The Who - Maximum Rock I. Christoph Geisselhart
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Ich habe dieses Buch schließlich genau so geschrieben, wie ich die ganzen Jahre selbst gern ein Buch über The Who gelesen hätte – mit möglichst vielen biografischen und musikalischen Details, und, das muss zugestanden werden, relativ unkritisch. Als Fan war ich der Auffassung, dass The Who sich mehr als genug selbst zerfleischt und zerpflückt haben; meine Aufgabe sollte vor allem darin bestehen, die vielen Quellen, Berichte, Meinungen zu einem anschaulichen Gesamtbild zusammenzufügen.
Das wäre mir natürlich nie gelungen: Ein wirklich authentisches, aktuelles und meiner Liebe zu The Who angemessenes Buch zu verfassen, eine deutsche Who-Bibel sozusagen, die den Werdegang der britischen Band für das deutschsprachige Publikum transparent macht und dem Anspruch der Who-Fans genügt – wenn ich nicht das Glück gehabt hätte, viele hilfsbereite Menschen aus dem Umfeld der Band persönlich befragen zu können.
Besonders möchte ich natürlich Irish Jack hervorheben, der The Who seit 1962 begleitet hat und der den Traum aller Fans erlebte: mit seinen Idolen befreundet zu sein. Darüber wurde er fast so berühmt wie The Who selbst, die ihm in Quadrophenia ein Denkmal setzten. Es war immer ein besonderes Vergnügen, seine in der besten Tradition großer irischer Dichter abgefassten Botschaften von der grünen Insel zu empfangen – die deutschen Fans werden ihm seine großartige Mitwirkung an diesem Buch hoffentlich danken. Godfrey Townsend, der Mann, der sich trotz fehlendem „h“ im Nachnamen von 1994 bis 2002 mit John Entwistle auf der Bühne feurige Gitarrenduelle lieferte, verdient ebenfalls allergrößten Dank. Seine engagierte Unterstützung über viele Monate hinweg war ungeheuer wertvoll für dieses Buch. Unter den vielen Musikern, Anhängern und Geschäftspartnern der Gruppe, die mir mit wichtigen Auskünften zu Diensten standen, möchte ich vor allem auch Simon Phillips erwähnen, den Who-Schlagzeuger zwischen 1989 und 2000; ferner Shel Talmy, den Produzenten der frühen Who-Platten; Klaus Voormann, der Keith Moon in seiner irrwitzigsten Phase erlebt hat und davon immerhin genug Bruchstücke in Erinnerung behielt, um mir einen nächtlichen Liebesbrief zum verrücktesten Trommler der Welt zu entlocken; sowie Dave Snowdon und Lawrence Ball, die mir zu guter Letzt noch das Mysterium jener Software erklärten, mit der Pete eines Tages seinen Traum von einem Konzert verwirklichen will, das aus der individualisierten Musik seiner Zuhörer eine universale Sinfonie erzeugt (siehe Band 2 dieser Biografie). Oliver Baumann, Bassist der deutschen Coverband Whoareyou, der alles über Johns instrumentale Geheimnisse weiß, und Stefan Jahnke, Manager von Sweety Glitter & The Sweethearts, haben von deutscher Seite aus versucht, wichtige Fragen für mich zu klären.
Es bleibt spannend, The Who zu verfolgen, und ich bin mir sicher, dass das letzte Kapitel in der Geschichte der größten Rockband aller Zeiten noch nicht geschrieben ist. Ein kluger Mensch hat einmal gewarnt, wir Sterbliche sollten den Göttern besser nicht zu nahe kommen. Da scheint mir viel Wahres dran zu sein, wenn ich die vergangenen vierundzwanzig Monate an mir vorüberziehen lasse. Trotzdem hoffe ich, dass es mir gelungen ist, dem Leser jene vier Unsterblichen so nahe wie möglich gebracht zu haben, die einst in den grauen Vierteln von Nordwest-London geboren wurden und heute wie für alle Zeiten aus dem Olymp der Rockgötter grüßen: Long live Rock!
Christoph Geisselhart, 17. Oktober 2008
Teil 1: Overture (1944 bis 1964)
„Warum sind wir vier zusammengekommen und haben diesen ganzen Krach gemacht?“
Roger Daltrey
„Der Anfang war der aufregendste Abschnitt unserer Karriere“, schrieb Pete Townshend 1997 im Buch The Who Concert File von Joe McMichael und „Irish“ Jack Lyons, ohne den Zauber zu erklären, den eben jene sagenumwobenen Gründerjahre auf einen Rockmusikfan ausüben, der sie nicht selbst erleben durfte.
