Tina Turner - Die Biografie. Mark Bego
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All die Frauen, die sich für den Samstagabend in der Stadt herausgeputzt hatten, übten auf Anna eine große Faszination aus. Sie trugen exotisch anmutende zweifarbige Stöckelschuhe, enge Röcke und maßgeschneiderte Hosenanzüge. Anna schaute auch durch die beschlagenen Scheiben parkender Autos, in denen Erwachsene ganz offensichtlich irgendetwas Sexuelles miteinander machten. Das „Hole“ wirkte auf sie gefährlich und zugleich auf wundervolle Art faszinierend.
Sie freute sich auch immer darauf, ins Kino zu gehen. Schon als kleines Mädchen in Tennessee träumte Anna davon, eines Tages, wenn sie groß wäre, im Showgeschäft Karriere zu machen. Inspiriert von den Filmen im örtlichen Kino, begann sie, sich in neuen Tagträumen zu verlieren: „Als ich klein war, wollte ich Schauspielerin werden. Ich ging ins Kino, und als ich nach Hause kam, spielte ich die Filme dann meinen Eltern vor“, entsinnt sie sich. (11)
Zelma erinnerte sich später daran, dass ihre Tochter Anna beim Verlassen des Kinos die Lieder nachsang, die sie im Film gehört hatte. Ihrer Mutter zufolge hatte Anna bereits in jenem frühen Alter eine kräftige und klare Singstimme.
Als es sich herumgesprochen hatte, dass sie tatsächlich singen konnte, fragte man Anna, ob sie nicht dem örtlichen Kirchenchor beitreten wolle. Und hier war es nun, dieses magere kleine Mädchen mit der kräftigen und markanten Stimme. Sie liebte es, die Lieder zu singen, und manchmal, bei einem richtig schnellen Song, übernahm sie gelegentlich die Rolle der Leadsängerin. So war sie sozusagen im Alter von neun oder zehn Jahren bereits ein Headliner.
Als Kind wurde sie in der Erntezeit außerdem zu Feldarbeiten herangezogen. Die örtlichen Bauern heuerten alle Kinder zum Erdbeer- und Baumwollpflücken an, wenn die jeweiligen Pflanzen reif zum Ernten waren. Das Erdbeerpflücken machte ihr sehr viel Spaß, man konnte die Früchte direkt von der Pflanze weg essen. Bei der Baumwolle sah das jedoch ganz anders aus: „Ich hasste Baumwolle, weil ich die Spinnen und Würmer darin nicht mochte. Ich hatte große Angst vor diesen ganzen – Insekten. Und ich bekam meinen Sack nie genauso voll wie die anderen. Ich schaffte es einfach nicht, da so viel hineinzubekommen, weswegen ich mit meiner Leistung eigentlich nicht zufrieden war. Ich war echt froh, wenn das Ganze dann vorbei war. Andere Sachen machte ich aber gern, z.B. mochte ich es, Erdbeeren zu pflücken, und auch die Arbeit in den Obstgärten gefiel mir.“ (12)
Tina erinnert sich immer noch an die von der Gemeinde in den Sommermonaten veranstalteten Picknicks, bei denen es frischen Obstkuchen, ein Barbecue und Limonade gab. Häufig spielten dazu ortsbekannte Legenden wie Bootsy Whitelaw, ein in dieser Gegend bekannter Posaunist.
Damals gab es für ein Kind alles Mögliche zu entdecken und zu erleben. Relativ bald erhielten Anna und Alline eine recht gründliche sexuelle Aufklärung: Sie lugten durch die Spalten zwischen den Holzlatten eines der Schuppen hindurch, die sich auf dem Farmgrundstück befanden. Als sie einmal dabei zuschauten, wie sich ein Teenagerpärchen darin vergnügte, war ihnen klar, dass sie gerade Zeuge von etwas wurden. Anna war sich nicht so sicher, was genau die beiden da taten, aber es sah schon irgendwie spannend aus.
1950, Anna war gerade erst zehn, passierte etwas Furchtbares: Ihre Mutter, die von ihrer Ehe die Nase voll hatte, packte eines Tages ihre Sachen und verließ die Familie, ohne sich zu verabschieden. Am Abend kam Richard nach Hause und Zelma war schlicht und einfach nicht mehr da. Sie war nach St. Louis gezogen und kam nicht mehr zurück.
