The Who - Maximum Rock I. Christoph Geisselhart
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Natürlich gab es noch andere Motive, aber vorwiegend befeuerte The Who bis zu ihrem ersten weltweiten, die ewigen Schulden tilgenden Publikumserfolg Tommy ein ausgeprägter, mit Arroganz gepaarter Ehrgeiz, verbunden mit dem Wunsch, möglichst schnell reich und berühmt zu werden. Der Glaube an eine bessere Welt, die Vision von Harmonie mit dem Universum, die Verteidigung der Würde des Menschen, der Einsatz für die Ideale des Rock’n’Roll – all das begann erst, nachdem sich The Who etabliert und gegen eine im Allgemeinsinn „gute“ Gesellschaft durchgesetzt hatten – und zwar mit „bösen“ Mitteln, indem sie Statussymbole angriffen und zerstörten, auch ihre eigenen: die fast wie religiöse Kultsymbole behandelte elektrische Gitarre und die bombastischen Schlagzeuge, die sich Keith anfertigen ließ.
Nach Tommy kippte der Prozess. Pete zerschmetterte nur noch sporadisch Gitarren, und Keith richtete seine Zerstörungslust auf sich selbst und auf sein Privatleben. Da die Musikindustrie zugleich jeglichen Edelsinn über Bord warf, entdeckten The Who auch in der Auseinandersetzung mit ihrer eigenen Kommerzialisierung den Kampf fürs Gute im Menschen und in der Rockmusik.
Sicher haben die starken Persönlichkeiten von Pete und Roger verhindert, dass The Who zum Spielball der Musikindustrie wurden. Das Interesse der Plattenmogule schrammte aber auch aus naheliegendem Grund an der Band vorbei. Sie war wohl enorm erfolgreich und wegweisend, sie galt als progressiv und einflussreich, sie verkaufte sogar phasenweise unfassbar viele Schallplatten; doch ihr Hauptgeschäftszweig war und blieb die Bühne.
In dieser strikten Ausrichtung bewegten sich The Who immer knapp am Mainstream vorbei. Sie standen dem Kommerz in jeder Hinsicht nahe, aber sie mussten sich nicht von der Plattenindustrie beherrschen lassen. Die Band blieb selbst im Erfolg unberechenbar und schwierig, für viele Kritiker und Fans und oft genug auch für ihre irritierten Geschäftspartner.
Wenn man sich die vierzehn maximalen Jahre mit Keith Moon aus einer gewissen Distanz betrachtet, wird man den eigentümlichen Eindruck nicht los, dass keiner der vier Bandmitglieder sich wirklich bewusst war, was er über weite Strecken tat. Besonders Pete, der gleichwohl zum kreativen Motor der Entwicklung wurde, und Keith taumelten zwischen erstaunlicher Hellsicht und medialer Benommenheit. Die ganze Gruppe erinnerte bisweilen an ein hochbegabtes, aber zu früh in die Erwachsenenwelt geschicktes Kind – Tommy, Townshends fiktiver Held, mit dem dreifachen Stigma von Blindheit, Taubheit, Stummheit (oder Benommenheit) geschlagen, liefert ein zutreffendes Abbild der Band und ihrer verschwommenen Beziehung zur Welt.
Tommy, Tommy, Tommy, und immer wieder Tommy! Der von Pete und seinem Mentor Kit Lambert entworfene, emotional und körperlich verkrüppelte spirituelle Superheld begann die gesamte Geschichte der Band zu überstrahlen. Sein Erfolg wurde zum Fluch, zum musikalischen Überego, zum Maßstab aller Werke zuvor und vor allem danach. Petes eigentlich leichtmusischer Genius wurde unter dem Gewicht und der Tommy zugestandenen Bedeutung fast zermalmt. Doch The Who besannen sich in der Krise auf ihre Wurzeln – ein Reflex, der oft dann einsetzte, wenn sie nicht weiter wussten. War es nicht ein Wunder, so weit gekommen zu sein, dass es anscheinend nur noch abwärts ging?
Vieles musste zusammen kommen, damit The Who innerhalb weniger Monate die Grenzen der quirligen Kleinkunstszene West-Londons überschreiten konnten. Der wichtigste Faktor aber war ganz unbestreitbar, „als wir Keith Moon gefunden hatten“, wie Pete erzählt. „Dieser Moment markierte einen vollkommenen Wendepunkt.“
Der kleine wilde Drummer darf in der Tat als größte Bereicherung und als entscheidende Herausforderung für das eingespielte Trio der drei Acton-Grammar-School-Zöglinge Daltrey, Entwistle und Townshend gelten. Die drei Älteren kannten einander seit sieben Jahren und waren zu einer musikalischen Einheit verschmolzen. Sie hatten Besetzungswechsel, Namensänderung und radikale Stilbrüche überdauert. Unter Fans und Kollegen galten sie als die Gruppe mit dem größten Potenzial im Tourzirkus von Bob Druce. Sie hatten das neue R&B-Material gemeistert, wie zuvor Hillbilly, Rock’n’Roll und Merseybeat, und sie begannen, eigene Ideen zu entwickeln. Sie arbeiteten hart an sich und mit ihrem Publikum, und sie schreckten vor nichts zurück. Sie hatten einen ehrgeizigen Mäzen im Hintergrund, erste, hoffnungsvolle Kontakte zur Musikindustrie und seit kurzem einen neuen PR-Manager mit aufregenden Vorstellungen. Der Plattenvertrag mit Fontana, einer Philips-Tochter, war nur noch eine Frage der Zeit, nachdem sie die Vorbedingung, den alten Schlagzeuger zu feuern, erfüllt hatten. The Who traute man den großen Sprung an die Spitze zu.
