Oliver Twist oder Der Werdegang eines Jungen aus dem Armenhaus. Charles Dickens

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Читать онлайн книгу Oliver Twist oder Der Werdegang eines Jungen aus dem Armenhaus - Charles Dickens страница 8

Oliver Twist oder Der Werdegang eines Jungen aus dem Armenhaus - Charles Dickens Reclam Taschenbuch

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noch ein reicher Mann, Mr. Sowerberry«, bemerkte der Büttel, als er mit Daumen und Zeigefinger in die dargebotene Schnupftabakdose des Leichenbestatters griff, die das kunstvolle Miniaturmodell eines Sargs darstellte. »Ich sage Euch, Ihr werdet noch ein reicher Mann, Mr. Sowerberry«, wiederholte Mr. Bumble und klopfte dem Leichenbestatter freundlich mit dem Stock auf die Schulter.

      »Meint Ihr?«, fragte der Leichenbestatter in einem Ton, der die Wahrscheinlichkeit dieses Ereignisses halb einräumte und halb bezweifelte. »Die Summen, die mir die Gemeinde erstattet, sind nur sehr klein, Mr. Bumble.«

      »Genau wie die Särge«, erwiderte der Büttel und deutete gerade so viel von einem Lachen an, wie es sich ein wichtiger Amtmann erlauben durfte.

      Mr. Sowerberry, den diese Bemerkung sehr erheiterte, was sie ja auch sollte, lachte eine ganze Weile ohne Unterlass. »Nun ja, Mr. Bumble«, sagte er schließlich, »es lässt sich nicht leugnen, seit es die neuen Regeln zur Armenspeisung gibt, sind die Särge um einiges schmaler und flacher als früher, aber wir müssen ja auch irgendwie auf unsere Kosten kommen, Mr. Bumble. Gut abgelagertes Holz ist teuer, Sir, und die Eisengriffe kommen auf dem Kanalweg eigens aus Birmingham.«

      »Ja, ja«, sagte Mr. Bumble, »jedes Geschäft hat so seine Tücken. Aber dennoch sollte ein anständiger Gewinn dabei herausspringen.«

      »Natürlich, natürlich«, entgegnete der Leichenbestatter, »und wenn ich mal bei dem einen oder anderen Auftrag keinen Gewinn erziele, dann hole ich es auf lange Sicht eben woanders wieder herein, nicht wahr, hehehe!«

      »Genau«, bemerkte Mr. Bumble.

      »Obwohl ich sagen muss«, fuhr der Leichenbestatter mit seinen Betrachtungen, die der Büttel unterbrochen hatte, fort, »obwohl ich sagen muss, Mr. Bumble, dass ich mit einem großen Nachteil zu kämpfen habe, weil nämlich all die wohlbeleibten Leute am schnellsten wegsterben. Die Leute, denen es früher einmal besser gegangen war und die der Gemeinde viele Jahre lang Steuern gezahlt haben, gehen als erste zugrunde, wenn sie ins Armenhaus kommen, und ich sage Euch, Mr. Bumble, drei oder vier Zoll mehr, als man berechnet hat, reißen ein großes Loch in die Kasse, besonders wenn man Familie besitzt, für die man sorgen muss, Sir.«

      Da Mr. Sowerberry mit der gerechten Empörung eines Mannes sprach, dem Unrecht widerfahren war, und Mr. Bumble spürte, dass die Sache dazu angetan schien, ein schlechtes Licht auf die Ehre der Gemeinde zu werfen, hielt es letzterer Herr für geraten, das Thema zu wechseln. Und weil er gerade vor allem die Sache mit Oliver Twist im Kopf hatte, kam er auf ihn zu sprechen.

      »Ach, übrigens«, begann Mr. Bumble, »Ihr kennt wohl niemanden, der einen Lehrjungen sucht? Einen Jungen aus dem Armenhaus, der uns augenblicklich bloß zur Last fällt, ein Mühlstein am Hals der Gemeinde, wenn ich so sagen darf. Zu den besten Bedingungen, Mr. Sowerberry, zu den besten Bedingungen!« Während Mr. Bumble sprach, hob er seinen Stock zu der Bekanntmachung, die über ihm hing, und schlug dreimal kräftig auf die Worte »fünf Pfund«, die dort in riesigen Lettern gedruckt standen.

