New Order, Joy Division und ich. Bernard Sumner

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New Order, Joy Division und ich - Bernard Sumner

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zu verschicken. Ich faltete den Bescheid, gab ihn in einen Umschlag, feuchtete ihn an und klebte ihn zu. Einen nach dem anderen. Tausende Male pro Woche. Unser Büro befand sich direkt im Rathaus. Es hatte ein Fenster für Anfragen, wo man sich anstellen konnte, um über die Rechnungen, die man zugeschickt bekam, zu jammern. Niemand setzte sich gerne mit ihnen auseinander, weshalb ich es tun musste. Ein weiterer Teil meines Jobs war es, dem Stadtkämmerer am Morgen seinen Kaffee zu bringen. Da gab es eine Kanne mit heißem Kaffee und einen mit heißer Milch. Ich trug beide in sein Büro und schenkte ihm ein.

      Viele unserer Büroangestellten gingen seit 40 Jahren derselben Beschäftigung nach und langweilten sich zu Tode. Es war tatsächlich wie ein schleichender Tod. Da gab es einen Typen, der nach dem Mittagessen immer auf seinem Schreibtisch einpennte. Eines Tages drehte ein wacher Geist die Uhr auf 5.30 vor. Dann machten wir alle einen Heidenlärm, zogen unsere Mäntel an und taten so, als würden wir uns auf den Heimweg machen. Durch dieses Treiben erwachte der Typ. Er schoss hoch, rannte zur Tür und eilte heimwärts.

      Ich hatte noch nicht sehr lange dort gearbeitet, als ein eigenartiger Kauz beim Anfragenfenster aufkreuzte. Er trug altmodische Klamotten im Stile der viktorianischen Epoche, von Kopf bis Fuß in Schwarz. Außerdem war er sternhagelvoll. Alle in der Nähe des Fensters gingen in Deckung. Im Büro gab es da diesen Kerl, der eigentlich in Ordnung war. Er erinnerte mich mit seinem gewachsten Schnauzer an den englischen Komiker und Schauspieler Terry-Thomas und trotz der Langeweile des Jobs strahlte er Tatkraft aus. Nun rief er mich zu sich und flüsterte: „Du wirst dich mit ihm herumschlagen müssen. Das ist der städtische Gerichtsmediziner. Er bringt die Liste von Körpern, die er sich angesehen hat. Wir bezahlen ihn in bar und er gibt alles für Schnaps aus.“ Er lehnte sich halb gegen das Fenster, dieser Gerichtsmediziner, fluchte heftig vor sich hin und schrie: „Hier, ich habe diese Woche sechs Leichen aufgeschnitten. Jetzt will ich mein Geld. Wenn du es mir nicht gibst, bist du der nächste!“ Jeder hatte eine Scheißangst vor dem Kerl, weshalb man mich vorgeschoben hatte. Ich gab ihm seine Kohle und sagte ihm, dass er die Schnauze halten solle – nachdem er hinter sich die Türe zugezogen hätte. Nun ja, immerhin war ich erst sechzehneinhalb.

      Ich kann mich zwar nicht mehr an den Namen des Terry-Thomas-Typen erinnern, aber er war ein sehr netter Mann. Er hatte einen VW-Bus, einen dieser coolen alten, und zur Mittagszeit machten sich gelegentlich fünf von uns auf den Weg, um in der Pause in den Bädern von Broughton schwimmen zu gehen. Er war der einzige Kerl in der Arbeit, in dem ein wenig Leben steckte. Er war witzig – tatsächlich glaube ich, dass er es war, der die Uhr damals vorgestellt hatte.

      Nachdem ich den Job schließlich hinter mir gelassen hatte, hatte ich mal einen sehr seltsamen Traum von ihm. Darin saß ich wieder im Büro und schaute ihn durch das Empfangsfenster an. Er stand mit dem Rücken zu mir und ich klopfte gegen die Fensterscheibe und rief seinen Namen. Allerdings drehte er sich nicht um. Ich schrie weiter, bis er mich endlich ansah – und alle Venen und Sehnen in seinem Gesicht verliefen auf der Außenseite. Es sah schrecklich aus. Ich wachte auf und wunderte mich über diesen horrenden Albtraum. Kurze Zeit später war ich in einem Nachtclub in Manchester und traf ein paar Typen, die immer noch dort arbeiteten. Sie erzählten mir, dass er bei einem Unfall mit seinem VW-Bus ums Leben gekommen sei. Das waren erschütternde Neuigkeiten, die meinen Traum in einem seltsamen Licht erscheinen ließen.

      Es war ein echt sonderbarer Arbeitsplatz. Hier arbeiteten Menschen, die von der Autobahn des Lebens abgefahren waren, um sich in dieser friedlichen, unaufgeregten Sackgasse von Existenz niederzulassen und die Jahre bis zur Pensionierung abzustottern. Da gab es diesen Typen in der Abteilung für Stadtplanung – wahrscheinlich war er mitverantwortlich für den Abriss des Hauses meiner Großmutter. Hin und wieder kam er ganz verstohlen zu mir und sagte: „Ich habe da einen Brief, kannst du ihn bitte durch deine Frankiermaschine laufen lassen?“ Wenn ich das dann getan hatte, meinte er: „Guter Junge, hier hast du eine Süßigkeit.“ Das war meine Belohnung. Korruption auf Gemeindeebene, was?

