Tina Turner - Die Biografie. Mark Bego
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Doch die Wirklichkeit sah ganz anders aus. Keines dieser Bilder entsprach der Realität. Tina drückte es so aus: „Tina Turner – jene Frau, die auf die Bühne ging, war jemand anderes. Ich selbst war nur ihr Schatten.“ (1) 1976 war die echte Tina bereits in einer Ehe gefangen, die ihr Leben zur Hölle werden ließ. Das, was sie auf der Bühne als ihr Leben ausgab, war nichts als Show und das Leben hinter den Kulissen zur reinen Folter geworden.
Und die Drogen und die Partys? Nun, das war Ikes Leben. Tina nahm nie irgendeine Art von Drogen und wollte auch nichts damit zu tun haben.
Was ihre Ehe anging, so bestand diese nur auf dem Papier. Ike war ihr nie treu. Mehr als einmal war sie in ihr Wohnzimmer gekommen und hatte dort gesehen, wie eine Frau gerade vor Ike kniete und ihn oral befriedigte.
Ihr glückliches, freudenreiches Leben? Nichts hätte der Lebenswirklichkeit, in der sie gefangen war, weniger entsprechen können. Nicht genug, dass Ike sie wie seine Dienstbotin behandelte, die immer zur Stelle sein musste, wenn er nach ihr rief. Wenn sie ihn verärgerte oder sich beschwerte, verprügelte er sie gnadenlos. Mit der Zeit nahm Ikes exzessiver Drogenkonsum immer mehr zu und seine tätlichen Angriffe ebenfalls. Niemand – außer ihrem engsten Kreis – wusste, dass Ike Tina in Wahrheit total unter Kontrolle hatte, da sie sich vor ihm fürchtete.
Was das Kaschieren von „Veilchen“ mit Hilfe von festem Puder-Make-up anging, war Tina zu einer echten Expertin geworden. Oft trat sie mit aufgeplatzten Lippen, blauen Flecken oder gar mit gebrochenen Knochen vor jubelnden Zuschauermengen auf. Sie fühlte sich einsam und wie gefangen. Selbst ihr verzweifelter Selbstmordversuch misslang.
Doch dann machte sie eine Freundin mit etwas vertraut, das ihr zu innerer Stärke verhalf und sie dazu ermutigte, für sich selbst einzustehen: dem Buddhismus. Tina wusste jetzt, welche Spiritualität und Lebenskraft in ihr steckte. Nun beherrschte sie den buddhistischen Rezitationsgesang, war in der Lage, in ihre eigene Seele hineinzuschauen und brachte so den Mut auf, Ike zu verlassen.
Als sie sich 1976 endlich dazu entschloss, sich von Ike zu trennen, gab es kein Zurück mehr. Es wurde nicht gerade ein einfacher Kampf. Zuerst war es eine körperliche Auseinandersetzung, dann wurde es zu einem Rechtsstreit. Bald merkte sie, dass sie nicht allein war und tatsächlich echte Freunde hatte, die ihr halfen. Cher sprach Tina Mut zu, indem sie ihr davon erzählte, wie sie durch die Trennung von ihrem damaligen Mann Sonny Bono wieder Herrin über ihr eigenes Leben geworden war. Ann-Margret, die mit ihr zusammen in dem Film Tommy gespielt hatte, half ihr nach ihrer Zeit mit Ike dabei, ihre Karriere als Solo-Star aufzubauen. Und über Olivia Newton-John lernte sie den Manager kennen, der ihr zu ihrem Durchbruch in der Welt der Superstars verhalf und ihr dabei behilflich war, ihren Traum von der eigenen Karriere zu verwirklichen.
Ihr Weg zurück ins Showgeschäft erwies sich als beschwerlich, doch sie genoss den anstrengenden Aufstieg und ihre Freiheit. Nachdem sie sich kurz als glitzerndes Las Vegas-Sternchen versucht hatte, bewegte sie sich in die Richtung, die sie so liebte: hin zum Rock & Roll. 1984 brachte sie das Album heraus, das für sie den absoluten Wendepunkt markierte und außerdem den aufsehenerregenden Hit „What’s Love Got To Do With It“ lieferte. Auf der ganzen Welt freuten sich Zuhörer darüber, wie keck und selbstbewusst Tinas Stimme klang. Jeder Song auf ihrem Album Private Dancer schien ihr Image wieder völlig neu zu formen. In „I Might Have Been Queen“ preist sie ihre festen Überzeugungen, was Glauben, Schicksal und Reinkarnation angeht. „Show Some Respect“ und „Better Be Good To Me“ waren musikalische Zeugnisse ihrer Stärke und Entschlossenheit. Und mit ihrer Version von David Bowies „1984“ meldete sie ihre Ansprüche auf eben jenes Jahr an, in dem sie zur allseits anerkannten Diva in der Welt der Rockmusik wurde.
