Oliver Twist oder Der Werdegang eines Jungen aus dem Armenhaus. Charles Dickens

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Читать онлайн книгу Oliver Twist oder Der Werdegang eines Jungen aus dem Armenhaus - Charles Dickens страница 6

Oliver Twist oder Der Werdegang eines Jungen aus dem Armenhaus - Charles Dickens Reclam Taschenbuch

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      Diese Ausführungen schienen den Herrn in der weißen Weste sehr zu belustigen, doch seiner Heiterkeit wurde durch einen Blick von Mr. Limbkins umgehend Einhalt geboten. Die Vorstände berieten sich dann einige Minuten untereinander, aber mit so gedämpften Stimmen, dass nur die Worte »Kostenersparnis«, »macht sich gut in den Büchern« und »öffentlicher Rechenschaftsbericht« zu vernehmen waren, und auch nur deshalb, weil sie des öfteren und mit großem Nachdruck wiederholt wurden.

      Schließlich verstummte das Getuschel, und als die Mitglieder des Vorstands wieder ihre Plätze und ihre würdevolle Haltung eingenommen hatten, verkündete Mr. Limbkins:

      »Wir haben Euer Ansinnen geprüft, lehnen es jedoch ab.«

      »In vollem Umfang«, warf der Herr in der weißen Weste ein.

      »Mit aller Entschiedenheit«, fügten die anderen Vorstände hinzu.

      Da Mr. Gamfield nun zufällig mit dem leichten Makel behaftet war, bereits drei oder vier Lehrjungen totgeprügelt zu haben, kam ihm der Gedanke, der Vorstand habe sich vielleicht aus einer unerklärlichen Laune heraus in den Kopf gesetzt, sich in seinem Vorgehen von diesem unwesentlichen Umstand beeinflussen zu lassen. Falls dem so war, würde das zwar dessen sonstigem Geschäftsgebaren so gar nicht ähnlich sehen, aber da er nicht unbedingt den Wunsch hegte, diese Gerüchte erneut aufleben zu lassen, drehte er seine Mütze in den Händen und entfernte sich langsam vom Tisch.

      »Ihr wollt’n mir also nich geb’n, meine Herrn?«, fragte Mr. Gamfield, als er bei der Tür innehielt.

      »Nein«, erwiderte Mr. Limbkins, »zumindest sind wir der Meinung, dass Ihr, weil es sich um ein solch schmutziges Gewerbe handelt, Euch mit weniger als dem von uns gebotenen Lehrgeld zufriedengeben solltet.«

      Mr. Gamfields Miene hellte sich auf, als er schnellen Schrittes zum Tisch zurückkehrte und sagte:

      »Was wollt’er denn geb’n, meine Herrn? Ich bitt Euch, seid nich zu hart zu nem armen Mann. Was wollt’er geb’n?«

      »Ich würde meinen, drei Pfund zehn seien mehr als genug«, sagte Mr. Limbkins.

      »Zehn Shilling zu viel«, warf der Herr in der weißen Weste ein.

      »Ich bitt Euch«, erwiderte Gamfield, »sag’n wir vier Pfund, meine Herrn, und Ihr seid’n für immer los. Schlagt ein!«

      »Drei Pfund zehn«, wiederholte Mr. Limbkins unbeirrt.

      »Gut, komm wir uns auf halb’m Weg entgegen, meine Herrn«, hakte Gamfield nach. »Drei Pfund fuffzehn.«

      »Keinen Heller mehr«, beharrte Mr. Limbkins.

      »Ihr werd mich noch ruiniern, meine Herrn«, sagte Gamfield, sich langsam geschlagen gebend.

      »Aber, aber, das ist doch Unsinn!«, rief der Herr in der weißen Weste. »Selbst ohne Lehrgeld würdet Ihr mit dem Jungen noch ein gutes Geschäft machen. Seid nicht dumm, nehmt ihn! Er ist der rechte Bursche für Euch. Hin und wieder braucht er den Stock, das wird ihm nur guttun, und seine Verpflegung dürfte Euch kaum teuer zu stehen kommen, denn in dieser Hinsicht ist er in seinem Leben bisher nicht sonderlich verwöhnt worden, hahaha!«

      Mr. Gamfield blickte bauernschlau in die Runde und begann, da er auf allen Gesichtern ein Lächeln erkennen konnte, ebenfalls vorsichtig zu lächeln. Man war sich handelseinig. Mr. Bumble wurde umgehend angewiesen, Oliver Twist noch am selbigen Tag samt Lehrvertrag zur Unterschrift und Genehmigung vor den Amtsrichter zu führen.

