The Who - Maximum Rock III. Christoph Geisselhart
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Who-Fan Andreas Mock über das Open-Air-Konzert in Nürnberg, den ersten Who-Auftritt ohne Keith Moon in Deutschland
Kenney Jones wurde im Dezember 1978 als gleichberechtigter Partner bei The Who offiziell vorgestellt. Roger hatte wieder einmal bewiesen, dass er Niederlagen schnell schlucken konnte, wenn es dem Wohl der Gruppe diente. Er stellte sich sogar entschiedener als Pete und John hinter den neuen Schlagzeuger und teilte jedem Journalisten mit: „Kenney ist jetzt ein Teil von uns, und wenn einer von euch sagt, dass wir ohne Keith nicht mehr dieselben sind, werde ich ihm persönlich die Beine brechen.“ Rogers vollmundige Kampfansage konnte freilich nicht über die Tatsache hinweg täuschen, dass The Who, abgesehen von ihm selbst, gar nicht mehr dieselben sein wollten.
„Ehrlich gestanden öffnete uns Keiths Tod ja eine Menge Türen“, befand Pete. „Kenney spielt nicht nur ganz anders als Keith – er ist auch ein viel bodenständigerer Drummer, der einer Band Rückhalt gibt. Er ist eine vollkommen andere Persönlichkeit. Keith war ein unglaublich positiver Musiker und Interpret, aber persönlich eine Bestie an Negativität. Er brauchte dich für seine Selbstdarstellung, auf und neben der Bühne. Kenney ist ein sehr viel positiverer Mensch; er passt auch gut zu den anderen Jungs in der Band.“
Kurz nach der Zusage von Kenney Jones hatten die Who auch den bereits vertrauten Keyboarder John „Rabbit“ Bundrick in die Ramport Studios eingeladen. „Ich denke, das war nur eine Art Vorwand, damit sie testen konnten, was ich im Studio drauf hatte“, erzählt der 1946 in Texas geborene Tastenspieler, der hauptsächlich mit dem Trio Free bekannt geworden war und den Spitznamen seinen prominenten Schneidezähnen verdankte:
„Wir arbeiteten vom 6. bis 10. November miteinander, und am letzten Tag bat mich Bill Curbishley zu einem Plausch mit Pete. Sie fragten mich offiziell, ob ich bei den Who mitmachen wollte. Ich sagte, ich müsse mit meiner Band Crawler noch eine Amerikatour machen. Sie akzeptierten meine Verpflichtung und meinten, wenn ich den Job haben wollte, sollte ich nach Abschluss der Tournee nach England zurückkommen und meinen Platz bei ihnen einnehmen. Mann, was für ein Leben! Allerdings wusste ich noch nicht, wie ich das den Jungs von Crawler beibringen sollte. Am 13. brachen wir nach Amerika auf. Nach einem Monat hatte ich immer noch nichts gesagt und stand so unter Druck, dass ich nach unserem letzten Auftritt fast platzte. Ende Dezember 1978 führte uns unser Manager zu einem Abschlussdinner aus. Wir tranken, aßen, redeten, und die anderen machten Pläne, wie es weitergehen sollte. An mir lief alles vorbei. Sie fragten mich, was los sei, und plötzlich explodierte ich wie ein Vulkan: ‚Okay, Jungs, das war’s. Ich steig’ aus, ich bin draußen. Macht, was ihr wollt, aber ich steige bei The Who ein.‘ Sie brachen in Gelächter aus und meinten: ‚He, Rabbit, wovon redest du? Du kennst die Who nicht mal, wer hat dich denn gefragt, ob du bei ihnen einsteigen willst?‘ Sie hielten es für eine typische Wahnidee von Rabbit, dem Spinner, aber ich sagte nur: ‚Oh doch, ich kenne sie. Sie haben mich gefragt, ob ich Crawler verlassen und bei ihnen einsteigen will, und ich habe gesagt: ,Ja, nach dieser Tour.‘ Also bin ich draußen, Jungs. Ihr könnt machen, was ihr wollt, aber ich fliege jetzt nach England und steige bei den Who ein.‘“
Und so wurden The Who zum Quintett. Das sakrosankte Konzept vom wilden Vier-Männer-Ensemble, das so viel Krach macht wie zehn Big Bands zusammen, gehörte also bereits acht Wochen nach Keiths Tod der Vergangenheit an – notgedrungen, denn es war vor allem Keith gewesen, der ein ganzes Orchester ersetzt hatte.
