hier bei uns eine Zukunft.
Als Jesus die vielen Menschen sah, hatte er Mitleid mit ihnen …
Matthäus 14,14b
Malkurs mit Ana
Salzgitter
Es war einfach ein Versuch: In unserem Flüchtlingscafé bot ich wöchentlich einen Malkurs für Frauen an. Ich hatte keine Ahnung, wie die Flüchtlingsfrauen darauf reagieren würden, entsprechend locker ging ich die Sache an, aber ich betete dafür.
Nach ein paar Wochen kam Ana, eine sympathische, junge Frau, mit dazu, die seit einem Jahr in Deutschland lebt. Sie sprach bereits erstaunlich gut Deutsch und trug kein Kopftuch. Ihre dichten, dunklen Haare waren zu einem langen Zopf geflochten. Fröhlich blitzten mich ihre braunen Augen an: »Mein Mann hat an der Tür gelesen, dass Sie hier einen Malkurs geben, und er hat gesagt: ›Ana, das ist etwas für dich!‹ Da bin ich gekommen«, sagte sie. Von Anfang an war ich überzeugt, dass Gott selbst Ana zu mir geführt hatte. Beim ersten Treffen im Hinterzimmer des Cafés malten wir mit Wasserfarben einen Sonnenuntergang. Obwohl wir mit einer Vorlage in leuchtendem Orange arbeiteten, strahlte ihr Bild eine tiefe Traurigkeit aus. Ich war erschüttert. Dabei schien Ana doch nach außen hin so fröhlich zu sein. Was verbarg sich hinter ihrem Gemälde? Beim nächsten Treffen sollte jeder ein eigenes Motiv mitbringen. Ich selbst wollte eine Geschichte aus der Bibel malen und den Teilnehmerinnen im Kurs erklären. Weil es auf die Weihnachtszeit zuging, wählte ich den Bibelbericht aus Lukas, wie der Engel Gabriel zu dem Teenagermädchen Maria kam und ihr erklärte, dass sie ein Baby bekomme, das dann der Retter der Welt sein würde.
Als wir uns zum Malen trafen, hatte Ana ihren Aquarellmalkasten und ein bereits begonnenes Bild mitgebracht. Ich holte meine Pastellkreiden heraus und malte meine Geschichte aus der Bibel. Als sie mein Bild sah, fragte Ana: »Das ist sicher ein christliches Motiv, oder?« Ich erzählte ihr die Geschichte. Ana erwiderte: »Eigentlich kannte ich das schon, aber wie es genau zugegangen ist, wusste ich noch nicht.« Das nächste Mal brachte sie eine Freundin mit zum Malen. Unsere Gespräche waren lebhaft und fröhlich, und wir kamen auch auf den Weihnachtsmarkt zu sprechen, der am folgenden Wochenende stattfinden sollte.
Ana und ihre Freundin verabredeten sich zu einem gemeinsamen Bummel über den Markt. Ich erzählte beiläufig davon, dass wir als Gemeinde einen Stand auf dem Weihnachtsmarkt haben würden und fügte schmunzelnd hinzu: »Vielleicht findet ihr uns ja?«
In den nächsten Tagen betete ich: »Herr, bitte schenke doch, dass Ana und ihre Freundin zu unserem Stand kommen und ich ihnen eine Bibel geben darf.« Schließlich bin ich fest davon überzeugt, dass das Buch der Bücher Menschen, die es lesen, wirklich verändern kann. Ich wünschte mir das so sehr für Ana.
Am Freitag auf dem Weihnachtsmarkt wartete ich auf Ana. Stunden vergingen. Würden sie kommen? Zuerst war nicht viel los. Auch mein Bild vom Engel mit Maria hing eingerahmt an der Wand unserer Markthütte. Außen war die Hütte unserer Gemeinde mit Tannengrün und einer Lichterkette