The Who - Maximum Rock I. Christoph Geisselhart
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Nicht so Harry und Irene. Die bodenständigen Daltreys, beide gerade Anfang zwanzig, mieteten ein Häuschen in der Percy Road Nummer 15 und waren mit ihrem Dasein zufrieden. Harry arbeitete seit seinem vierzehnten Lebensjahr in der örtlichen Sanitärfabrik Armitage Shanks, wo unter anderem die damals aufkommenden Wasserklosetts hergestellt wurden. Seine Stellung erschien ihm nach zehn Jahren ausreichend sicher, um mit Irene an die Gründung einer eigenen Familie zu denken.
Was sich um diese Zeit, 1936, auf der anderen Seite des Ärmelkanals an politischen Umwälzungen ankündigte, beschäftigte ihn weit weniger als die Vorkommnisse, mit denen seine dreiundzwanzigjährige Frau bald zu kämpfen hatte. Denn neun Monate nach der Hochzeit wurde Irene – nein, nicht schwanger, wie man es erhofft und erwartet hatte, sondern sehr, sehr krank. Eine Niere musste in größter Eile entfernt werden. Noch schlimmer aber war: Die Ärzte erklärten der zu Tode Betrübten, dass sie in Folge dessen niemals Kinder bekommen werde. „Das brach mir fast das Herz“, erzählte Irene später; „ich hatte vier Schwestern, und alle konnten Kinder kriegen, nur ich nicht.“
Und es sollte für die Daltreys noch tragischer kommen. Irene erkrankte nach dem Eingriff an Polyneuritis, einer Form von Polio mit akuter Lähmung der Muskulatur und Störung des Nervensystems. Ein langes Jahr lag sie hilflos in der „Eisernen Lunge“, einem damals entwickelten Holzkasten, mit dem Patienten maschinell beatmet wurden; ohne jedes Gefühl im Körper starrte sie an die Krankenhausdecke. Nach ihrer Entlassung aus dem Hospital war sie weitere fünf Jahre, 1937 bis 1942, an den Rollstuhl gefesselt.
Doch die kleine, hübsche Frau war eine Kämpfernatur. Selbst als ihr Mann gleich nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs zur Armee eingezogen wurde und sie nicht mehr pflegen konnte, blieb sie zuversichtlich – und hartnäckig. Ihr größter Wunsch war ein Baby, da mochten die Ärzte hundertmal erklären, dass es aussichtslos sei, mit nur einer Niere ein Kind zu empfangen.
Im August 1940, nach dem schnellen Sieg der Wehrmacht über Frankreich, begannen die deutschen Luftangriffe auf London. Harry blieb zunächst in England stationiert und erhielt eine großzügige Genehmigung für Heimatbesuche, doch bald musste auch er als Schütze in den Krieg, und Irene teilte nun noch die Sorge aller Soldatenfrauen, Witwe zu werden.
Doch da, während eines Heimaturlaubs im Sommer 1943, geschah das Wunder. Harry, ein kleiner, schlanker Mann mit irischen Gesichtzügen, widerlegte auf schönste Weise eine medizinische Regel. Irene wurde schwanger, mit über dreißig Jahren, und ungeachtet einer acht Jahre langen Krankheit und des Krieges, der sich nun auch auf die Britischen Inseln ausgeweitet hatte. Gegen den Rat der Ärzte beschloss sie, das Kind auszutragen.
Im Winter 1943/1944 war der Luftkrieg um Großbritannien für die deutsche Luftwaffe eigentlich längst verloren, doch nach wie vor wurden Vergeltungsangriffe gegen die englische Bevölkerung geflogen. Als die Alliierten eine verheerende Luftoperation namens „Big Week“ durchführten, eine Serie von todbringenden Bombardements mit mehr als sechstausend britischen und amerikanischen Flugzeugen über Nürnberg, Hamburg, Braunschweig, Leipzig, Magdeburg, Berlin und entlang der Ruhr, heulten wenig später auch in London die Sirenen. Die Reste der deutschen Luftwaffe rächten sich mit einer Angriffsserie, die den Bewohnern der Londoner Vororte als „Miniblitz“ in Erinnerung geblieben ist. Bomben detonierten mitten in Wohngebieten, Flakgeschosse durchfurchten den erleuchteten Himmel, Jäger heulten mit knatternden MGs über die Fliehenden – und Irene stand kurz vor der Niederkunft. In jener Nacht packte sie ihre Sachen und zog mit Decken und Kleidern in den öffentlichen Bunker, den die Behörden in der Tube, der Londoner U-Bahn, eingerichtet hatten: „Ich lag im U-Bahnbunker von Shepherd’s Bush und versuchte zu schlafen – da setzten die Wehen ein.“
Es war der 29. Februar; 1944 war ein Schaltjahr. Irene, mittlerweile zweiunddreißig Jahre alt, hatte keine Angst, ihr Baby mit nur einer Niere zu bekommen. Sie hatte nur entsetzliche Angst vor den Luftangriffen, die ausgerechnet jetzt tobten, als Sanitäter in den Schutzbunker hasteten, um sie ins nahe Hammersmith-Hospital zu bringen. Während dieser Angriffe wurde das direkte Nachbarhaus der Daltreys von einem Volltreffer zerstört. Zwanzig Menschen, Nachbarn, Freunde, Bekannte, starben. Irene war wie durch ein Wunder unverletzt geblieben; ihr Haus blieb sogar bewohnbar; aber sie konnte die Flugzeuge, die Detonationen und das Heulen der Geschosse über sich hören, als sie auf dem Weg ins Krankenhaus war. Sie sah den Rauch und die Flammen in der Percy Road, und sie fürchtete um so mehr, dass ihre Panik sich auf das Baby übertragen werde, das kurz davor stand, in eine apokalyptische Welt geboren zu werden. „Die Sanitäter holten mich um neun Uhr. Er wäre ein Schaltjahrsbaby geworden, aber ich bat darum, ihn nicht vor dem ersten März zur Welt kommen zu lassen. Sie fragten: ‚Warum?‘ Ich antwortete: ‚Weil das der Geburtstag meiner Mutter ist.‘“
Irene Daltrey hatte so viele Hindernisse bis zur Niederkunft ihres Kindes überwunden, dass ihr diese letzte Hürde wohl gering erschien.