Mit Doug Sandom hätten sie ihn nie geschafft.
Keith Moon war mehr als nur ein außergewöhnlicher Schlagzeuger. Erst mit ihm wurden The Who auch mehr als eine außergewöhnliche Rock’n’Roll-Band. Die Gruppe entwickelte sich nach seinem Eintritt in rasender Geschwindigkeit zur maximalen Kunst- und Kultform in der noch jungen Popmusik, zum Sprachrohr einer ganzen Generation, angeführt von einem plötzlich wie entfesselt wirkenden Townshend, der in rascher Folge nahezu alles ausspie, was den Stellenwert der Who bis heute definiert.
Betrachtet man die schier irrwitzigen Schulden, die Drogenexzesse, die Skandale wegen ihrer kontroversen Songs, die ruinöse Unwissenheit ihrer Manager, private Sorgen und existenzielles Unglück, Schlägereien vor, auf und hinter der Bühne, eine paranoid anmutende Spur der Zerstörung durch die Musikarenen und Hotelzimmer dieser Welt, kommt man zu dem Ergebnis, dass The Who und vor allem Keith Moon auch die schattenhaften Elemente der sechziger und siebziger Jahre fast magisch anzogen. Keiths anarchistische Seele wirkte wie ein Katalysator auf Roger, John und Pete, die fast alles mitbrachten, was für eine Rockband erforderlich war. Nur Hemmungslosigkeit nicht. Mit Keith brachen die Dämme.
Der intellektuelle Pete Townshend, binnen weniger Jahre zum „Mastermind“ einer gesamten Szene ausgerufen, proklamierte „seine“ Who als überirdisches Kunstprodukt. Er arbeitete verbissen daran, auch mit Hilfe der beiden neuen Manager Lit Lambert und Chris Stamp, und feilte The Who im Geist und mit vielen klugen, frechen Worten für das Maximum in der Rockmusik zurecht. Doch erst Keith machte das Ganze lebendig. Sehr lebendig sogar. Keith, ein Besessener des Rockmusikkults, amüsierte sich buchstäblich dem Tod, der Dunkelheit, entgegen, und die Band wurde durch ihn ein „Monster“, unkontrollierbar und autonomer als erwünscht.
Das musste Pete, den Egozentriker, auf den Plan rufen. Wie ein musikalischer Dr. Frankenstein, der von seiner selbstgezüchteten Kreatur überrumpelt wird, versuchte er „seine“ Who zu zerstören, weil sie ihm zu banal, zu unecht, zu langweilig, zu unadäquat, zu unzeitgemäß geworden waren. Und Keith nahm den Ball begeistert auf. Er zerstörte aber nicht die Gruppe, sondern sich selbst. Er war „die verfluchte Seele dieser Band“, wie ihr Manager Stamp einmal sagte. Pete hingegen war ihr Gehirn. Er versuchte, in die Abläufe der Welt gestaltend einzugreifen, durchdrang ihre Versäumnisse, Eitelkeiten und Gemeinheiten – und zog sich zunehmend davon zurück. Keith stürzte sich mitten hinein. In die Versäumnisse, Missstände, Etikettierungen, Schweinereien; er sonnte und suhlte sich darin; er lebte die Dekadenz seiner Zeit und ging mit ihr unter.
Zwischen diesen beiden Extremen blieb die Band außergewöhnlich lebendig und wandelfähig. Verblüffenderweise wirkt Moons spiegelbildliche, undurchdachte Selbstinszenierung und Destruktion in der Nachschau oft genauso produktiv, fruchtbar, heilsam – und auf seltsame Weise sogar erzieherischer – als Petes scharfsinnige Thesen, Selbsterkenntnisse und artifizielle Schöpfungen. Roger, Pete und John waren zu allem bereit und hatten das erforderliche musikalische Talent. Aber ihnen fehlte jener zündende Funke, den nur ein verrückter Anarchist besitzt, der die Lunte zum Pulverfass selbst dann anzündet, wenn er auf dem Fass sitzt.
Das war Keith Moon; neben vielem anderen mehr. Ohne ihn hätte es die Bereitschaft zum Untergang nicht gegeben, und die ist unabdingbar, wenn man das Höchste dem Menschen Mögliche erlangen will. Vor allem in der Kunst, wo die Grenzen zur Person zerfließen, ja: zerfließen müssen, um das Ewiggültige zu erhaschen, braucht es oft radikale Selbstaufgabe, Selbstdurchdringung oder Selbstverherrlichung, die meist tragisch endet, wie viele Lebensgeschichten