Auf dem Gipfel ihres Comebacks mit „What’s Love Got To Do With It“ blickte sie zwanzig Jahre in die Zukunft und sagte, damals in ihren Vierzigern: „Eine Sechzigjährige kann gar nicht so aussehen wie ich.“ (2) Jetzt, da sie ihr siebtes Lebensjahrzehnt vollendet, sieht sie noch genauso aus wie in ihren Vierzigern. Auf der Bühne und privat ist sie immer noch genauso sexy und energiegeladen wie damals in den 1960ern, als sie in TV-Shows wie American Bandstand, Top of the Pops und Shindig ihr Publikum beeindruckte. Im Jahr 2000, als sie sich mit 60 als Headliner auf Welttournee begab, galt dies als die Konzertreihe, die in jenem Jahr den meisten Umsatz erwirtschaftete – die Einnahmen lagen bei über 80 Millionen Dollar.
Als sich ihr Erfolg als Solokünstlerin einstellte, sang Tina nur noch Lieder über Stärke und Machtgewinn. Die Songs, die sie kreierte, hatten es wirklich in sich: „Break Every Rule“, „The Best“, „Steamy Windows“, „Look Me In The Heart“, „We Don’t Need Another Hero“, „Whatever You Need“, „Absolutely Nothing’s Changed“ – und viele mehr.
Mitte der 1980er begriffen ihre Fans immer noch nicht, warum sie Ike verlassen hatte. Da sie es leid war, in Interviews über ihn zu sprechen, schrieb sie 1986 ihre Autobiografie Ich, Tina. Mein Leben – um alle Unklarheiten auszuräumen. 1993 diente das Buch als Grundlage für einen Film, der für den Oscar nominiert wurde: Tina – What’s Love Got To Do With It?
Ihr Buch, das vieles aufdeckt, und der Film über ihr Leben zeichnen Tinas faszinierende Geschichte bis zu ihrem Comeback im Jahr 1984 nach. Doch seitdem ist in ihrem Leben noch sehr viel mehr passiert. Sie stieg von einer Nachtclub-Attraktion zum Superstar auf, der ganze Stadien füllt. 1985 räumte sie bei den Grammy Awards kräftig ab und veröffentlichte danach mehrere Solo-Hit-Singles und Alben. Tina hat ihre Schauspielkarriere weiterverfolgt und wurde in die Rock & Roll-Hall of Fame aufgenommen. Sie hat Millionen von Platten verkauft, die wahre Liebe gefunden, ist nach Europa gezogen und führt mit dem Mann ihrer Träume nun ein wahrhaft glamouröses und harmonisches Leben in Südfrankreich. Obwohl sie die „Twenty Four Seven“-Konzerttournee als ihre letzte Stadion-Tour ankündigte, war sich ihr Publikum, das sie so verehrte, bewusst, dass da noch eine ganze Menge kommen sollte.
Nach 2001 hielt sich Tina eher im Hintergrund und trat nur ab und zu einmal wieder in Erscheinung. 2004 brachte sie dann ein Hit-Album heraus, das sich millionenfach verkaufte, nahm 2005 einen Preis für ihr Lebenswerk – die „Kennedy Center Honors“ – von US-Präsident Bush entgegen und erschien schließlich gemeinsam mit Beyoncé im Rahmen der Fernsehübertragung der Grammy-Verleihung. Da sie es letztlich nicht schaffte, sich noch weiter vom Rampenlicht fernzuhalten, startete sie eine Konzerttournee im Zeitraum 2008/09.
Obwohl die breite Öffentlichkeit dank ihrer Musik, ihrer Autobiografie und des Films über ihr Leben schon viel über Tinas spannende Vita weiß, steckt in ihrer wahren Lebensgeschichte doch so viel mehr drin, ist ihr Leben doch so viel komplexer gewesen, als das etwa ein zweistündiger Film darzustellen vermag.
Rückblickend mag man es kaum glauben, dass sie mit dem Gefühl aufwuchs, sie gehöre nirgendwo so richtig hin. Nur wenigen Menschen ist bewusst, dass ihr Leben sehr facettenreich ist und sich nicht nur auf die Gefangenschaft in einer nicht funktionierenden Ehe und die Befreiung daraus reduzieren lässt, an die sich ihr plötzlicher Aufstieg zu einer Rocklegende anschloss.
Sie glaubt fest an Astrologie und Übersinnliches und ihr wurde einmal gesagt, ihre Bestimmung sei es, zu einem der größten Stars im Showbusiness aufzusteigen, während Ikes Karriere den Bach hinuntergehen würde. Als sie auf der Spitze ihres wiedererlangten Erfolges war, wurde Ike festgenommen und kam ins Gefängnis. Nachdem er seine Haftstrafe verbüßt hatte, versuchte Ike Turner 1999 seinen Ruf in seiner eigenen Autobiografie Takin’ Back My Name wiederherzustellen. Doch der Schuss ging nach hinten los. Er stritt es nicht nur nicht ab, Tina gnadenlos verprügelt zu haben, sondern wollte den Lesern auch noch glaubhaft vermitteln, dass Tina selbst schuld daran gewesen sei – denn sie habe ihn schließlich dazu getrieben. 2007, nach einer Nacht exzessiven Drogenkonsums, fand sein Leben ein trauriges Ende, das in scharfem Kontrast zu seinem einstigen Ruhm stand.
Von Wahrsagern erfuhr Tina etwas,