New Order, Joy Division und ich. Bernard Sumner
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Ich sah sie bloß an und wusste nicht, was ich davon halten beziehungsweise dazu sagen sollte.
„Außerdem …“, sie stockte kurz und sah Jimmy an. „Außerdem wird Jimmy jetzt dein Vater sein. Es ist nun offiziell. Jimmy adoptiert dich. Von jetzt an ist dein Name nicht mehr Bernard Sumner, sondern Bernard Dickin.“
Ich wusste immer noch nicht, was ich sagen sollte, aber es war klar, dass die Sache nicht zur Diskussion stand. Sie ließen mich im Zimmer zurück und ich ging alles noch einmal durch, um aus dem, was meine Mutter gesagt hatte, schlau zu werden. In eine Wohnung zu ziehen – gut, das war ziemlich aufregend. Ich erinnerte mich daran, wie sehr ich den Ausblick von der Wohnung meiner Urgroßmutter aus genossen hatte. Außerdem würden wir ja wirklich nicht allzu weit von der Alfred Street wohnen. So weit klang es nach einem Abenteuer. Die Ankündigung, dass Jimmy von nun an mein Dad sein und ich seinen Nachnamen annehmen würde, war da schon etwas ganz anderes und schwerer zu begreifen. Immerhin war ich seit dem Tag meiner Geburt ein Sumner gewesen. Es war der Name meiner Mutter. Es war der Name meiner Großeltern, die ich liebte und in deren Haus ich aufgewachsen war. Es war mein Familienname, ein Teil von mir. Es war im Grunde der konkreteste Ausdruck meiner Identität, den ich vorzuweisen hatte. Und trotzdem war ich jetzt – ohne dazu befragt worden zu sein – ein Dickin, und nicht länger ein Sumner. Was Jimmy als neuen Vater betraf, so war ich die elf Jahre zuvor ausgezeichnet ohne einen ausgekommen. Nun wurde mir mehr oder weniger einer aufgedrängt. Ich dachte an Großvater, jenen Mann, der für mich immer wie ein Vater gewesen war. Nicht nur wurde er nun seiner bisherigen Rolle beraubt, auch sein Name wurde ausgelöscht.
Ich war entschlossen, dies nicht zuzulassen. Je mehr ich darüber nachdachte, desto mehr verabscheute ich es, vor solch vollendete Tatsachen gestellt worden zu sein. Ich gab Jimmy keine Schuld daran. Er konnte ja nichts dafür. Mein Verhältnis zu ihm war in Ordnung. Aber er war zu spät in mein Leben getreten, um irgendeine Vaterrolle für mich übernehmen zu können. Als Mensch war er okay. Er war still. Die Dinge, die mir an ihm am besten in Erinnerung geblieben sind, waren, dass er einerseits eine sehr kräftige rechte Hand hatte und dass er andererseits ein sehr guter Schachspieler war. Auch sein Leben war sehr hart. Obwohl er selbst mit einem ziemlich schweren Handicap zurechtkommen musste, arbeitete er als Reinigungskraft in einer Baumwollspinnerei, was einigermaßen beschissen gewesen sein muss. Ich respektierte Jimmy, aber ich fühlte keinerlei emotionale Verbindung zu ihm, nicht einmal irgendeine Verbindung. Wir unterhielten uns nicht mal besonders häufig.
Ich muss Jimmy allerdings zugutehalten, dass er sich echt gut um meine Mutter kümmerte, obwohl ich mich auch an lautstarke Auseinandersetzungen erinnere, nachdem sie erst einmal verheiratet waren. Meine Mutter sprang mit Jimmy um, wie sie das auch mit mir tat – auch ihn ließ sie nicht gerne vor die Türe. Wenn er einmal spät von der Arbeit nachhause kam, führte das zu massiven Unstimmigkeiten zwischen den beiden. Ich steckte mir dann in meinem Zimmer die Finger in die Ohren, um meine Ruhe zu haben, aber ich konnte sie immer noch schreien hören. Das war echt unangenehm. Die Lage entspannte sich allerdings, sobald wir in die Wohnung gezogen waren. Vielleicht half es ihnen ja, nun ihr eigenes Rückzugsgebiet zu haben. Ich denke, dass dies wahrscheinlich hinter der Idee mit dem Umzug steckte.
Als sich die Aufregung angesichts unserer Übersiedelung erst einmal gelegt hatte, realisierte ich, was für ein Abschiedsschmerz damit verbunden war, die Alfred Street hinter uns zu lassen. Natürlich hatte ich Verständnis dafür, warum meine Mutter beschlossen hatte, in eine eigene Wohnung zu ziehen. Ganz unabhängig von ihren gesundheitlichen Problemen: Sie war eine Frau in ihren Mittdreißigern, die immer noch bei ihren Eltern lebte.
Ich musste mich schnell daran gewöhnen, dass wir – Mum, Jimmy und ich – nun nur mehr zu dritt waren. Das war eine enorme Umstellung für einen kleinen Jungen, der bis dahin nur das Leben im Hause seiner Großeltern gekannt hatte.
