New Order, Joy Division und ich. Bernard Sumner

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New Order, Joy Division und ich - Bernard Sumner

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wir doch etwas wert waren.

      Um diese Nacht hat sich im Verlauf von über 30 Jahren, die seither vergangen sind, eine eigene Mythologie entwickelt. Rock’n’Roll hatte einst als etwas Rohes und Simples begonnen, aber zur Mitte der Siebzigerjahre war er vorrangig von Angebern geprägt. Bevor die Pistols und andere Punkbands auftauchten, schien Musik ein privater Club zu sein, zu dem in zunehmendem Maße nur mehr Virtuosen Zutritt erhielten. Ein großer Teil der damaligen Musik – wenn auch nicht alles – war abgehobener, selbstverliebter, aufgeblasener Blödsinn. Der Hauptschuldige hieß Prog-Rock – er schien die Musik gelähmt und unter einer dicken Schicht von Konzepten erstickt zu haben.

      In den Sixties war ich noch sehr jung und hörte Bands wie die Stones, die Beatles, die Animals, die Kinks und viele andere mehr. Das waren Bands mit großartigen Songs und tollen Gitarrensounds. Für diese Bands war das große Ganze stets wichtiger gewesen als das Individuum, aber gegen Mitte der Siebzigerjahre hatte sich die Musik zu großen Teilen dem Pompösen zugewandt. Raffinesse wurde zum Kult überhöht: Bands wie etwa Emerson, Lake and Palmer und Yes produzierten unüberschaubare Konzeptalben, die so ziemlich das Gegenteil von dem waren, was mir an Musik gefiel. Punk und die Pistols schlugen höhnisch grinsend eine Schneise durch all die aufgeblasene Pompösität. Sie kreuzten genau zur richtigen Zeit auf und hatten die exakt richtige Gesinnung. Als wir da auf dem klebrigen Boden der Lesser Free Trade Hall standen und ein paar Jungs, die ein wenig wie wir selbst wirkten, aber eine wahre Flutwelle von Attitüde entfesselten, zusahen, erhielten wir die Bestätigung, dass wir nicht alleine waren. Es gab noch andere, die so fühlten, wie wir das taten. Ich muss es irgendwie geahnt haben, dass dies nicht bloß einfach ein Konzert wie jedes andere werden würde, denn ich hatte einen Kassettenrekorder bei mir, um es mitzuschneiden. Leider war die Aufnahme, als ich sie zuhause anhörte, völlig verzerrt, was an meinem beschissenen Rekorder gelegen haben könnte – oder daran, dass die Pistols nun mal so klangen. Egal, irgendetwas an dem Erlebnis fand Widerhall bei uns. Ob es nun eine völlig neue Offenbarung war oder einfach eine Saat, die schon zuvor in uns geschlummert hatte, zum Keimen gebracht wurde, lässt sich nur schwer sagen. Allerdings lässt sich nicht von der Hand weisen, dass in diesem Sommer etwas in der Luft lag – wir hatten die Witterung aufgenommen und folgten diesem feurigen, verschwitzten Aroma.

      Manchmal habe ich trotzdem das Gefühl, dass die Leute ein bisschen mehr aus diesem Abend machen, als er tatsächlich war. Ich sehe das so: Zu dieser Zeit kam eine Bewegung namens Punk auf, die bei vielen Leuten einen Nerv traf – ganz so, wie das später auch auf Acid House zutreffen sollte. Wir gingen auf Punk-Gigs, weil sie eben gerade stattfanden. Später war es dasselbe mit Acid-House-Events. Es war eine tolle Erfahrung, gar keine Frage, und die Pistols sollten sich ja auch wirklich als einflussreich herausstellen. Der Umstand, dass gewisse Leute an diesem Abend im Publikum waren, die später selbst gewisse Dinge vollbrachten, macht natürlich eine gute Story daraus. Doch ist in späteren Jahren nicht der Bogen in puncto Reichweite dieses Konzerts von Leuten, die gar nicht dabei waren, ein wenig überspannt worden? Für mich war es jetzt nicht so, als hätte ein göttlicher Lichtstrahl direkt aus dem Himmel uns gestreift. Es war zweifellos sehr inspirierend – aber darin liegt ein subtiler Unterschied. Ich glaube, dass der Mythos, der sich um diesen Gig herum entwickelt hat, ein wenig geradegerückt werden muss. Punk war eine interessante, aufregende neue Bewegung, von der nur wenige Leute in Manchester durch die Musikpresse erfahren hatten, weshalb sich eben nur ein bestimmtes Publikum beim Konzert einfand. Ich hatte die Buzzcocks vor den Sex Pistols gesehen. Sie hatten ein paar tolle Lieder und waren ebenfalls einer unserer Einflüsse – und bloß weil um dieses eine Konzert der Pistols so ein Kult entstanden ist, sollte das nicht unerwähnt bleiben.