      In Ausführung dieses Beschlusses wurde der kleine Oliver zu seinem großen Erstaunen aus der Gefangenschaft entlassen und angewiesen, sich in ein sauberes Hemd zu kleiden. Kaum hatte er diese ungewohnte Leibesübung ausgeführt, als Mr. Bumble ihm eigenhändig einen Napf Haferschleim brachte und dazu die Feiertagsration von einem achtel Pfund Brot. Bei diesem ungeheuerlichen Anblick begann Oliver jämmerlich zu weinen, da er, was man nachvollziehen kann, dachte, der Vorstand müsse entschieden haben, ihn zu irgendeinem nützlichen Zwecke zu töten, denn warum sonst sollten sie beginnen, ihn derart zu mästen.

      »Heul dir nicht die Augen aus, Oliver, sondern iss und sei dankbar«, sagte Mr. Bumble mit wichtiger Miene. »Du kommst jetzt in die Lehre, Oliver.«

      »In die Lehre?«, fragte das Kind bange.

      »Jawohl, Oliver«, antwortete Mr. Bumble. »Die gütigen und segensreichen Herren, die dir deine Eltern ersetzen, da du ja keine hast, wollen dich in die Lehre geben. Sie werden dir den Weg ins Leben ebnen und einen Mann aus dir machen, obwohl es die Gemeinde drei Pfund und zehn Shilling kostet, Oliver! Siebzig Shilling! Einhundertundvierzig Sixpence! Und all das bloß für einen ungezogenen Waisenjungen, den niemand mag.«

      Als Mr. Bumble innehielt, um nach dieser Ansprache, die er in ehrfurchtgebietendem Ton gehalten hatte, Atem zu holen, liefen dem armen Jungen die Tränen übers Gesicht, und er schluchzte bitterlich.

      »Na, na«, sagte Mr. Bumble ein wenig milder, denn es verschaffte ihm ein Gefühl der Zufriedenheit, zu sehen, welche Wirkung seine Redekunst hervorgerufen hatte. »Na, na, Oliver! Wisch dir die Tränen mit dem Ärmel ab, und heul nicht in den Haferschleim, das ist dumm von dir, Oliver.« Womit er recht hatte, denn dieser war schon wässrig genug.

      Auf dem Weg zum Amtsrichter schärfte Mr. Bumble Oliver ein, er brauche nichts weiter zu tun, als möglichst fröhlich dreinzuschauen und, wenn der Herr Richter ihn frage, ob er denn in die Lehre gehen wolle, zu antworten, er könne sich nichts Schöneres vorstellen. Oliver versprach, beiden Anweisungen Folge zu leisten, umso mehr, da Mr. Bumble dunkel andeutete, dass, falls er auch nur den geringsten Ungehorsam zeigen sollte, nicht abzusehen sei, was mit ihm geschähe. Als sie beim Amt eintrafen, wurde er allein in ein kleines Zimmer gesperrt und von Mr. Bumble ermahnt, sich nicht vom Fleck zu rühren, bis er ihn holen komme.

      Dort wartete der Junge mit klopfendem Herzen eine halbe Stunde lang. Als diese Zeit verstrichen war, steckte Mr. Bumble seinen Kopf, der Zierde des Dreispitzes entblößt, herein und sagte mit lauter Stimme:

      »Oliver, mein Bester, komm jetzt zu dem Herrn.« Dabei setzte Mr. Bumble eine grimmige und bedrohliche Miene auf und fügte mit leiser Stimme hinzu: »Denk dran, was ich dir gesagt habe, du kleiner Halunke!«

      Auf diese widersprüchliche Anrede hin blickte Oliver Mr. Bumble unschuldig ins Gesicht, der Büttel gab ihm jedoch keinerlei Gelegenheit, etwas zu erwidern, sondern führte ihn sofort durch eine offenstehende Tür ins benachbarte Zimmer. Es war ein geräumiger Saal mit großem Fenster. Hinter einem Schreibpult saßen zwei alte Herren mit gepuderten Perücken auf dem Kopf. Der eine las in der Zeitung, während der andere mit Hilfe einer Hornbrille ein kleines, vor ihm liegendes Dokument prüfte. Mr. Limbkins stand auf der einen Seite vor dem Pult, und Mr. Gamfield, mit flüchtig gewaschenem Gesicht, auf der anderen, während zwei oder drei derb aussehende Männer in Stulpenstiefeln müßig umhergingen.

      Der alte Herr mit der Brille döste allmählich über dem kleinen Dokument ein, und nachdem Oliver von Mr. Bumble vor das Pult postiert worden war, entstand eine kurze Pause.

      »Das ist der Junge, Euer Ehren«, sagte Mr. Bumble.

      Der alte Herr, der in der Zeitung las, hob kurz den Kopf und zupfte den anderen alten Herrn am Ärmel, woraufhin zuletzt Genannter aufwachte.

      »Oh, das ist also der Junge?«, fragte der alte Herr.

      »Das ist er«, erwiderte Mr. Bumble. »Verbeuge dich vorm Herrn Richter, mein Guter.«

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