The Who - Maximum Rock I. Christoph Geisselhart
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Mutter und Sohn lebten nach der Scheidung bei Queenies Eltern in der Southfield Road 81. John zeigte sehr früh Interesse an der Musik und wurde darin von seiner Familie auch tatkräftig unterstützt. Vom Großvater wird die Episode berichtet, dass er den Dreijährigen gern in seiner Kneipe auf einen Stuhl stellte, ihn lauthals singen ließ und den Hut dazu aufhielt – bis der Kleine eines Tages vom Stuhl fiel und davon eine Narbe zurückbehielt, die noch im Gesicht des erwachsenen John Entwistle zu sehen war.
Noch aber war Krieg, und einer, dem die Musik mehr als allen in die Wiege gelegt schien, machte sich bereit, den unter endzeitartigen Schlachten zitternden, donnernden, qualmenden und blutenden Planeten zu erobern.
3.: Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm: Die Geburt einer musikalischen Spürnase
„Cliff! Es ist ein Junge!“
Unbekannter Kradmelder, der Cliff Townshend die Geburt seines Sohns verkündet
Im Sommer 1944, als Harry Daltrey aus England abkommandiert und Irene samt Baby nach Schottland evakuiert wurden, hatte man im Swinging London trotz allem das Feiern nicht verlernt. Die Armee unterhielt ihre Soldaten mit populären Big Bands im Stil von Benny Goodman oder mit Varieté-Shows der beliebtesten britischen Unterhaltungskünstler.
Betty Vera Dennis, eine schlanke, groß gewachsene Sängerin, produzierte im Auftrag der Royal Air Force Radiosendungen, mit dem ebenfalls sehr angesehenen Sydney Torch Orchestra. Eines Tages erhielt sie einen dringenden Anruf. Der Entertainer Lesley Douglas, der sie in einer Show gesehen hatte, fragte Betty, ob sie für die erkrankte Sängerin seiner eigenen Band einspringen könne. „Ich glaube, es war in Bristol“, erinnert sich Betty. „Ich sagte zu und traf Cliff.“
Cliff hieß mit Nachnamen Townshend und war den Musikfreunden im britischen Empire kein Unbekannter. Schon vor dem Krieg hatte der talentierte Saxofonist in den Londoner Jazzklubs aufgespielt. Als mit dem Krieg überall in Europa vielköpfige Big Bands entstanden, baute die königliche Luftwaffe eine eigene Unterhaltungskapelle auf, das RAF Dance Orchestra. Einer ihrer besten Musiker war Cliff Townshend am Altsaxofon. „Auch Betty war sehr gut“, meinte Cliff rückblickend. „Ich hätte sie niemals geheiratet, wenn sie nicht gut gewesen wäre.“
Beide Bands, das RAF Dance Orchestra und das Sydney Torch Orchestra, waren in London stationiert. Betty, damals vierundzwanzig, und der drei Jahre ältere Cliff entwickelten eine stürmische Beziehung. Musik spielte darin eine wesentliche Rolle. Schon ihre Eltern hatten mit einer professionellen Musikerkarriere geliebäugelt. Cliffs Vater hatte als versierter Flötist vor dem Krieg Konzerte gegeben und war fast schon ein Berufsmusiker gewesen; seine Mutter hatte in Kabaretts gesungen, auch Bettys Vater galt als guter Sänger.
Am 19. Mai 1945, der Krieg war erst seit wenigen Tagen beendet, hatte Cliffs Orchester einen öffentlichen Auftritt, um die martialische Siegesrede eines Luftwaffenkommandeurs zu begleiten. Mitten in der Ansprache brauste ein Motorrad heran. Alle rechneten damit, dass dem Kommandeur eine wichtige Botschaft ans Mikrofon gereicht wurde; doch der Kradmelder schlitterte den Bühnenrand entlang, stoppte vor dem Orchester und verkündete in Richtung Bühne: „Es ist ein Junge, Cliff!“
Peter Dennis Blandford Townshend, wie der theatralisch angekündigte Knabe von den stolzen Eltern in voller Länge getauft wurde, sollte sein ganzes Leben im Licht und Schatten jener Bühnenwelt zubringen, die zu seiner Geburt applaudierte. Wie ein Musenbringer aus dem Olymp war der Kradmelder vor dem Orchester des Vaters erschienen, die Ankunft eines künftigen Musikheroen vor erwartungsvollen Zunftbrüdern ausrufend – ein herrliches, ein anekdotisches Bild, das dem Leben Peter Townshends eine durchgehende Linie zuweist.
