New Order, Joy Division und ich. Bernard Sumner

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New Order, Joy Division und ich - Bernard Sumner

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verschlechterte sich darüber hinaus auch noch der allgemeine Gesundheitszustand meiner Familie. Eines Tages erlitt mein Großvater einen Schlaganfall, was ihn sowohl mental als auch körperlich stark in Mitleidenschaft zog. Rückblickend hatte es vielleicht etwas mit seinem Gehirntumor zu tun. War er zuvor noch ein liebenswerter, rücksichtsvoller Mann gewesen, so war er nun mit einem Mal ein wütender Kerl, der die ganze Zeit um sich schrie. Meine Großmutter war blind. Sie hielt sich überwiegend im ersten Stock auf. Großvater schlief nun im Erdgeschoss. Da mein Großvater den Verstand verloren hatte, musste sich Großmutter nun zusätzlich zu ihrer Erblindung auch noch mit ihm herumschlagen. Schrecklich. Es brach einem das Herz und es gab nichts, was ich hätte tun können.

      Ich erinnere mich an das Haus in der Alfred Street. Es war der Ort, an dem ich aufgewachsen bin, wo ich meine glücklichste Zeit verbracht habe – und dann lief plötzlich einfach alles schief. Die Stadtverwaltung übersiedelte die Leute aus der Straße, ganz egal, ob sie damit einverstanden waren, sie verbarrikadierte die Häuser mit Brettern und verwandelte den Straßenzug kontinuierlich in eine trostlose, verlassene Geisterstraße. Die nachbarschaftliche Gemeinschaft wurde über die Region versprengt, nach Swinton und Little Hulton, an Orte, die zuvor nur Namen für uns gewesen waren. Sie wurde auseinandergerissen, ohne dazu befragt worden zu sein. Es gab kein Mitspracherecht, keine Auswahlmöglichkeiten. Wo einst Kinder beim Spielen auf der Straße gelärmt beziehungsweise die Nachbarn sich angeregt unterhalten hatten, herrschte nun Stille. Hie und da konnte man vielleicht ein paar Arbeiter der Stadtverwaltung hören, wie sie Bretter vor die Fenster der nun leerstehenden Häuser nagelten. Binnen Kurzem waren nur mehr drei Häuser in der Straße bewohnt. Die restlichen Gebäude waren dunkel und entseelt, ein Zuhause nur mehr für Geister und Erinnerungen. In einem dieser drei Häuser, in denen immer noch Licht brannte, saßen meine völlig erblindete Großmutter und mein Großvater, der total von Sinnen war. Bis heute habe ich einen wiederkehrenden Traum, in dem die Häuser der Straße mit Brettern verbarrikadiert sind und meiner verzweifelten Großmutter in ihrem Haus Tränen übers Gesicht laufen. Auch heute noch fühle ich mich in diesem Traum völlig hilflos. Ich war damals noch sehr jung und wusste nicht, wie ich helfen hätte können. Meine Großeltern hatten mich de facto aufgezogen und mir mein ganzes Leben nichts außer Liebe entgegengebracht – und hier war ich nun, absolut chancenlos angesichts dieser Flutwelle an Veränderungen und dem Unglück, in dem sie zu versinken drohten. Ich musste mitansehen, wie diese wunderbare, lebendige Gemeinschaft, von der ich gedacht hätte, dass sie für immer bestehen bleibe, vor meinen Augen zerbröckelte. Die Leute verstreuten sich in alle Windrichtungen.

      Ich war tatsächlich davon ausgegangen, dass alle auf ewig dort leben würden, mitsamt der Bonfire Nights, den Pinks, die mit dem Gesetz in Konflikt kamen, den alten Frauen, die in ihren Stühlen die Sonnenstrahlen genossen, sowie meinem Großvater, der zwei Mal am Tag im Hof hinterm Haus seine Lungen auffüllte. All dies war in kürzester Zeit in einer auf dem Klassensystem beruhenden Säuberungsaktion, die zwar auf guten Absichten beruhte, jedoch keinen Bezug zur Realität hatte, ausgelöscht worden.

      Schließlich wurde mein Großvater in einem Heim untergebracht, was aber auch ein Segen war. Allerdings sollte er nur mehr sechs Monate leben. Und so lebte meine Großmutter allein mit einer ihrer Schwestern in der nunmehr desolaten Straße, wo nur noch zwei weitere Häuser bewohnt waren. Schlussendlich zog sie in ein betreutes Wohnprojekt in Swinton, was sie hasste. Sie wollte nicht aus dem Haus ausziehen, in dem sie beinahe 50 Jahre gewohnt hatte und das für sie nach wie vor derselbe Zufluchtsort war wie in der Zeit, bevor sie ihr Augenlicht verloren hatte.

      Ich erinnere mich noch daran, wie ich sie gegen Ende hin im alten Haus in der Alfred Street besuchte. Da liefen Mäuse herum und sie bekam das gar nicht mit, weil sie sie nicht sehen konnte. Wir hatten nie Mäuse gehabt, da sie in puncto Sauberkeit sehr penibel war. Es war einfach entsetzlich, ein Bild, das zusammenfasste, was mit unserer Gemeinschaft als Ganzes geschehen war. Sobald die letzten Bewohner umgezogen waren und all die Historie, die Menschen, die Familien und ihre Eigenheime, der Stolz und die Würde – einfach alles – verschwunden waren, übernahmen die Mäuse das Kommando.

