Blutgeld. Neal Hall
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Als sich das Fischerboot kanadischen Hoheitsgewässern näherte, beobachtete die Polizei wartende Hells Angels am Pier von Nanaimo. Unverzüglich änderten sie ihre Meinung über Stirling und baten die US-Behörden, das Boot zu stoppen, bevor es sein Ziel erreiche.
Am 21. Februar 2001 hielt die Küstenwache der USA das Boot also an und verhaftete die Crew. Sie fanden in einem Geheimversteck 2,5 Tonnen reines Kokain im Wert von 250 Millionen Dollar. Doch die ganze Angelegenheit endete mit einem unglaublichen Ergebnis. Die US-Staatsanwälte konnten nicht beweisen, dass die Drogen für die USA bestimmt waren, und mussten demzufolge von einer Strafverfolgung absehen!
Kurzfristig kämpfte Stirling um die Herausgabe des beschlagnahmten Bootes, doch er gab die Bemühungen auf, als seine Verhandlungen mit der RCMP durch Dokumente des US-Gerichts bekannt wurden.
Fünf Jahre später schnappte die Polizei Stirling an Bord der MV Baku vor der Küste von Vancouver Island. Das Schiff war von Halifax durch den Panamakanal verfolgt worden und transportierte Marihuana-Ballen im Wert von 6,5 Millionen Dollar. Doch Stirling hatte erneut Glück, denn die Krone ließ alle Anklagen gegen ihn und vier weitere Matrosen, zwei davon hatten schon auf der Western Wind gearbeitet, kurz vor Weihnachten 2006 fallen. Der Grund hierfür lag angeblich in Problemen, die sich bei der Verfolgung ergeben hätten, für die die Behörde für Fischfang und Ozeanographie verantwortlich war.
Die Polizei gab später bekannt, dass einer der Verdächtigen im Fall der Western Wind David Francis (Gyrator) Giles war, ein langjähriges Mitglied der Hells Angels. Giles kam ursprünglich aus Sherbrooke, Quebec, und gehörte zum dortigen Biker-Club, bevor er nach British Columbia umzog und dem East-End-Chapter beitrat. Im Fall der Western Wind wurde Giles jedoch niemals angeklagt. Vermutungen nach steckte die Mafia aus Montreal hinter dem Drogenschmuggel, die die Hells Angels aus B.C. mit dem Transport nach Quebec beauftragt hatten.
Das Versagen wurde später einem älteren RCMP-Beamten angelastet, der als Beispiel für das Scheitern der Mounties herhalten musste, sich im richtigen Moment einzubringen und die notwendigen Zahlungen zu leisten, um den Fall zu knacken. Andere benannten jedoch den Ermittlungsleiter als Schuldigen, da er seiner Quelle fälschlicherweise misstraute.
Der Fall der Western Wind wurde zum wunden Punkt einiger Ermittlungsbehörden, die die mangelnde Koordination verschiedener Einsatzkräfte beklagten, die bei optimaler Leitung wohl zu einer erfolgreichen Strafverfolgung geführt hätte.
Eine weitere Panne gipfelte in einem Prozess im Jahr 2006, bei dem sich der Polizeibeamte Allen Dalstrom, ein ehemaliger Angehöriger der Abteilung gegen Biker-Verbrechen, gegen seine ungerechtfertigte Entlassung zur Wehr setzte. Den von Dalstrom angeforderten Gerichtsakten nach schien der Prozess eine langgehegte Rivalität zwischen der Polizei Vancouvers und der RCMP zu offenbaren, die während eines missglückten Versuchs, die Hells Angels zu überführen, ans Tagesicht kam. Es war ein klassisches Beispiel für Kompetenzgerangel.
Dalstrom hatte für die Dienststelle gegen organisiertes Verbrechen in British Columbia (Organized Crime Agency of B.C, kurz OCABC) gearbeitet, einen Zusammenschluss mehrerer Behörden, deren Ermittlungen auf das organisierte Verbrechen abzielten. Er wurde 2004 von deren Leiter David Douglas gefeuert. Der Grund hierfür lag in Anschuldigungen gegen Dalstrom, der angeblich eine Multi-Millionen-Dollar-Untersuchung gegen die Hells Angels mit dem Codenamen Projekt Phoenix grob fahrlässig durchgeführt hatte. Dadurch konnten mehrere Mitglieder der Angels nicht belangt werden. Seine Vorgesetzten empörten sich zudem über angebliche Kommentare, die Dalstrom gegenüber Julian Sher, einem Journalisten aus Montreal, zu einem zweifelhaften Fall abgegeben haben sollte.