      Einmal wurde ich ins Büro des Stellvertreters des Stadtkämmerers gerufen. Er war eigentlich auch okay. Er ließ mich Platz nehmen und fragte: „Bernard, du bist neu in diesem Job, oder? Wie lange bist du schon hier?“ Ich antwortete, dass es vier oder fünf Monate seien – je nachdem, was es eben war. Er hielt kurz inne, sah mich von oben bis unten an, deutete mit dem Kopf in Richtung Wand und sagte: „Siehst du dieses Bild? Weißt du, was das ist?“ Ich verneinte. „Es heißt Whistler’s Mother“, klärte er mich auf. Dann blickte er eine Weile lang auf seine Füße, als ob er ein Problem mit dem hätte, was er als Nächstes zu mir sagen würde: „Es … es geht um die Kleidung, die du trägst.“ Ich trug einen Pulli mit einem schottischen Muster – die waren damals ziemlich angesagt – und darunter ein T-Shirt. „Wie soll ich das ausdrücken?“, sagte er, „du würdest so ja auch nicht auf ein Begräbnis gehen, oder?“ Ich gab ihm Recht, ich würde so gekleidet tatsächlich nicht auf einem Begräbnis erscheinen. Mit einer leicht gequälten Stimme sagte er dann: „Nun, warum kommst du dann so zur Arbeit?“

      Der Vergleich mit der Beerdigung war in Bezug auf das Büro ziemlich passend. Ich war mir nicht sicher, ob er diese Analogie sogar bewusst anbrachte, um mir zu vermitteln: „Hey, ich weiß schon, wie der Hase läuft. Aber lass uns hier drinnen so wenig Aufsehen wie möglich erregen.“ Was das Gemälde mit alldem zu tun hatte, weiß ich bis heute nicht.

      Es war ein sonderlicher Ort. Als wäre man im Büro aus A Christmas Carol – Die drei Weihnachtsgeister angestellt, besonders dann, wenn der Leichenbeschauer in seinen seltsamen viktorianischen Klamotten vorbeikam und aus dem Mund nach Balsamierflüssigkeit roch. Ich wusste, dass ich hier raus musste. Endgültig reichte es mir schließlich, als man mich ans College schickte, um mich bezüglich Kommunalverwaltung und Zentralregierung weiterzubilden. Es war, als wäre ich wieder an der Schule. Wir lernten über Dinge wie Parlamentsprotokolle und Bürokratie und ich war nicht im Geringsten interessiert. Wie vorherzusehen war, schnitt ich in der Prüfung richtig schlecht ab. „Jetzt geht das schon wieder los“, dachte ich mir und nahm meinen Hut. Letztlich hatte ich es ein Jahr lang versucht. In dieser Zeit habe ich bestimmt eine Viertelmillion dieser Umschläge verschickt. In keinem dürften gute Nachrichten für den Empfänger gesteckt haben.

      Ich schrieb zahlreiche Werbeagenturen in Manchester an, weil sie die einzigen potenziellen Arbeitgeber waren, die damals eine Aussicht auf eine künstlerisch-kreative Beschäftigung boten. Ich ging zu ein paar Vorstellungsgesprächen und mir wurden auch zwei Jobs angeboten. In beiden würde ich weniger verdienen als im Rathaus, aber das war nicht wirklich wichtig. Ich wollte nur eine Anstellung, in die ich ein wenig Herzblut fließen lassen könnte.

      Der einen Firma sagte ich, dass ich sofort anfangen würde, wohingegen ich der anderen erzählte, dass ich in ein paar Wochen loslegen könne. Ich würde mich bei der ersten Agentur einfach krankmelden und dann im Anschluss entscheiden, welchen der beiden Jobs ich bevorzugte. Ersterer war einfach nur beschissen. Ich machte dort diese schrecklichen Anzeigen, die man aus Zeitungen kennt – „10 % Discount, JETZT!“ umgeben von einem großen Stern. Das war keine Kunst, sondern Müll. Ich hielt es dort gerade mal eine Woche aus.

      Der zweite Job war bei Greendow Commercials, einer Agentur, die Fernsehwerbungen produzierte, etwa für die Zeitschrift TV Times. Außerdem bestand eine Verbindung zu Granada Television, denn die meisten der Angestellten hatten dort als Grafiker gearbeitet, sich im Anschluss selbstständig gemacht und waren nun hier gelandet. Die Firma hatte einen eigenen Schneideraum, eine Trickkamera und ein Synchronstudio, weshalb praktisch alles gleich im Haus fertiggestellt werden konnte. Ich war als Laufbursche engagiert und mein Vorgesetzter war ein Typ namens Simon Bosanquet. Sein Onkel war Reginald Bosanquet, ein Nachrichtensprecher. Er war in Ordnung und hatte für Bryan Ferry ein Musikvideo zu „A Hard Rain’s A-Gonna Fall“ gedreht. Darauf war er sehr stolz. Die Leute in dieser Agentur waren eigentlich alle großartig. Mir gefiel es dort sehr. Meine Kollegen waren kreative Leute und es herrschte eine viel bessere Atmosphäre als bei der Arbeit im Rathaus. Ich glaube, dass ich den Job nur wegen meines Motorrollers bekam. Immerhin musste ich als Laufbursche Botendienste erledigen – etwa überall in Manchester Filmrollen ausliefern. Aber

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