Cranford. Элизабет Гаскелл
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Ein sonderbarer Ausdruck, der aber nichts von Kummer an sich hatte, flog über Miss Browns Züge. Sie schwieg eine Weile, aber dann sahen wir, wie ihre Lippen Worte bildeten, ohne dass wir einen Ton hörten – »Vater, Mutter, Harry, Archy!« –, darauf schien ein neuer Gedanke einen leisen Schatten über ihren sich verdunkelnden Geist zu werfen: »Aber du wirst allein sein – Jessie!«
Miss Jessie schien dies während des ganzen Schweigens gedacht zu haben, denn die Tränen stürzten ihr bei diesen Worten über die Wangen, und sie konnte nicht gleich antworten. Dann aber faltete sie die Hände fest zusammen, und sie emporhebend, sagte sie – jedoch nicht zu uns:
»Obgleich Er mich geschlagen hat, will ich Ihm doch vertrauen.«
Wenige Augenblicke später lag Miss Brown still und ruhig da, und alles Murren und Klagen war zu Ende.
Nach dieser zweiten Trauerfeier bestand Miss Jenkyns darauf, dass Miss Jessie bei ihr bleibe, statt in das verödete Haus zurückzukehren, das, wie wir hörten, jetzt auch aufgegeben werden musste, da sie nicht die Mittel besaß, dort weiterzuleben. Sie hatte etwas mehr als zwanzig Pfund jährlich, außer den Zinsen, die das Geld für die verkauften Möbel bringen würde: Aber davon konnte sie nicht leben, und so überlegten wir, womit sie wohl Geld verdienen könnte.
»Ich kann feine Näharbeit machen«, sagte sie, »und ich pflege gern Kranke. Ich glaube, ich könnte auch einen Hausstand führen, wenn es jemand mit mir als Wirtschafterin versuchen wollte; oder ich könnte in einem Laden verkaufen, wenn man zuerst Geduld mit mir hätte.«
Miss Jenkyns erklärte mit ärgerlicher Stimme, dass von dergleichen nicht die Rede sein könnte, und redete noch fast eine Stunde lang vor sich hin, »dass manche Leute keine Ahnung hätten, was sie ihrer Stellung als Hauptmannstochter schuldig seien«. Kaum eine Stunde später brachte sie Miss Jessie eine Schale voll delikat zubereitete Pfeilwurzeln und stand wie ein Dragoner vor ihr, bis der letzte Löffel davon verzehrt war, worauf sie verschwand. Miss Jessie begann mir noch etwas mehr von den Plänen zu erzählen, mit denen sie sich beschäftigte, und unwillkürlich kam sie dabei auf alte längst vergangene Zeiten zu sprechen, was mich so interessierte, dass ich darüber ganz vergaß, wie die Zeit verging. Wir schreckten beide auf, als Miss Jenkyns wieder erschien und uns in Tränen fand. Ich fürchtete, sie sei ärgerlich auf mich, da sie oft sagte, dass Weinen die Verdauung störe, und ich wusste, dass sie hoffte, Miss Jessie würde wieder kräftiger werden; aber statt dessen sah sie aufgeregt und verwirrt aus und wirtschaftete um uns herum, ohne ein Wort zu sagen. Endlich fing sie an zu sprechen. »Ich habe soeben einen großen Schreck gehabt – nein, keinen Schreck –, hören Sie nicht auf mich, liebe Miss Jessie – ich war nur sehr überrascht – denn, kurz und gut, ich hatte eben einen Besuch, einen Herrn, den Sie früher kannten, meine liebe Miss Jessie …«
Miss Jessie wurde erst kreidebleich und dann feuerrot und blickte erregt zu Miss Jenkyns auf.
»Ein Herr, meine Liebe, der wissen möchte, ob Sie ihn sehen wollen.«
»Es ist? Es ist doch nicht –«, stammelte Miss Jessie und kam nicht weiter.
»Hier ist seine Karte«, sagte Miss Jenkyns und gab sie ihr. Während Miss Jessie sich darüberbeugte, machte Miss Jenkyns mir die sonderbarsten Zeichen und suchte sich mir durch ein lebhaftes Spiel der Lippen verständlich zu machen, aus dem ich natürlich nichts entnehmen konnte.
»Darf er heraufkommen?«, fragte sie dann endlich.
»O ja, gewiss!«, sagte Miss Jessie, als ob sie damit ausdrücken wollte: ›Dies ist Ihr Haus, und Sie können jeden Besucher nach Ihrem Ermessen einlassen.‹ Dann nahm sie ein Strickzeug von Miss Matty in die Hand und fing an, eifrig zu stricken, aber ich konnte sehen, dass sie am ganzen Körper zitterte.