Und tatsächlich gebar sie ihren Sohn Roger Harry Daltrey wie gewünscht am 1. März 1944, einem Mittwoch, kurz vor zwei Uhr morgens, und der Junge, der als wildgelockter Leadsänger der lautesten Rockband der Welt berühmt werden sollte, war ganz und gar gesund.
2.: Stille Geburt: Später einmal wird John Entwisle ein ziemlich lauter Bassist
„Ich wurde während des Blitzkriegs geboren, und jeden Tag fielen Bomben.“
John Entwistle
Am 13. Juni schlug eine deutsche V1-Rakete, Hitlers letzte Vergeltungswaffe, in der Grove Road, Mile End, ein und tötete sechs Menschen. Die psychologische Wirkung auf die Londoner Bevölkerung war enorm, denn eine Woche zuvor waren die Alliierten in der Normandie gelandet, und alle hatten damit gerechnet, dass der deutsche Widerstand nun gebrochen sei.
Im Spätsommer und Herbst intensivierten sich die deutschen Verzweiflungsangriffe auf die britische Hauptstadt. Das furchteinflössende Jaulen der Doodlebugs, wie die V-Raketen genannt wurden, gehörte zum Alltag der Bewohner in der britischen Hauptstadt.
Ein paar Kilometer südwestlich der Percy Road, des ausgebombten Viertels der Daltreys, lebten Maud und Herbert Entwistle. „Queenie“, wie Maud genannt wurde, befand sich in den gleichen, gemeinhin glücklich bezeichneten Umständen wie Irene Daltrey einige Monate zuvor, aber sie teilte auch deren Kriegsängste. Das gepflegtere Chiswick, wo die Entwistles der Geburt ihres ersten Sohns entgegen sahen, war zwar nicht mit dem trostlosen Shepherd’s Bush vergleichbar, doch der maßvolle Wohlstand schützte natürlich nicht vor Fliegerangriffen. So schlug am 9. September 1944, nur einen Monat vor Johns Geburt, eine V2-Rakete in Chiswick ein. Glücklicherweise war das Haus der Entwistles nicht ähnlich nah am Katastrophenort gelegen wie jenes der Daltreys neun Monate zuvor.
Am 9. Oktober 1944, einem Montag, Winston Churchill weilte gerade in Moskau, um mit Stalin über eine noch zu bewerkstelligende Nachkriegsordnung zu verhandeln, erblickte der kleine John Alec Entwistle das Licht der Welt – im selben Krankenhaus wie Daltrey ein halbes Jahr zuvor.
Viel ist über die Geburt des künftigen Who-Bassisten, der von Beginn an offenbar wenig Bedürfnis verspürte, sich öffentlich nach vorn zu drängen, nicht bekannt. Vermutlich erinnert sich die Familie nur ungern an diese erste Zeit, denn achtzehn Monate nach Johns Geburt verließ Herbert Entwistle, ein Angehöriger der Kriegsmarine, das Haus, und die Eheleute ließen sich scheiden.
Man darf annehmen, dass diese familiäre Tragödie, lange bevor der Rock’n’Roll bürgerliche Konventionen niederzureißen begann, Johns Verhalten früh geprägt hat. In einem gediegenen Viertel wie Chiswick war eine Scheidung so kurz nach der Geburt sicher skandalös. Plötzlich standen Queenie und ihr Junge in diesen unsicheren Zeiten ohne Beschützer und Ernährer da – eine Konstellation, die Johns spätere Vorsicht und Zurückhaltung nach außen erklären