Pete begrüßte den Umstellungsprozess mit kaum verhohlenen Stoßseufzern, denn er hatte spätestens nach der anstrengenden Studioproduktion von Who Are You keinen Weg mehr aus der Sackgasse gesehen, in die er mit den Who unweigerlich geraten war, nachdem ihr Solist an den Pauken die erforderliche musikalische Weiterentwicklung nicht mitgehen konnte. Während Roger noch zögerte und sich unsicher fühlte, ob und wie Keith zu ersetzen sei, pflanzte Pete eine Wegmarke nach der anderen ein:
„Lange Zeit hatte ich mich eingeschränkt gefühlt, weil ich vorwiegend Rhythmusgitarre spielte. Deshalb wollte ich für die Band einen Keyboarder, der Klavier und Orgel spielte, und nach Möglichkeit noch einen zweiten Gitarristen, damit ich auf der Bühne mit Synthesizern arbeiten und verschiedene Gitarrenparts ausprobieren konnte. Damit wären wir endlich in der Lage gewesen, unsere komplexeren Kompositionen aufzuführen, die es ja in unserem Repertoire durchaus gab.“
Petes Wunschformation entspricht übrigens exakt der aktuellen Who-Tourband (2007/2009), die ja mit Petes Bruder Simon an der zweiten Gitarre, Zak Starkey am Schlagzeug, Pino Palladino am Bass und Rabbit an den Tasten sowie mit Pete und Roger ein Sextett ist.
Mit der Verpflichtung von Rabbit, der nicht als vollwertiges Mitglied aufgenommen wurde, sondern eher eine Art ständiger Mitarbeiter wurde, und mit Kenney Jones, der ein taktgenauer, sachlicher Schlagzeuger mit einem kraftvollen, aber traditionellen und wenig experimentierfreudigen Stil war, glaubte sich Pete musikalisch schon Ende 1978 so weit abgesichert, dass The Who aus dem zu eng gewordenen Korsett ausbrechen konnten. Auch für sich als Bühnenkünstler sah er neue Freiheiten, nachdem weder Rabbit noch Kenney als neue Kollegen sonderlich extrovertiert schienen. Rabbit verschanzte sich gern meist nahezu unsichtbar fürs Publikum hinter seinen Keyboards, und Kenney lehnte zu viel Emotionalität am Schlagzeug erklärtermaßen grundsätzlich ab: „Über die Jahre hinweg musste ich mir ständig anhören, wie toll das Leben als Schlagzeuger sei, weil ich doch meine Frustrationen samt und sonders an den Trommeln ausleben konnte. Das habe ich niemals getan. Im Gegenteil, sobald ich Wut und Ärger verspüre, höre ich sofort auf. Ich bin stolz darauf, ein akustisches Instrument zu spielen; das ist nichts, worauf man seinen Frust auslässt.“
Man mochte diese Äußerung auch als bewusste Distanzierung zum überirdischen Vorgänger Keith Moon auffassen. Kenney Jones galt als korrekter, gradliniger und kontrolliert lebender Mensch; er war glücklich verheiratet mit Jane Osborne, der Tochter des Dirigenten und Komponisten Tony Osborne, und Vater von zwei Söhnen, Dylan und Jesse. Die Neigung, sich auf und hinter der Bühne in Exzessen gehen zu lassen, kannte man von ihm nicht. Besser gesagt: Er zeigte solche Neigungen nicht, bis er bei The Who einstieg. Ian McLagan schilderte Kenney als Faces-Schlagzeuger noch als zurückhaltenden, fast schüchternen Mensch, der sich den Dramen des Musikgeschäfts meist klug fernhielt. Doch der Mythos oder die geheime Kraft hinter The Who erfasste den Neuen bald ebenso heftig wie die verbliebenen Bandmitglieder, die sich der Illusion hingaben, dass sie den Weg ihrer Gruppe nach Gutdünken lenken konnten.
Große Bands zeichnet stets eine besondere Fähigkeit aus: nämlich jene, dass sie über sich und ihre Rolle Klarheit erlangen und aus den internen Prozessen musikalische Energie beziehen, die sie an ihr Publikum weitergeben können. Gerade aus diesem Grund ist die Rockmusik ja hauptsächlich von Bands geprägt worden, also weniger von Einzelpersönlichkeiten wie etwa der Schlager, die Popmusik oder der Rock’n’Roll. Die gruppendynamischen Prozesse innerhalb einer Rockband scheinen auf die Anhängerschaft auszustrahlen, und das macht wohl auch ihre Magie und Identität stiftende Kraft aus. Einige große Gruppen haben den Verlust eines Gründungsmitglieds nie verkraftet und sich bald danach aufgelöst, wie Led Zeppelin, die nach dem Tod ihres Schlagzeugers John Bonham im September 1980 offiziell aufgaben – John Bonham wurde übrigens wie Keith nur zweiunddreißig Jahre alt, und er starb tatsächlich so, wie man es Keith zudichtete: an seinem Erbrochenen nach übermäßigen Alkoholkonsum. (Bonhams Sohn Jason, 1966 geboren und also fast gleich alt wie Zak Starkey, saß im Dezember 2007 am Schlagzeug, als Led Zeppelin noch einmal für ein groß angekündigtes Wohltätigkeitskonzert zusammenkamen.) Andere Musikerkollektive haben ihr internes Drama relativ offen in ihrem Werk verarbeitet, wie etwa Pink Floyd, die ihrem „Crazy Diamond“ Syd Barrett ein musikalisches Denkmal setzten, wenngleich wohl eher aus schlechtem Gewissen.
Die dritte – und offenbar erfolgreichste – Variante der Verarbeitung traumatischer Erlebnisse ist, das Trauma unter den Teppich zu kehren.