      »Alle Wetter!«, rief der Leichenbestatter und fasste Mr. Bumble an den goldgesäumten Aufschlägen seines Amtsrocks. »Genau darüber wollte ich mit Euch reden. Wisst Ihr – herrje, was für ein schmucker Knopf, Mr. Bumble, der ist mir bisher nie aufgefallen!«

      »Ja, der ist recht hübsch«, sagte der Büttel und schaute stolz auf die großen Messingknöpfe herab, die seinen Rock zierten. »Dieselbe Prägung wie auf dem Gemeindesiegel, der barmherzige Samariter hilft dem kranken, verwundeten Mann. Der Vorstand hat ihn mir am Neujahrsmorgen verliehen, Mr. Sowerberry. Ich habe ihn, das weiß ich noch genau, zum ersten Mal bei der Leichenschau dieses bankrottgegangenen Händlers getragen, der um Mitternacht in einem Hauseingang gestorben ist.«

      »Ich entsinne mich«, sagte der Leichenbestatter, »die Gutachter vom Gericht kamen zu dem Ergebnis: ›Starb durch Kälteeinwirkung und infolge mangelnder Versorgung mit dem Lebensnotwendigsten‹, nicht wahr?«

      Mr. Bumble nickte.

      »Und ich meine«, fuhr der Leichenbestatter fort, »es war ein besonderes Gutachten, weil sie noch einige Worte hinzufügten, die besagten, wenn der Armenfürsorger seiner Pflicht …«

      »Ach was, dummes Zeug!«, unterbrach ihn der Büttel. »Würden die Vorstände jeglichem Unsinn, den ignorante Gerichtsgutachter von sich geben, Beachtung schenken, hätten sie viel zu tun.«

      »Wohl wahr«, sagte der Leichenbestatter, »das hätten sie.«

      »Diese Leute vom Gericht«, sagte Mr. Bumble und packte seinen Stock fester, wie es seine Gewohnheit war, wenn er sich in Rage redete, »sind allesamt ein verbildetes, gemeines Lumpenpack von Leisetretern.«

      »Das sind sie«, stimmte der Leichenbestatter zu.

      »Die ham nich so viel Ahnung vom wirklichen Leben oder von volkswirtschaftlichen Dingen«, sagte der Büttel und schnippte verächtlich mit den Fingern.

      »Nicht so viel«, pflichtete der Leichenbestatter bei.

      »Ich verabscheue sie«, sagte der Büttel und wurde ganz rot im Gesicht.

      »Ich auch«, schloss sich der Leichenbestatter an.

      »Und ich wünschte bloß, wir hätten solche aufsässigen Leute vom Gericht mal ein oder zwei Wochen im Armenhaus«, fuhr der Büttel fort, »die Regeln und Anordnungen des Vorstands würden ihr Mütchen schon kühlen.«

      »Das täte ihnen wahrlich gut«, meinte der Leichenbestatter und lächelte zustimmend, um den wachsenden Zorn des aufgebrachten Gemeindedieners zu beschwichtigen.

      Mr. Bumble nahm den Dreispitz ab, holte aus der Wölbung des Hutes ein Taschentuch hervor, wischte sich damit den Schweiß, den seine Erregung hervorgerufen hatte, von der Stirn, setzte den Hut wieder auf, wandte sich an den Leichenbestatter und fragte mit ruhigerer Stimme:

      »Also, wie steht’s mit dem Jungen?«

      »Oh«, erwiderte der Leichenbestatter, »nun, wisst Ihr, Mr. Bumble, ich zahle eine ganze Menge Armensteuer.«

      »Soso«, bemerkte Bumble. »Und?«

      »Und«, fuhr der Leichenbestatter fort, »da dachte ich mir, wenn ich so viel für sie zahle, hab ich auch das Recht, so viel aus ihnen rauszuholen, wie ich kann, Mr. Bumble, und da … da hab ich mir halt überlegt, den Jungen selbst zu nehmen.«

      Mr. Bumble griff den Leichenbestatter am Arm und führte ihn in das Gebäude. Der Vorstand beriet sich fünf Minuten lang vertraulich mit Mr. Sowerberry, dann wurde vereinbart, Oliver solle noch am selben Abend »auf Probe« zu ihm gehen. Diese Floskel bedeutet bei einem Jungen aus dem Armenhaus, dass der Lehrherr, wenn er nach kurzer Probezeit feststellt, dass er aus dem Jungen mehr Arbeitskraft herausbekommt, als er Essen in ihn hineinsteckt, denselben für einige Jahre überlassen bekommt, um nach Belieben über ihn zu verfügen.

      Als der kleine Oliver am Abend »den Herren« vorgeführt und davon unterrichtet wurde, dass er noch heute als Gehilfe zu einem Sargmacher gehen solle, und er, falls ihm das nicht passe oder er jemals ins Armenhaus zurückkehre, zur See geschickt werde, um entweder zu ertrinken oder den Schädel eingeschlagen zu bekommen, zeigte dieser so wenig Gemütsregung, dass sie ihn einhellig einen verstockten kleinen Halunken hießen und Mr. Bumble befahlen, ihn unverzüglich fortzuschaffen.

      Obwohl es nur allzu natürlich war, dass die Vorstände, mehr als irgendwer sonst auf der Welt, angesichts des geringsten Anzeichens der Gefühllosigkeit von tugendhaftem Erstaunen und Entsetzen ergriffen wurden, so lagen

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