      Meiner Meinung nach gelingt es manchen Leuten, einen gewissen Zeitgeist aufzuschnappen, den sie dann als Ventil für ihre eigene Kreativität oder Ausdrucksform zu nutzen wissen. Ich glaube nicht, dass dies bewusst geschieht. Es ist kein erlerntes Verhalten, sondern etwas anderes, eine Art Instinkt. Eine Person kann, um sich Wissen anzueignen, auf unterschiedliche Methoden zurückgreifen. Zur Schule zu gehen, den Lehrern zuzuhören, alles mitzuschreiben, auswendig zu lernen, wäre etwa ein traditionelles Modell. Doch gibt es auch einen anderen Ansatz, der voraussetzt, dass man die Welt beobachtet und seine eigenen Schlüsse, basierend auf den eigenen Erfahrungen, zieht. Dabei absorbierst du die Dinge, die dir richtig erscheinen, und interpretierst sie, filterst sie durch deine eigene Wahrnehmung und lernst, wann und wie du deinen Instinkten vertrauen kannst. Genau so entdeckte und erforschte ich die Musik und suchte mir meine Einflüsse so aus, damit ich schließlich selbst Musik erschaffen konnte.

      Punk rückte während des Sommers 1976 ins Zentrum unseres kulturellen Lebens. Uns behagte sein antiautoritärer Aspekt, aber was viele Leute oft vergessen, ist, dass eine der wichtigsten Botschaften von Punk war, sich nicht übermäßig ernst zu nehmen. Klar, kämpft gegen das System, aber habt auch euren Spaß dabei. Ihr seid jung, ihr solltet das Leben genießen, ganz unabhängig von all dem Scheiß, mit dem ihr euch sonst abquälen müsst. Die Musik strotzte nur so vor unglaublicher Energie. Sie war mit nichts, das ich je gehört hatte, vergleichbar. In diesem Alter, wenn man ein Teenager oder in seinen frühen Zwanzigern ist, ist man selbst randvoll mit Energie, und braucht ein Ventil dafür. Punk-Gigs waren dafür perfekt. Man konnte dort einfach durchdrehen. Es war gleichzeitig ein Konzert und eine Party. Es war ähnlich wie mit Acid House – nur ohne Drogen. Nun ja, zumindest anderen Drogen.

      Nach einer Kindheit, in der Musik nur eine minimale Rolle gespielt hatte, erhielt ich nun während meiner Flegeljahre einen hochintensiven Crashkurs. Es war, als ob ich mich rasch durch die verschiedenen Gänge eines musikalischen Getriebes nach oben arbeitete – und mit Punk schaltete ich dabei in den fünften. Eine der Nachwirkungen des Pistols-Gigs war, dass ich nun die E-Gitarre, die mir meine Mum Jahre zuvor gekauft hatte, in einem völlig neuen Licht betrachtete. Nachdem ich nun Punk kennengelernt hatte, sollte sie plötzlich mehr sein als ein Staubfänger oder Kleiderhaken. So verschloss ich eines Abends die Türe meines Schlafzimmers, setzte mich aufs Bett, blies den Staub fort, öffnete das Gitarrenbuch, das ich gekauft hatte, und fing an, das Instrument zu erlernen. Der Beginn war nicht gerade vielversprechend: Die ersten paar Seiten des Buches befassten sich damit, wie man die Klampfe stimmte, aber ich wusste nicht, in welche Richtung man die Wirbel drehen musste, um die Saiten hoch oder tief zu stimmen. Ich hatte damals nicht gerade das feinste Gehör, weshalb sich die Geräusche, die ich fabrizierte, wohl ziemlich abscheulich angehört haben müssen. Aber ich klemmte mich dahinter, weil Musik zur wichtigsten Sache in meinem Leben geworden war. Zuerst hatte ich sie mir angehört, dann hatte ich sie käuflich erworben, dann anderen dabei zugesehen, wie sie sie spielten – und nun war ich entschlossen, dasselbe zu tun.

      Nach dem Konzert der Pistols war Hooky nach Manchester gefahren und hatte sich eine Bassgitarre und ein Buch wie meines gekauft, um drauf spielen zu lernen. Ich glaube, er zahlte dafür 35 Pfund, was damals ein schöner Batzen Geld war. Das Problem mit unseren Büchern lag darin, dass sie auf dem 12-Takt-Schema, der Grundlage beinahe aller Blues- und Rock’n’Roll-Kompositionen, aufbauten. Alle Songbeispiele stammten aus den Fünfzigern und waren Schnee von gestern. Dafür fehlte uns das Interesse. Ich konnte mich weder für Blues noch für altbackenen Rock’n’Roll besonders erwärmen – was ich spielen können wollte, war Punk. Komischerweise gab es aber kein Buch, das mir das beibringen hätte können.

      Trotzdem ließ ich mich nicht davon abbringen, weiter vor mich hin zu schrammeln. Ich übte bis spät in die Nacht Akkorde, bis sich auf meinen Fingerkuppen Hornhaut bildete, wodurch der Schmerz, den man als Gitarrenanfänger spürt, endlich nachließ. Ich brauchte nicht lange, um zu begreifen, dass man, sobald man erst einmal ein paar simple Dur- und Moll-Akkorde gemeistert hat, im Prinzip schon 90 Prozent von allem spielen konnte. Für den Rest benötigte man noch seine Vorstellungskraft –

       und die konnte man definitiv nicht aus Büchern lernen. Hat man erst einmal die grundlegenden Bausteine angehäuft, kann man anfangen, daraus etwas zu bauen. Man muss weder „Rock Around The Clock“ noch „Heartbreak Hotel“ spielen können, um eigene Musik zu machen. Du suchst dir stattdessen einfach ein paar Akkorde zusammen, erstellst ein paar eigene Tonleitern – und ab geht die Post! Alles, was zählt, ist, dass es sich für das eigene Ohr gut anhört.

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