Anfangs fand ich unser neues Zuhause fantastisch. Es fühlte sich an, als sei es das Beste, was mir je passiert war. Wir wohnten zwar ziemlich weit unten im Gebäude, weshalb sich mir nicht dieselbe atemberaubende Aussicht wie bei meiner Urgroßmutter bot. Allerdings hatten wir ein ordentliches Badezimmer inklusive Wanne, was wir in der Alfred Street nicht gehabt hatten. Außerdem hatten wir auch einen Boiler und einen Wäschetrockenschrank. Bald schon begriff ich, dass man sich in diesen Wäschetrockenschrank zurückziehen konnte, wenn man die Heizung aufdrehte. Das war dann wie in einer Sauna.
Von meinem Zimmer aus konnte ich ein kleines, hageres Bäumchen sowie einen Flecken Gras sehen. Ich blickte gewohnheitsmäßig darauf und dachte mir, wie glücklich ich mich schätzen durfte, hier zu wohnen. Immerhin hatten wir ein Bäumchen und einen Rasen, und eben einen Wäschetrockenschrank und eine Badewanne. Anfangs war ich richtiggehend geplättet von allem. Aber natürlich wurden mir mit der Zeit auch die zahlreichen Nachteile bewusst. Es gab hier kein Gemeinschaftsgefühl. Die Blockgebäude isolierten die Leute voneinander, besonders die alten, die zuvor noch so reichhaltige soziale Existenzen geführt hatten. Hier konnte man nirgendwo einen Stuhl aufstellen und sich in die Sonne setzen, um ein Schwätzchen mit den Nachbarn zu halten. Für uns Kinder gab es keine Straße, auf der wir spielen konnten, keinen Wasserschlauch, um uns im Sommer gegenseitig nass zu spritzen. Diese Wohntürme waren zwar vermutlich auf dem Papier eine tolle Idee, doch konnten sie den Ansprüchen ihrer Bewohner leider nicht gerecht werden. Sie waren eine streng wirtschaftliche Lösung, und der Preis, den die Menschen zahlen mussten, war hoch. Denn selbstverständlich waren es nicht die Architekten und Stadtplaner, die dort leben mussten.
Ungefähr zur selben Zeit, als wir in unsere Wohnung einzogen, verschlechterte sich der allgemeine Gesundheitszustand unserer Familie. Bei meinem Großvater wurde ein Gehirntumor diagnostiziert und er musste sich im Jüdischen Krankenhaus, das sich damals in der Nähe des Strangeways Prison befand, einer Operation unterziehen, bei der ihm der Tumor entfernt wurde. Keine Ahnung, warum er in einem jüdischen Krankenhaus lag, denn er war kein Jude. Aber obwohl wir uns eine Weile große Sorgen um ihn machten, war die Operation ein Erfolg. Leider stellte sich aber heraus, dass das nur der Anfang von allem sein würde. Schon bald nachdem mein Großvater aus dem Krankenhaus entlassen worden war, musste sich meine Großmutter dorthin begeben, da sie sich wegen ihres grünen Stars operieren lassen musste. Ein routinemäßiger Eingriff, der in den Krankenhäusern permanent durchgeführt wurde. In diesem Fall aber lief irgendetwas katastrophal falsch und meine Großmutter verlor ihr Augenlicht. Solange sie lebte, sollte sie nie wieder etwas sehen. Abgesehen davon, dass die Erblindung meiner Großmutter für sich schon eine absolute Tragödie war, waren die Auswirkungen auf meine Familie niederschmetternd. Sie war meiner Mutter stets eine große Hilfe gewesen und obwohl wir umgezogen waren und nun Jimmy hatten, hatte meine Großmutter weiterhin geholfen – doch nun ging das nicht länger. Es bedeutete auch, dass mein Großvater – nicht lange, nachdem er von seinem Gehirntumor genesen war – nun der einzig körperlich gesunde Erwachsene in unserer Familie war. Meine Großmutter hatte als Putzfrau gearbeitet, musste nun aber aufgrund ihrer Erblindung ihren Job kündigen, was ihre Lage in der Alfred Street nur noch verschärfte. Es war eine schreckliche Zeit. Obwohl ich glaube, dass die Familie das volle Ausmaß dessen, was meiner Großmutter zugestoßen war, vor mir geheim hielt. Ich erinnere mich nicht daran, dass es ein Thema war, solange ich in der Nähe war. Allerdings weiß ich noch, dass ich wütend war, dass dieser dumme Arzt die Sehfähigkeit meiner Großmutter auf dem Gewissen hatte. Es ist anzunehmen, dass man heutzutage in so einem Fall rechtliche Schritte ergreifen kann, aber damals musste man schlicht und einfach mit der Situation zurechtkommen. Wir waren eine arme Familie aus der Arbeiterklasse, was hätten wir also tun sollen?
Meine neue Schule hätte eine willkommene Abwechslung von den Querelen, die ich zuhause miterlebte, sein können, aber leider lief auch dort nicht alles wie am Schnürchen. Zwar ging ich nun auf eine andere Schule, doch blieb das Resultat dasselbe: Ich tat mir an der Salford Grammar School um nichts leichter als an der St. Clement’s. Mathematik war weiterhin meine große Schwäche und in meiner großen Mathe-Prüfung im ersten Jahr erreichte ich gerade einmal fünf oder sechs Prozent der Gesamtpunktezahl. Das Selbstvertrauen, das