The Who - Maximum Rock I. Christoph Geisselhart
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Zweitens bestimmte Roger noch immer ziemlich uneingeschränkt über Wohl und Wehe der Band. Er hatte zielsicher jenen Begriff ausgewählt, der nicht von seinem bandinternen Konkurrenten stammte und der außerdem sachte darauf hinwies, was Rogers eigentliches Thema im Leben wie in der Musik war: Identität.
Wer bin ich? Wer bist du? Wer steckt dahinter?
Roger legte die Grenzen fest, auch zu Petes Vorteil. Denn unter ihrem gemeinsamen Leitmotiv – „Identität“ – entwickelte sich Roger als Interpret, Pete als Songwriter und die Band in ihrer Beziehung zum Publikum. The Who war damit ein verblüffend programmatischer Name. Die Formulierung und Erfahrung von Identität sollte The Who in den folgenden vierzehn Jahren so viel innere Stabilität eintragen, dass die Bandmitglieder alle persönlichen Differenzen überwanden und die am längsten ohne Unterbrechung zusammen spielende Besetzung der Rockgeschichte wurden. Und die wohl einmalige Anhängerschaft der Who-Fans basiert mit Sicherheit ebenfalls darauf, dass sie ihre Identität mit The Who und in deren Songs erfühlen.
Die offizielle Taufe in The Who im Oldfield Hotel verlief laut Doug Sandoms Erinnerung wie erhofft: „Wir beendeten unser Set, und Lou nahm das Mikro und sagte: ‚Wer ist wieder hier nächste Woche?‘’ Und alle riefen: ‚Die Detours.‘ Und er fragte: ‚Die Wer?‘ Darauf alle: ‚The Detours.‘ Und er wieder: ‚The Who?‘ Und so weiter und so fort. Und zum Schluss hatte er es geschafft, dass es bei jedem angekommen war; aber sie kriegten es noch nicht richtig in den Kopf, es war ein zu seltsamer Name.“
Nach allem, was wir heute wissen, spielten The Who erstmals unter ihrem neuen Namen am 20. Februar 1964 im Oldfield Hotel, und die Ansage von Lou lautete wörtlich: „Who’s up here next week?“
Es war wirklich ein seltsamer Name. Ein sehr seltsamer. Aber er funktionierte. Barnes druckte an der Kunstschule die ersten Poster für die Auftritte im Railway Hotel jeden Dienstag, und „The Who“ prangte tatsächlich bald weithin sichtbar von den Wänden. Außerdem wurde mit Gordons finanzieller Hilfe eine kleine Anzeige im Melody Maker geschaltet, unterstützt auch von Marshalls Werbung, der natürlich The Who als Kunden nannte.
Vor der Umsetzung der programmatischen Idee, die in ihren Trägern sicher erst halbbewusst geschlummert hatte, musste das kreative Spannungsfeld freilich noch viel komplexer und kunstvoller werden. Es gab zwar die krachenden Auseinandersetzungen zwischen Roger, dem Boss, der gleichwohl angreifbar war, und seinem entschlossenen Herausforderer Pete, der schon alle künftigen Waffen in Reichweite hielt und nur auf den geeigneten Moment zur Revolution zu warten schien – doch im Fußvolk fehlte der Enthusiasmus.
John war unbestritten auf dem Weg, ein hervorragender, bahnbrechender Musiker zu werden, in emotionaler Hinsicht jedoch wirkte er viel zu ausgleichend, zu unkämpferisch, um den Erfolg um jeden Preis anzustreben. Er glättete die Wogen lieber, statt einen Sturm zu entfesseln, und er hielt sich aus jeder Konfrontation mit britischer Distinguiertheit heraus.
Blieb noch Doug. Er hatte den ständigen, nervenaufreibenden Antagonismus zwischen Daltrey und Townshend, der sich an allen Fragen zur Musik und ihrer Umsetzung entzündete, genauso satt wie John, konnte sich aber nicht so einfach heraushalten wie der stoische Bassist, der seinen Spitznahmen „The Ox“ auch aus seiner Einhalt gebietenden, massiven Körperlichkeit bezog. Einen Stier reizte man nicht zu sehr; einen kleinen, zartgliedrigen, etwas miesepetrig dreinblickenden Schlagzeuger mit gegenläufiger Ambition schon eher.