Der kleinen Anna war gar nicht bewusst gewesen, wie sehr sie ihre Mutter liebte – bis diese dann plötzlich weg war. Nachdem Zelma fortgegangen war, hörte Anna gar nicht mehr auf zu weinen. Sie war innerlich zerrissen. Sie liebte ihre Mutter sehr, hasste sie aber andererseits dafür, dass sie weggegangen war. Was die Gefühle für ihre Mutter anging, so sollten diese von nun an ständig hin- und herschwanken. „Ich war so tief verletzt, dass ich unaufhörlich weinte. Aber das half nichts. Eigentlich wird es dadurch nie besser“, sagt Tina (1). Ihre Tränen wollten so bald nicht trocknen. Doch eines Tages sagte sie sich schließlich: „Ach, hol dich doch der Teufel, Mutter!“ (4) Wer in ihrem Leben später auch noch so kam und ging, nichts konnte sie mehr so sehr verletzen wie diese eine Erfahrung. Tief in ihrem Herzen wusste Anna also bereits jetzt, dass sie eine echte Überlebenskünstlerin war.
Da er fest dazu entschlossen war, seine Familie, bestehend aus den drei Töchtern, aufrechtzuerhalten, ließ sich Richard mit einer ganzen Reihe von Frauen ein, die er bei sich in das kleine Haus in Spring Hill einziehen ließ. Unter den ersten war eine geschiedene Frau mit Namen Essie Mae, die aus dem nahegelegenen Ripley stammte – und die er heiratete. Ihre Tochter Nettie Mae zog auch mit ein.
Anna und Alline und ihre Halbschwester Evelyn mochten die beiden eigentlich von Anfang an nicht. Es war sogar so, dass sie Essie Mae den Spitznamen „Frog“ (Frosch) gaben und Nettie Mae bei ihnen „Pig“ (Schwein) hieß. Tina sind die breiten Hüften des „Froschs“ und ihr Mund mit den vielen Goldkronen noch gut in Erinnerung. Und sie weiß noch, wie neidisch sie auf die umfangreiche Garderobe von „Schwein“ war.
Da „Frosch“ darauf bestand, zog die Familie ins nahegelegene Scott’s Hill in ein Haus neben dem örtlichen Friedhof. Die Harmonie im Bullock’schen Heim war allerdings nicht von langer Dauer. Richard und Essie Mae begannen sich zu streiten. Mehr als einmal kam es gar zu Handgreiflichkeiten. Eine ihrer schlimmsten Auseinandersetzungen endete damit, dass Essie Mae Richard Bullock ein Messer zwischen die Beine rammte.
Es dauerte dann nicht mehr lange, bis „Frosch“ und „Schwein“ ihre Sachen packten und für immer fortgingen. Zu diesem Zeitpunkt hörte Richard damit auf, seine Kinder mit in die Kirche zu nehmen. Das zog eine ganze Reihe von Babysittern und Haushälterinnen nach sich. Unter den Frauen, die sich um Anna und ihre Schwestern kümmerten, waren Miss Jonelle und Ella Vera, die Schwiegermutter von einem von Richards Brüdern.
Entweder kamen die Leute zu Anna, Alline und Evelyn nach Hause und betreuten sie dort oder die Mädchen mussten zu diesen Babysittern gehen. Eine Weile lebte Miss Jonelle sogar mit bei den Mädchen im Zimmer. Doch bald begannen sich auch Richard und Miss Jonelle zu streiten. Wieder dauerte es nicht lange, bevor Miss Jonelle ebenfalls ihre sieben Sachen packte und ging.
Ihr Leben verlief derart zwar nicht gerade glücklich, aber Anna gelang es trotz dieser ständig wechselnden Bezugspersonen und der ebenso häufig wechselnden Partnerinnen ihres Vaters, sich ihre eigene Identität zu bewahren. „Wenn sich irgendjemand um mich kümmerte, dann war das meine Schwester“, so Tina. (1)
Als sie 13 war, passierte ihr etwas Unangenehmes. Irgendwie erfuhr Ella Vera davon, dass Anna ihre Periode noch nicht bekommen hatte. Ella Vera machte sich Sorgen, dass irgendetwas nicht in Ordnung sein könnte und wandte sich aus diesem Grund an Richard und erzählte ihm davon. Dieser ging mit Anna dann zum Arzt, um das abklären zu lassen. Anna empfand diese ärztliche Untersuchung als entsetzlich. Wenig später bekam sie dann ihre erste Periode. Das schockierte Anna noch viel mehr. In ihrem Teenagerkopf machte sie den Arzt dafür verantwortlich, dass diese monatliche Plage nun zu einem wiederkehrenden Teil ihres Lebens wurde.
Doch das war nichts im Vergleich zu dem, was als Nächstes kam. Ganz plötzlich verließ ihr Vater die Familie und zog in den Norden, nach Detroit. Nur drei Jahre, nachdem ihre Mutter weggegangen war, wurden Anna und Alline nun sozusagen zu Waisen – denn man ließ sie allein.
„Ich konnte es einfach nicht glauben“, sagt Tina. „Da war ich nun – dreizehn Jahre alt und ohne Mutter. Und nun war auch noch mein Vater weg.“ (1)