Miss Jenkyns klingelte und sagte dem Mädchen, sie möchte Major Gordon heraufführen; gleich darauf trat ein großer stattlicher Mann ein, mit offenem, freimütigem Gesicht, etwas über vierzig Jahre alt. Er schüttelte Miss Jessie die Hand, konnte ihr aber nicht in die Augen sehen, da sie den Blick fest auf den Boden gerichtet hielt. Miss Jenkyns fragte mich, ob ich ihr nicht helfen wollte, die Einmachgläser in der Vorratskammer zuzubinden, und obgleich Miss Jessie mich am Rock zupfte und mich sogar flehenden Auges ansah, wagte ich doch nicht, Miss Jenkyns’ Aufforderung abzulehnen. Statt aber Einmachgläser in der Vorratskammer zuzubinden, gingen wir in das Speisezimmer, um zu plaudern; dort erzählte mir Miss Jenkyns, was Major Gordon ihr eben gesagt hatte; dass er im selben Regiment mit Hauptmann Brown gedient und Miss Jessie als reizendes blühendes Mädchen von achtzehn Jahren kennen gelernt; wie die Bekanntschaft sich seinerseits in Liebe verwandelt, obgleich Jahre verstrichen, ehe er sich aussprechen konnte; wie er dann, als er von einem Onkel einen hübschen Besitz in Schottland geerbt, seinen Antrag gemacht hatte und abgewiesen worden sei, aber mit so viel Aufregung und augenscheinlicher Betrübnis, dass er überzeugt war, ihr nicht gleichgültig gewesen zu sein; und wie er dann herausgefunden hatte, dass das Hindernis in dem schweren Leiden lag, das schon damals ihre Schwester bedrohte. Sie hatte erwähnt, dass die Ärzte große Schmerzen voraussagten, und es war niemand da, der ihre arme Mary pflegen und den Vater während der Krankheitszeit trösten und aufheitern konnte. Sie hatten lange Unterredungen darüber gehabt, und als sie ihm nicht versprechen wollte, seine Frau zu werden, wenn alles vorüber sein würde, war er böse geworden, hatte alles abgebrochen und war ins Ausland gegangen, da er sie für eine kaltherzige Person hielt und zu dem Schluss kam, dass es das beste sei, sich die ganze Sache aus dem Kopfe zu schlagen. Er war im Orient gereist und gerade auf der Heimfahrt, als er zufällig in Rom Major Browns Todesnachricht im »Galignani« las.
In diesem Augenblick stürzte Miss Matty, die den ganzen Vormittag ausgewesen und soeben nach Hause gekommen war, mit allen Zeichen des Schreckens und des verletzten Schicklichkeitsgefühls zu uns herein.
»O du meine Güte!«, rief sie aus. »Deborah, im Salon sitzt ein Herr und hat den Arm um Miss Jessies Taille geschlungen!« Miss Mattys Augen sahen ganz groß aus vor Entsetzen.
Miss Jenkyns schleuderte ihr sofort die Worte entgegen: »Der passendste Platz auf der Welt für seinen Arm. Geh nur hinaus, Mathilde, und bekümmere dich um deine eigenen Angelegenheiten!« Dies von ihrer Schwester zu hören, die stets ein Muster weiblichen Dekorums für sie gewesen, war ein harter Schlag für die arme Miss Matty, und doppelt erschreckt verließ sie das Zimmer.
Das letzte Mal, als ich die arme Miss Jenkyns wieder sah, war viele Jahre später. Mrs. Gordon hatte warme und herzliche Beziehungen zu allen in Cranford aufrechterhalten. Miss Jenkyns, Miss Matty und Miss Pole waren zu Besuch bei ihr gewesen und kamen mit wunderbaren Berichten über ihr Haus, ihren Gatten, ihre Kleidung und ihr Aussehen zurück. Denn mit dem Glück war auch etwas von ihrer ehemaligen blühenden Jugendlichkeit zurückgekehrt; sie war tatsächlich ein paar Jahre jünger, als wir angenommen hatten. Ihre Augen waren immer sehr schön gewesen, und für Mrs. Gordon waren auch die Grübchen nicht mehr unpassend. Zu der erwähnten Zeit, als ich Miss Jenkyns zum letzten Mal sah, war diese Dame alt und schwach und hatte etwas von ihrer Energie verloren. Die kleine Flora Gordon war bei den Schwestern Jenkyns, und als ich kam, las sie gerade Miss Jenkyns etwas vor, die schwach und sehr verändert auf dem Sofa lag. Flora legte den »Rambler« hin, als ich eintrat.
»Ach«, sagte Miss Jenkyns, »Sie finden mich sehr verändert, meine Liebe. Ich kann nicht mehr so gut sehen wie früher. Wenn Flora nicht hier wäre, um mir vorzulesen, dann wüsste ich kaum, wie ich den Tag herumbringen sollte. Haben Sie jemals den ›Rambler‹ gelesen? Es ist etwas ganz Wundervolles und das Beste und Lehrreichste, was Flora lesen kann« – was es auch vielleicht gewesen wäre, wenn sie die Hälfte der Worte ohne Buchstabieren hätte lesen können und