Doug konnte mit Rogers und Petes ehrgeizigen Jugendträumen von Ruhm und Reichtum nichts mehr anfangen. Seine Frau erwartete ein Kind, nächtelange Diskussionen um Klang und Note waren aus seiner Sicht fruchtlos. Er konnte sie freilich auch nicht beenden. Vielleicht litt er darunter besonders, dass er der Älteste und Erfahrenste, zugleich aber der Schwächste war, ein Zweiunddreißigjähriger ohne Autorität bei dem erst neunzehnjährigen Pete und bei Roger, der kurz nach der Umbenennung in The Who zwanzig geworden war.
Pete stichelte gern über Dougs Rolle unter der Fuchtel seiner Frau, die naturgemäß kein Interesse hatte, ihren Ehemann sechs oder sieben Nächte pro Woche unter wildgewordenen sechzehnjährigen Mädchen verbringen zu lassen.
Roger hielt sich dagegen bei diesem Thema merklich zurück, denn er kreuzte inzwischen selbst bedrohlich nahe am Hafen der Ehe. Seine um die Leibesmitte bereits recht füllig gewordene jugendliche Geliebte, die sechzehnjährige Jacqueline Rickman, bestand zwar nicht auf einer gesetzlich legitimierten Beziehung; aber Roger war viel zu sehr Ehrenmann und in den moralischen Gepflogenheiten seines Milieus verhaftet, als dass er die noch nicht volljährige Mutter seines Sohns im Regen stehen lassen konnte.
Am 28. März 1964 wurde geheiratet, standesamtlich. Trauzeuge war sein Freund John Reader, der gelegentlich als Roadie für The Who aushalf. Unter den Gästen des Empfangs in Putney waren auch Johnny Kidd und seine Piratenbande, mit denen sich Roger während ihrer gemeinsamen Auftritte angefreundet hatte. Doch trotz aller Bemühungen, der Pflichtheirat etwas Positives abzugewinnen, wollte sich keine rechte Feierlaune einstellen. Roger wusste, dass er noch kein guter Vater und Ehemann sein konnte. Seine Mutter sah das ähnlich. Sie mochte nicht erkennen, wie die hübsche, brave, stille Jacqueline mit der Rockwelt zurechtkommen sollte: „Sie war ein liebes Mädchen von nebenan und völlig fehl am Platz in dieser Szene. Das konnte nicht halten.“
Das Paar bezog eine kleine Einzimmermietwohnung in Wandsworth; doch bereits einen Tag nach der Heirat, am Ostersonntag, war der frischgebackene Ehemann unterwegs zu einem Auftritt nach Brighton, wo es zur ersten legendären Schlacht zwischen Mods und Rockern kam. Das Leben eines zwanzigjährigen Popsängers vertrug sich schlecht mit der bürgerlichen Institution Ehe. „Tatsache ist, sobald du eine Gitarre in die Hand nimmst, sitzt da immer ein Vögelchen auf dem Griffbrett“, gestand Roger blumig seine Untreue. „Ich wollte Frauen, und ich wollte Geld, und Rock’n’Roll gab mir beides.“
Nach Konzerten nächtigte Roger oft im Möbelwagen, den The Who als Transporter benutzten, damit er nicht hin- und herfahren musste, wenn er am Morgen in der Fabrik anzutreten hatte; es ist anzunehmen, dass das eine oder andere Vögelchen sein mobiles Nachtlager mit ihm teilte. Ein paar Monate schaffte er es halbwegs, die Fassade aufrecht zu erhalten und Jacqueline nicht allein zu lassen. Aber irgendwann blieb er ganz im Möbelwagen: „Ich wusste, wenn ich nicht frühzeitig von ihr wegging, würde ich mein ganzes Leben lang Blechschweißer in einer Fabrik sein. Ich musste mich zwischen meiner Ehe und der Band entscheiden.“
Wie immer, wenn Roger vor einer Herzensentscheidung für oder gegen die Band stand, traf er die Wahl, auch wenn sie noch so schwer fiel, für die Band.
Doug hingegen distanzierte sich zunehmend von der Gruppe. Es wirkte beinahe so, als benützte er seine schwangere Frau als Vorwand, um möglichst wenig Zeit mit der Band verbringen zu müssen. Lillian Sandom hasste The Who und speziell Pete, der sich ihr gegenüber wenig galant verhielt. Hinzu kam, dass sich Doug wesentlich vom neuen Publikum unterschied, das viel jünger war, andere Klamotten trug als er, Pillen schluckte, sich mit Rockern prügelte, aufgedonnerte Motorroller fuhr und seltsam autistische Tänze vor der Bühne zelebrierte – Pete und John hingegen fanden das alles recht aufregend.
Doug hatte sich aber auch musikalisch von der Band entfernt – oder eher sie sich von ihm, denn mit dem neuen R&B-Material kam er