Der Autor dieser Biografie wurde 1963 geboren, als Roger Daltrey, John Entwistle und Pete Townshend unter dem Namen The Detours bereits auf ihrer Ochsentour durch die Klubs und Tanzsäle von West-London waren und ein faunenhafter Jüngling namens Keith Moon mit einer abgeblichen Surfsoundcombo namens The Beachcombers durch die Kneipen entlang des Themse-Ufers tingelte…
Und schon sind wir mitten im Mythos.
Doch wie war es wirklich? Oder um mit Roger Daltrey zu fragen: Wie konnte es geschehen, dass vier so unterschiedliche junge Männer aus West-London, die außer ihrer Musik scheinbar nichts verband, die sich zeitweise sogar hassten, prügelten, bekriegten – dass diese vier Männer zu Weltruhm gelangten und fast ein halbes Jahrhundert lang Musikgeschichte schrieben?
Um den Zauber und das Wunder ihrer Zusammenkunft zu erklären, muss man weit zurück blicken.
Die Geschichte der trommelfellbetäubenden und für ihre exzessive Bühnenshow berüchtigten Rockband The Who beginnt im Kriegsjahr 1944, als Europa unter Bomben und Granaten erzitterte und die Schreie der Todgeweihten und Verwundeten in Rauch und Gas erstickten.
An seinem zweiundsechzigsten Geburtstag erklärte der im Krieg geborene Roger Daltrey, es sei wohl fraglich, ob die erstaunlich lange Phase des Friedens in Europa ohne Rock’n’Roll so ruhig verlaufen wäre, weil „der Rock’n’Roll diese ganze finstere Energie beanspruchte. Es sah vermutlich so aus, als würden wir die Kids anheizen; aber in Wirklichkeit haben wir eher einen Weltkrieg verhindert.“
Betrachtet man den Anfang der existenziellen Gratwanderung, die Roger Daltrey, John Entwistle, Keith Moon und Pete Townshend zu Ikonen der Rockmusik werden ließ, erscheint ihr gewaltiges Lärmen, Grollen, Zürnen, Toben wie ein donnerndes, episches Echo auf das Zeitgeschehen.
Die qualmenden, quietschenden, heulenden Verstärkerwände am Ende eines Who-Konzerts in den sechziger und siebziger Jahren erzeugten etwa den akustischen Eindruck eines Fliegerangriffs; die enthemmten Aktionen der Figuren auf der Bühne, die geisterhaft und wie fremdgesteuert zwischen Rauch und durch irrlichternde Lichtkegel über die Trümmer ihrer ehemals glorreichen Instrumente stolperten, erinnerten an die letzten Zuckungen auf einem Schlachtfeld. Jawohl, ein künstliches, in Musik getränktes, mit Ton und Note gemaltes Schlachtfeld war es, das diese vier britischen Jünglinge anrichteten, brutal, faszinierend, spektakulär, kraftvoll, respektlos. Und immer etwas lauter als alle anderen.
Ihre Schicksalsgemeinschaft begann im Krieg; und es blieb über viele Jahre ein Krieg, den The Who nach innen genauso vehement ausfochten, wie sie ihn mit harter Musik und unberechenbarer Bühnenpräsenz nach außen trugen. Die Generation der Väter hatte alles daran gesetzt, jede Beteiligung am wirklichen Krieg zu verdrängen. Ein Ersatzkrieg, ein künstliches Inferno musste her, um einer wirklichen Aufarbeitung und Heilung den Weg zu bahnen.
Keine Band der Welt hat diesen Aspekt der Rockmusik ernsthafter, erregender und unterhaltsamer aufgegriffen und in ihrem Werk verarbeitet als The Who.
Aus diesem Grund soll der Anfang ihrer Karriere auch besonderen Raum erhalten und wirklich am Anfang beginnen: im bis heute furchtbarsten Krieg der Menschheitsgeschichte, und zwar mit einer ganz und gar unglaubwürdigen Geburt, die es nach medizinischem Wissen nie hätte geben dürfen – mit einem Mythos also, wie es sich für eine Biografie über die verrückteste Rockband der Welt gehört.
1.: Geboren unter Blitz und Donner: Der erste Auftritt des Überlebenskünstlers Roger Daltrey
„Alle Häuser brannten.“
Rogers Mutter Irene Daltrey
Harry und Irene Daltrey dachten nicht daran, Shepherd’s Bush zu verlassen, nachdem sie geheiratet hatten. Das war erstaunlich;