Ohne das musikalische Erbe und die Tradition seiner Eltern wären die Errungenschaften, die Pete Townshend und The Who in die Geschichte der Rockmusik eingebracht haben, nicht möglich gewesen. Was die Eltern ihm in die Wiege legten, entwickelte der Sohn auf höchst eigenständige Weise weiter und brachte es mit einer Schar Gleichgesinnter zur Entfaltung. Dass ihm seine schon als Baby prägnante Nase dabei im Weg stand, war indessen ein Irrtum, dem selbst der Besitzer des beachtlichen Riechorgans jahrzehntelang beharrlich aufsaß.
4.: Eine Legende wird geboren: Aber wann?
„Er liebte einfach all die Aufmerksamkeit.“
Keiths Mutter über die frühe Lust ihres Sohns, im Mittelpunkt zu stehen
Der Mond symbolisiert das Unergründliche, ewig Emotionale; er reflektiert das schöpferische Licht der Sonne und erhellt die Nacht. Doch was auf seiner dunklen, dem Betrachter abgewandten Seite geschieht, bleibt verborgen.
Keith Moon, der mit seinem donnernden, rollenden, unvorhersagbaren, voranpeitschenden Schlagzeugspiel die Tradition seines Instruments revolutionierte und mit exzentrischen Eskapaden auch abseits der Bühne für Dramen und Burlesken sorgte, solange er lebte, hielt vieles verborgen.
Wie es sich für einen echten Rock’n’Roll-Mythos gehört, beginnt das Rätsel schon bei seiner Geburt. Nahezu alle Biografien über The Who, die offizielle der Band eingeschlossen, legen Keith Moons Eintritt in diese Welt auf den 23. August 1947 fest. Der Musikjournalist Tony Fletcher, der für seine Biografie Dear Boy über hundertzwanzig Zeugen aus Keiths Leben befragte, konnte jedoch nachweisen, dass sich der Drummer vor seinem Berühmtwerden ein Jahr jünger gemacht hatte, als er tatsächlich war. Keith Moon wurde in Wahrheit am 23. August 1946 geboren und war damit nur fünfzehn Monate jünger als Pete Townshend – was ihm wohl nicht ausreichte, um ein juveniles Image gegenüber dem saturiert wirkenden Songwriter zu etablieren.
Mit Keith Moon beginnt die Nachkriegszeit in der Geschichte der Who. Helden werden im Krieg geboren; doch um selbst ein Held zu werden, musste der letzte im legendären Quartett wohl außergewöhnliche Schritte unternehmen. Er begann damit konsequenterweise bei der Geburt und verschleierte seine Herkunft umso mehr, als sie beinahe langweilig zu nennen ist. Seine Mutter, Kathleen „Kitty“ Hopley, Tochter eines Eisenbahners, und der Bauernsohn Alfred Charles Moon trafen einander in den späten dreißiger Jahren, als Familie Hopley Urlaub in Kent machte. Die Farm der Moons lag unweit des Ferienorts Herne Bay, wo Arbeiterfamilien wie die Hopleys gern die Freuden des Strandlebens genossen. Als junger Bauer war Alf von der Einberufung freigestellt und konnte selbstbewusst um Kit werben.
Bald gewann er jedoch die Überzeugung, dass er eigentlich nie Bauer werden wollte und dass sein Land ihn brauchte. So nutzte er die Gelegenheit, sich freiwillig zum Wehrdienst zu melden, um nach dem Krieg ein anderes Leben führen zu können.
Alf und Kit heirateten noch im Krieg, 1941, in Nordwest-London. Sie bezogen ihr erstes urbanes Zuhause in Wembley, 224 Tokyngton Avenue, nahe dem Haus der Großeltern in Harlesden. Keith wurde auf dem Höhepunkt des britischen Nachkriegs-Babybooms im Central Middlesex Hospital, Acton Lane, geboren – ohne jede Komplikation. Er kam in eine geordnete, liebevolle und sichere Umgebung, die sich merklich von den dramatischen Umständen unterschied, in denen etwa Roger Daltrey sein erstes Lebensjahr verbrachte.
Keiths Eltern waren brave, einander fürsorglich und treu verbundene Menschen, die sich nichts sehnlicher wünschten, als ein behagliches und unaufgeregtes Leben führen zu können und ihr aufgewecktes Söhnchen nach Herzenslust zu verwöhnen. Alf arbeitete als Maschinist in einem metallverarbeitenden Betrieb und brachte jede Woche ein festes Gehalt nach Hause, Kit versorgte den Haushalt und hatte viel Zeit, dem drolligen Keith eine gute Mutter zu werden.
Hätte diesen braven Eltern jemand prophezeit, welch uferloses, skandalumwittertes und fieberhaftes Leben dieser niedliche Wonneproppen dereinst