New Order, Joy Division und ich. Bernard Sumner

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New Order, Joy Division und ich - Bernard Sumner

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noch eine Zugabe, aber die Bühne blieb leer und das Publikum wurde langsam unruhig. Ich stand neben einem Kerl, der wie ein Klon von Rod Stewart aussah. Er traf und durchschlug mit einer Bierflasche aus fast 500 Metern und unglaublicher Genauigkeit die Basstrommel auf der Bühne. Das war es dann. Pandämonium. Leute stürmten die Bühne und prügelten sich mit Roadies und Sicherheitskräften. Lou Reed sollte nie mehr nach Manchester zurückkehren – und alles nur wegen eines Typen mit zwielichtiger Haarpracht und unfassbarer Wurfgenauigkeit.

      Hooky fuhr auf Deep Purple ab. Ich war nicht so überzeugt von ihnen, aber letztlich besorgten wir uns Konzertkarten, um eines ihrer Konzerte zu besuchen. Ich hatte einen schlimmen Zahnabszess und musste erst überredet werden. Es ist nie eine gute Idee, mit einem Zahnabszess auf ein Konzert zu gehen, aber noch schlimmer ist es, wenn eine Band spielt, die einem nichts gibt. Bei einem Song steigerte sich der Sänger in immer noch höhere Tonlagen – es war wohl „Child In Time“ – und mein Zahn pulsierte vor sich hin, als würde seine Stimme mir buchstäblich auf die Nerven gehen. Agonie. Im Publikum befanden sich zudem ziemlich viele Schwachköpfe. Ein nerviges Erlebnis.

      Schließlich, als der Keyboarder gerade in einem schier endlosen Prog-Rock-Solo schwelgte und mein Zahn mich umzubringen drohte, kam ich zu dem Schluss, dass es hier echt beschissen und viel zu laut war. Als der Keyboarder inmitten seines nicht enden wollenden Solos schließlich begann, „I Do Like To Be Beside The Seaside“ einzubauen, als sei es eine witzige Randnotiz, konnte ich nicht mehr anders, als mich ordentlich selbst zu bemitleiden. Zuerst dachte ich mir noch, dass er eben einen Gag einbauen hatte wollen. Dann, wieder zehn Minuten später, spielte er noch die Titelmelodie von Coronation Street an. An diesem Punkt dachte ich mir: „Der will uns wohl verarschen, dieses Weichei aus dem Süden – ist bestimmt aus London!“ Es reichte. Ich ging hinaus. Schlussendlich spielten wir vor ein paar Jahren mit Deep Purple in Frankreich. Sie hatten ihre Solos mittlerweile stark eingeschränkt.

      Santana in der Hardrock Hall in Stretford war ein weiteres denkwürdiges Konzert. Es fand im November 1972 statt und ich hatte noch nie zuvor so einen großen amerikanischen Act live gesehen. Ich liebte den Sound von Carlos Santanas Gitarre und hatte eine große Schwäche für seinen Spielstil, weshalb ich mich schon sehr auf diese Show gefreut hatte. Aber zu dieser Zeit war er schon in seiner jazzigen, metaphysischen Phase angelangt. Sein Album Caravanserai war gerade erst veröffentlicht worden. Er kam auf die Bühne und sprach: „Ich möchte gerne mit ein paar Augenblicken der Meditation beginnen.“ Meditation. Ausgerechnet in Stretford, südlich von Manchester. Er faltete seine Hände, senkte sein Haupt und stand einfach nur stumm da. Das kam selbstverständlich beim lokalen Publikum, das schon ein paar Pints Bier intus hatte, nicht sonderlich gut an. „Komm verdammt noch mal in die Gänge“ war noch der höflichste Zwischenruf, der die meditative Stille durchbrach.

      Das Buxton Festival in den Hügeln von Derbyshire war auch so ein Event, das in Erinnerung blieb. Hooky, ich und ein paar andere Motorroller-Enthusiasten trafen vor Ort nämlich auf eine Horde Hells Angels. Wir waren uns sicher, in der Tinte zu stecken – schließlich war hier ein Haufen Kurzhaariger auf einer offensichtlichen Langhaarigen-Veranstaltung. Allerdings verlief dann alles reibungslos. Family spielten gerade, als wir eintrudelten, und ich war echt beeindruckt von ihnen, weil sie so wirkten, als ob sie völlig zugedröhnt wären. Ich dachte mir: „Das ist der absolute Hammer, die scheißen einfach drauf.“ Wishbone Ash – diese Architekten meines Dilemmas mit der Zulassungsplakette – standen auch auf dem Programm. Sie wurden sogar zu Headlinern befördert, weil Curved Air sich geweigert hatten auf die Bühne zu gehen, da es ihnen schlicht und ergreifend zu kalt war. Das Album, das mir nicht gefallen hatte, Argos, hatte sich als großer Erfolg für Wishbone Ash erwiesen, weshalb ich beschlossen hatte, ihnen noch eine Chance zu geben. Jedoch konnten sie mich auch diesmal nicht überzeugen.

