New Order, Joy Division und ich. Bernard Sumner

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New Order, Joy Division und ich - Bernard Sumner

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Minuten, bis schließlich die Schulglocke das Ende der Stunde signalisierte – was für uns hieß, dass wir ungeschoren davongekommen waren. Wieder einmal. Wir hatten die Lage jedenfalls gepeilt.

      Aber an diesem speziellen Tag hatte sich Gresty an die vorderste Front gesetzt. Keiner von uns wusste, was da vor sich ging: Da vorne müsste er schließlich seine Hausaufgaben vorzeigen. Mr. Barker hatte auch kein Verständnis für schlechtes Betragen in seinem Unterricht. Es durfte nicht geredet oder gelacht werden. Sogar ein Grinsen konnte einem ein Nachsitzen einbringen. Gresty wusste das. Wir alle wussten das. Die Unterrichtsstunde fing an und Mr. Barker ging auf und ab und erzählte was von Sinus und Cosinus oder so. Er ging an Gresty vorüber, der sich hinter seinem Pult nach hinten lehnte und die Arme hinter seinem Kopf verschränkte, damit wir alle sehen konnten, dass seine Tasche auf seinem Schoß lag und sich wie von selbst hob und senkte. Er hatte sich selbst zu einer Erektion verholfen und benutzte sie, um den Ranzen wiederholt anzuheben. Das war sein neuer Trick. Ein richtig guter sogar. Und wir durften nicht lachen.

      Abgesehen von solch phallischen Einlagen hatte die Salford Grammar School auch einen großen Anteil daran, dass ich mit meinen ersten musikalischen Einflüssen in Kontakt kam – nicht etwa im Musikunterricht, sondern durch die Kinder, mit denen ich herumhing. Außerdem hatten wir einen supercoolen Geografielehrer, einen jungen Typen mit langen Haaren, an dessen Namen ich mich gerne erinnern würde. Er sagte: „Ich weiß, dass manche von euch Geografie langweilig finden. Ich verstehe das. Aber tut mir einen Gefallen: Wenn dem so ist, macht bitte trotzdem keinen Stunk in meiner Stunde. Wenn ihr euch ruhig verhaltet, gibt es da drüben einen Raum mit einem Schallplattenspieler und ich lasse euch in der Pause hinein, damit ihr Musik hören könnt.“ Er war großartig, ein echt cooler Typ. Alle Kids respektierten ihn. Er erkundigte sich bei einem, was man so hörte, also begannen wir, Schallplatten mitzunehmen. Er half dabei, an der Schule eine Musikkultur abseits des Lehrplans zu etablieren. Ich glaube, dass zu dieser Zeit das Musical Joseph and the Amazing Technicolor Dreamcoat aufgeführt wurde. Es war einfach schrecklich und wir wollten nichts damit zu tun haben. Wir wollten Jimi Hendrix, die Stones und die Kinks hören und nicht irgendein Kind, das Musical-Songs vergewaltigte. Wir fanden Dinge wie diese Aufführung einfach nur beschissen. Wenn ich mich richtig erinnere, gaben die meisten Jungs in den Musikstunden nur vor mitzusingen und hatten Pornohefte in ihre Musikbücher eingelegt.

      Ich war bis dahin in keinem sehr musikalischen Ambiente herangewachsen. Meine Großeltern hatten zwar ein Grammophon, auf dem sie manchmal eine alte Schellack spielten, aber das gab mir nichts. Ich hatte die Kinks im Radio gehört, als ich noch sehr jung war, und sie gefielen mir sehr. Ich denke, es war im Urlaub, an den Stränden von Torquay – oder wo auch immer –, wo ich blechern klingende Versionen von „You Really Got Me“ und „Lola“ sowie Songs der Beatles und der Stones aus den Transistor-Radios tönen hörte. Dann hörte ich in den Nachrichten von ihrem verkommenen Benehmen – die Drogen und so. Ich kann mich noch genau daran erinnern, gehört zu haben, dass das Haus eines berühmten Sängers im Rahmen einer Razzia durchsucht worden war – und er im Bett mit nicht nur einer, sondern gleich zwei Frauen aufgefunden wurde. Ich war schockiert. Allerdings vergraulte mir das nicht die Musik.

      Noch an der Grundschule hatte der Direktor, Mr. Alkister, uns jeden Morgen eine andere Aufnahme eines klassischen Stückes auf einem Plattenspieler vorgespielt. Er sagte üblicherweise: „Gut, das hier heißt ‚Eine Nacht auf einem kahlen Berge‘ und ist von Mussorgski.“ Dann legte er die Nadel auf die Rille und wir hörten zu. Ich verstand zwar nicht wirklich, aber ich denke oft darüber nach, ob sich das unterbewusst auf mich auswirkte. Jedoch war die klassische Musik damals zu raffiniert, zu erwachsen für einen Salforder Jungen von der Straße. Ich sage nicht, dass es schlecht war, dass ich es nicht gemocht hätte, aber ich wollte etwas Gefährlicheres hören, etwa die Stones. Zuerst hörst du die Stones, dann landest du bei etwas anderem und schließlich führt dich dein Weg zurück zur klassischen Musik. Aber in diesem Alter waren wir einfach noch zu jung, um sie schätzen zu wissen.