      Ich war gerade einmal 18 Jahre alt und alles, was ich gekannt hatte, war vernichtet worden. Dies miterleben zu müssen, hatte große psychologische Auswirkungen auf mich. Es machte mich emotional ein wenig härter. Anders hätte ich mit der Situation nicht umgehen können. Ich stelle mir das ein wenig so vor, als wäre man ein Arzt – die müssen sich auch ein dickes Fell zulegen, weil sie so viele schreckliche Dinge sehen und den Menschen oft schlimme Nachrichten mitteilen müssen. Bekommt man das nicht auf die Reihe, wird man untergehen. Dieser Entscheidung musste auch ich mich stellen, während ich dabei zusehen musste, wie unsere Welt zerbröselte.

      Alles war verschwunden. Sogar die Schule war abgerissen worden. Es war fast so, als würde jemand alles daran setzen, meine Erinnerungen auszulöschen. Alles Greifbare, all die Dinge, die man berühren, fühlen, sogar riechen konnte – sie waren weg und würden nie mehr zurückkommen.

      Mein Übergang ins Erwachsenenalter war nicht gerade sanft. Ich wurde aus der Kindheit gerissen, noch bevor ich dazu bereit war. Das gefiel mir ganz und gar nicht. Plötzlich war alles so unglaublich ernst und ich musste schnell erwachsen werden. Es war wohl kein Zufall, dass ich mich noch mehr in die Musik vertiefte. Was sich zu jener Zeit abspielte, hatte einen nachhaltigen Einfluss auf die Musik, die ich machen sollte. Ich denke, dass man den Untergang einer Gemeinde und das Ende meiner Adoleszenz in meinen Beiträgen zur Musik von Joy Division deutlich heraushören kann.

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      Ich schloss die Schule 1972 mit meinen O-Levels ab. Im Abschlusszeugnis hatte ich ein Sehr gut in Kunsterziehung. Ich hätte im Anschluss auch gerne irgendetwas mit bildender Kunst gemacht, weil mir das von allem am besten gefiel. Natürlich war ich ein Musikfreak, aber ich hatte zu diesem Zeitpunkt noch nicht begonnen, selbst welche zu machen. Zusätzlich zu meinem Schallplattenspieler hatte mir meine Mutter noch eine E-Gitarre gekauft. Ich weiß gar nicht, warum ich mir eine gewünscht hatte, vermutlich, weil ich den Sound einer Gitarre schon immer geliebt hatte und der nächste logische Schritt einfach darin bestand, sich selbst eine zuzulegen. Infolgedessen unternahm ich ein paar obligatorische Versuche, sie zu spielen. Um ehrlich zu sein, fand ich es einigermaßen sinnlos. Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Deswegen verstaubte das Ding bald in einer Ecke meines Zimmers. Das war Sackgasse Nummer eins.

      Nachdem ich mit 16 mit der Schule fertig war, sollte also Kunst die Richtung sein, in die ich gehen wollte. Der Besuch beim Karriereberater an der Salford Grammar School war ein Fehlschlag. Ich suchte ihn auf und erklärte, dass ich etwas mit Kunst machen wolle. Er dachte einen Moment nach und teilte mir dann mit, dass es zwei Jobs für mich geben würde. Der eine wäre bei einem Frisör, beim anderen würde ich die weißen Ränder von Fotos wegschneiden. Und das war Sackgasse Nummer zwei.

      Es sah so aus, als würde eine Laufbahn in einem kreativen Beruf nicht zur Debatte stehen. Ich stand nämlich bereits unter Druck vonseiten meiner Mutter, einen Job zu finden, damit ich etwas Geld zum Haushalt beitragen könnte. Nach meinem Schulabschluss hatte ich mich beim Bolton College of Art beworben, da es einen guten Ruf genoss, und war daher absolut begeistert, als mir dort ein Studienplatz angeboten wurde. Als ich jedoch meiner Mutter davon berichtete, war sie nicht gerade enthusiastisch. Bevor ich mich versah, tauchte ein Onkel von Jimmys Seite der Familie auf, um sich mit mir zu unterhalten. Er erklärte mir, dass es sich die Familie nicht leisten könne, mich an eine Kunstschule zu schicken. Ich sollte mir das aus dem Kopf schlagen und mich stattdessen darauf konzentrieren, eine feste Anstellung zu finden. Zwar verstand ich die Situation, weil wir ja in der Tat nicht viel Geld hatten, doch war ich auch ziemlich aufgebracht. Womöglich hatte Mr. Strapps letzten Endes doch Recht gehabt. Und somit war ich am Ende von Sackgasse Nummer drei angelangt.

      Meine Mutter kannte ein Mitglied der örtlichen Verwaltung. Er vermittelte mir ein Vorstellungsgespräch im Ratshaus von Salford, welches mir letztlich einen fixen Job einbrachte. Anfangs wusste ich noch nicht, was meine Aufgabe sein würde, aber immerhin

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