      Von dieser Nacht ist mir am meisten der spektakuläre Meteoritenschauer in Erinnerung geblieben. Da draußen in den Hügeln gab es keine Lichtverschmutzung und so hatten wir vielleicht den besten Ausblick im ganzen Land. Wir standen unter einem mit Sternen überflutetem Nachthimmel, über den ununterbrochen kleine Lichtflecken huschten und umgehend wieder verschwanden. Über das Soundsystem lief die Titelmelodie von Doctor Who, was das ganze Szenario ein bisschen schrullig wirken ließ. Ich war trotzdem schwer beeindruckt. Ich saß da, starrte mit offenem Mund nach oben und war komplett verzaubert. Vielleicht hört sich das ja ein wenig naiv an, aber ich war zuvor noch nie bei einem Festival gewesen, geschweige denn hatte ich jemals einen Meteoritenschauer miterlebt. Ich fand es einfach nur fantastisch.

      Trotz all dieser kosmischen Feuerwerke, schlecht durchdachten Massenmeditations-Workshops und präzisen Flaschenwürfe gab es jedoch ein Konzerterlebnis, das alle anderen in den Schatten stellte. Es handelte sich um eine Show, die wahrscheinlich intensiver analysiert und verklärt wurde als irgendein anderes Konzert in der Musikgeschichte. Viele behaupten, dass dieser Auftritt in weiterer Folge alles veränderte.

      Und ich war mit dabei.

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      An einem Tag im Frühsommer 1976 zeigte uns Terry Mason eine Ausgabe des New Musical Express und begann über eine Band, über die er darin gelesen hatte und die Sex Pistols hieß, zu schwärmen: „Sie prügeln sich ständig und sind andauernd dicht.“ Er ergänzte: „Sie klingen großartig, genau so, wie es uns gefällt.“ Er hatte auch in Erfahrung gebracht, dass sie am 4. Juni in der Lesser Free Trade Hall in Manchester spielen würden – Hooky, Terry, noch ein paar andere und ich wollten uns das nicht entgehen lassen. Es war nicht gerade gut besucht. Ich habe gehört, dass vielleicht 40 Leute da waren. Das Konzert sollte jedenfalls ein Meilenstein in der musikalischen Historie von Manchester werden, aber falls wirklich alle, die später behaupteten, dort gewesen zu sein, es tatsächlich gewesen wären, hätte womöglich sogar das Old-Trafford-Stadion noch zu wenig Fassungsvermögen für den Gig geboten.

      Die Pistols befanden sich noch in ihren Anfangstagen. Ihr Durchbruch stand noch bevor und niemand in Manchester hatte wirklich eine Ahnung, wer sie überhaupt waren. Der Name allein klang allerdings schon verheißungsvoll und so drückten wir Malcolm McLaren, der an der Kasse saß, 50 Pence in die Hand und spazierten hinein, ohne wirklich zu wissen, was uns erwarten würde.

      Es war ein Ereignis, das in die Geschichte eingehen sollte – nicht nur wegen des Konzerts an sich, sondern auch wegen all der Leute, die im Publikum standen: Mark E. Smith war da, Morrissey ebenso, Tony Wilson und Paul Morley auch. Organisiert hatten den Auftritt Pete Shelley und Howard Devoto von den Buzzcocks. Aber allzu sehr kümmerte es mich nicht, wer sonst noch da war, denn sobald die Band erst losgelegt hatte, war alles andere nebensächlich. Von dem Moment an, als sie auf die Bühne stolzierten, sich ihre Instrumente schnappten und „Did You No Wrong“ vom Stapel ließen, wusste ich, dass das hier anders war. Es war ihre Attitüde, die mich beeindruckte. Ihre Performance strotzte nur so vor lauter Boshaftigkeit. Es war pure Aggression kombiniert mit einer Gleichgültigkeit gegenüber dem Publikum, die fast schon an Verachtung grenzte. Es war wie nichts, das ich jemals zuvor gesehen hatte – vielleicht erinnerte es vage an Lou Reeds anarchischen Auftritt, mit Santanas Aufruf zur Meditation hatte dies hier allerdings nicht das Geringste gemeinsam. Das hier war etwas Besonderes.

      Zum ersten Mal hatte ich bei einem Live-Konzert das Gefühl, mich wirklich mit den Leuten auf der Bühne identifizieren zu können. Wir hatten bereits seit Schulzeiten dieselbe Einstellung, dieses „Scheiß auf die Obrigkeit“, diese grundlegende Ablehnung gegenüber dem, was einem die ganze verdammte Zeit eingetrichtert wurde und wie man sich zu benehmen hätte. In der Schule waren es die Lehrer und nach der Schule war es die Anforderung, einem vorbestimmten Rollenbild in einer Gesellschaft, der ich mich nicht zugehörig fühlte, gerecht werden zu müssen. An jeder Straßenecke schienen ältere Menschen zu stehen, die uns daran erinnern wollten, wie beschissen wir doch seien. Dann kamen die Sex Pistols und gaben uns das Gefühl, dass wir es waren, die richtig lagen. Sie zeigten uns nicht nur das, sondern auch, dass wir überhaupt schon die ganze Zeit lang Recht gehabt hatten. Punk verlieh uns zum ersten Mal eine

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