      Dem North Salford Youth Club habe ich ebenfalls große musikalische Einflüsse zu verdanken. Die Jugendclubs der damaligen Zeit waren ziemlich gut und die Leute waren cool. Klarerweise bestand die Hauptattraktion darin, dass man dort Mädchen treffen und abhängen konnte. Es gab auch eine Disco, wo im Keller Motown, Soul und Ska für all die Skinheads, Suedeheads und Scooter Boys, zu denen auch ich zählte, gespielt wurde. (Ich hatte einen Motorroller, seit ich 16 war. Es war eine GP225 Lambretta, ein richtig cooler Flitzer. Ich trug auch einen Crombie-Mantel, ein rotes Seidenhalstuch mit einem Rautenmuster, Arbeitshosen, das ganze Zeug eben.) Von der Disco begab man sich im Anschluss die Treppe hoch, wo sich Leute mit langen Haaren versammelt hatten, um Led Zeppelin, Santana, die Stones und vielleicht auch Black Sabbath zu hören. Sie hatten dort einen Schallplattenspieler mit Stereo-Lautsprechern, was uns schwer beeindruckte. „Verdammte Scheiße“, riefen wir, „der Sound beginnt hier drüben und bewegt sich dann hinüber zur anderen Lautsprecherbox!“ Man durfte seine eigenen Platten mitnehmen und alle saßen dann herum und hörten zu – eine Gruppe von Gleichgesinnten, die eine ähnliche Musik bevorzugten. Ich lernte dort viel über Musik. Als Motorroller-Jungs hätten wir vorrangig Soul hören müssen, uns gefiel aber auch Rockmusik. Den halben Abend verbrachten wir in der Disco und dann gingen wir nach oben, wo wir komplett andere Musik zu hören bekamen.

      Als ich ungefähr 15 war, hörte ich „Ride a White Swan“ von T. Rex im Radio. Ich machte mich dann sofort auf, die Platte zu kaufen. Der Gitarrensound, die Melodie, alles – ich liebte diesen Track. Als ich wieder zuhause war, legte ich die Scheibe auf den Schallplattenspieler, den ich zu Weihnachten bekommen hatte, und es klang umwerfend. Nach drei Minuten war alles vorbei. Ich dachte mir: „Was tue ich jetzt? Okay, höre ich mir eben die B-Seite an.“ Die gefiel mir aber nicht so, weswegen ich mir immer wieder „Ride a White Swan“ reinzog. Nach einer Weile reichte mir das aber nicht mehr aus und ich begab mich auf die Suche nach dem Album, das jene Musik enthielt, die meinen Geschmack zum ersten Mal genau treffen sollte.

      Es mag vielleicht eine Überraschung für euch sein, aber das erste Musikstück, das mich richtig aus den Schuhen warf, jenes, das mich vielleicht am meisten beeinflusste, den Weg zu wählen, den ich gegangen bin, war keiner der Songs, die ich in der Disco unten im Jugendclub beziehungsweise oben bei den Rockfans hörte. Es lief auch nicht in einer unserer Musiksessions mit dem Schallplattenspieler des Geografielehrers und auch nicht im Radio. Ich war im Kino, als ich es zum ersten Mal hörte.

      Ich hatte gerade den Spaghetti-Western Zwei glorreiche Halunken gesehen. Oder gehört. Ich war von klein auf ein visueller Typ gewesen und liebte es, wie dieser Film rüberkam: Er war auf eine besondere Weise gefilmt worden, mit kolossalen Großaufnahmen. Ich liebte es auch, dass nicht ganz klar war, wer nun gut und wer böse war, weil, nun ja, jeder böse war. Da gab es keinen Helden – nur Halunken. Bis dahin hatte es nur abgeschmackte John-Wayne-Filme gegeben, in denen man die Bösewichte an der Farbe ihrer Hüte erkennen konnte. Dann tauchte plötzlich Sergio Leone auf und machte subversive Filme, die alle Regeln brachen. Sie waren düsterer als alles Dagewesene. Man konnte den Schweiß und den Schmutz sehen, ja, beinahe die sengende Sonne spüren. Die Dialoge waren eher spärlich und über weite Strecken wurde geschwiegen. Leones Western waren auch auf seltsame Weise komisch. Aber was mich wirklich begeisterte, war die Filmmusik von Ennio Morricone. Dieses einfache, gepfiffene Thema, dieser scharfe Gitarrensound, diese Coyoten-Schreie, die Echo-Effekte, die großen Abstände zwischen den Noten – dies alles passte perfekt zu den kargen Drehorten des Films. Es war einfach unglaublich atmosphärisch, und ich liebte das. Ich kam aus dem Kino und machte mich umgehend auf die Jagd nach dem Soundtrack-Album. Natürlich gab es damals kein Internet, weshalb es eine Weile dauerte, es aufzutreiben, aber als ich es schließlich – so vermute ich – im HMV in Manchester fand, hörte ich es mir wieder und wieder an. Ich besorgte mir außerdem die Soundtracks zu Für eine Handvoll Dollar beziehungsweise Für ein paar Dollar mehr. Es handelte sich dabei um eine einzige LP, deren beiden Seiten jeweils einen Film abdeckten. Ich konnte gar nicht genug kriegen von dieser unglaublichen Musik. Es war, als wäre bei mir ein Schalter umgelegt worden. Zuerst war ich noch nicht sonderlich von Musik angetan gewesen – und auf einmal war ich massiv daran interessiert.

      Es

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