Laut den Gerichtsakten behauptete Dalstrom, keinen Fehler begangen zu haben. Der Fall gegen die Hells Angels hätte eine Anklage nach sich ziehen können, doch die Chance wurde durch interne Streitigkeiten in der RCMP zunichtegemacht.
„Bestimmte Personen der Führungsebene der RCMP in British Columbia stellten sich schon zu Beginn gegen die Gründung der OCABC, da dieser Dienststelle das Mandat erteilt wurde, das zuvor in der Obhut der RCMP lag“, behauptete Dalstrom in seiner Zeugenaussage. „Die RCMP in British Columbia versuchte die Provinzregierung davon zu überzeugen, die OCABC aufzulösen und das Mandat für die Ermittlungen gegen das organisierte Verbrechen wieder der eigenen Behörde zukommen zu lassen.“
Auf der Zeugenliste für den Prozess standen anerkannte Kriminalbeamte, darunter Deputy-Commissioner Gary Bass, damals der ranghöchste Mountie in B.C., der ehemalige Deputy-Commissioner Bev Busson und der ehemalige Chef der Polizei Vancouvers, Jamie Graham.
Doch als der Prozess gerade erst begonnen hatte, wurde er abrupt unterbrochen, um den Rechtsanwälten beider Parteien die Chance zu geben, einen Deal auszuhandeln. Dadurch konnte die Gefahr einer potenziell brisanten Zeugenaussage, die die langwährende Rivalität zwischen den Mounties und der Polizei von Vancouver offenbarte, schon im Vorfeld beseitigt werden. Es kam schließlich zu einer außergerichtlichen Einigung, bei der Dalstrom angeblich 2 Millionen Dollar erhielt.
Ungefähr einen Monat, nachdem man die Western Wind aufgebracht hatte, und wenige Tage vor der Freilassung Stirlings und seiner Crew, die von den USA nicht anklagt wurden, gelang der Polizei in B.C. der erste Erfolg gegen die Hells Angels. Die beiden Mitglieder des East-End-Chapters Ronaldo „Ronnie“ Lising und Francisco Batista „Chico“ Pires wurden des Kokainschmuggels überführt und verurteilt.
Bei dem Fall, auch bekannt als Projekt Nova, spielte der Drogendealer und Kleinkriminelle Robert Molsberry eine wichtige Rolle. Er hatte als Türsteher im No. 5 Orange gearbeitet, einem Stripclub in Vancouver, an der Ecke Main Street und Powell gelegen – und nur einen Block von der Polizeiwache Vancouvers an der Main 312 entfernt.
Molsberry gab bereits 1996 bei der Polizei zu Protokoll, dass er um seine Sicherheit fürchte, denn Ronnie Lising, Chico Pires und andere verfolgten ihn aufgrund von Drogenschulden. Molsberry stimmte zu, sich „verdrahten“ zu lassen, also eine Abhörapparatur zu trägen, mit der die Beamten Gespräche mitschneiden konnten, und als Polizeispitzel zu arbeiten. Als Entlohnung erhielt er 1.000 Dollar, um seine Drogenschulden zu bezahlen, und das Versprechen einer monatlichen Zahlung für die Dauer der Ermittlung. Zusätzlich stellte man ihm eine Barzahlung nach einem abgeschlossenen Prozess in Aussicht.
Insgesamt erhielt Molsberry 25.000 Dollar. Für den Fall eines Fehlschlags der Untersuchung wurde ihm die Aufnahme ins Zeugenschutzprogramm versprochen. Basierend auf der Vereinbarung mit Molsberry stellte die Polizei einen Antrag für ihren „Lauschangriff“ gemäß Paragraf 184.2 des Strafgesetzbuches. Er wurde vom damals beim Supreme Court in B.C. tätigen Richter Wally Oppal genehmigt, der später seine berufliche Tätigkeit als Richter am Berufungsgericht fortsetzte und zum Generalstaatsanwalt aufstieg.
Als Nächstes stellte man eine Gruppe vertrauenswürdiger Cops für die Geheimoperation auf, die von der OCABC koordiniert wurde, um die Anzahl der eingeweihten Beamten zu klein zu halten.
Die Polizei beobachtete zwei Stripclubs, in denen Drogen verkauft wurde – das No. 5 Orange und die Marble-Arch-Bar. Die Transaktionen erfolgten meist im Clubhaus der Hells Angels in Vancouver, an Tankstellen, in Restaurants und Fitnessclubs. Die Angels bezeichneten das Kokain auf Papierbotschaften und in Handy-Telefonaten als „Lunch“, „Dinner“ oder „Bier“.
Im Prozess stellte