Krupps Katastrophe. Ulrich Land

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Krupps Katastrophe - Ulrich Land Mord und Nachschlag

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und das Unternehmen halten!« Und dann hieß Wilhelm sie durch einen kaum erkennbaren Wink seiner Rechten näherkommen, beugte sich weit nach vorn und gab ihr mit vertraulich leiser Stimme zu verstehen, sie möge sie ihm mal eben zeigen, die Fotografie.

      Worauf die Kruppsche mit leicht chargiertem Entsetzen zurückwich. »Aber Majestät, Ihr werdet verstehn, dass ich solche Schmutzpapiere nicht im Mieder am Herzen trage.«

      »Wollen Sie mir sagen«, der Kaiser war hellhörig geworden, »wollen Sie mir sagen, dass besagte Fotografie gar nicht existiert und nichts ist als eine Fantasiegeburt gekränkter weiblicher Eitelkeit?!«

      »Was glaubt Ihr von Eurer allerhöchst Ihnen zutiefst ergebenen Untertanin!«

      »So lassen Sie mir die Aufnahme umgehend zukommen!« Wilhelm drohte, ungehalten zu werden, hatte sich aber schnell wieder im Griff. »Ich werde mich für eine diskrete Behandlung der Sache verwenden.«

      »Zu gütig, Majestät, aber ...«

      »Bedenken Sie, dass Ihr Gatte stets im Höchstmaß an Leib und Seele geläutert von Capri heimkehrte und die Geschäfte mit gewohntem Verantwortungsbewusstsein wieder aufnahm. Das wird auch fürderhin nicht anders sein, da können Sie ganz beruhigt sein. Und nun vertrauen Sie sich für die Rückreise meinem Kutscher an!«

      »Hochwohlgeboren, Eure gehorsamste Dienerin empfiehlt sich«, empfahl sich Margarethe und verließ, Knickse aufs Parkett verteilend, den Salon, während der Kaiser ihr ein »Gehaben Sie sich wohl!« hinterherhüstelte.

      Kaum aber war die Tür hinter ihr ins Schloss gefallen, da hämmerte Majestät gedankenverloren einen funkenstiebenden Rhythmus auf die Klingel, und sofort flog die gegenüberliegende Tür auf. Mit servilen Verbeugungen kam sein, ich nehme mal an: persönlicher Adjutant angebuckelt.

      »Sie sagten heute früh«, murmelte der Kaiser immer noch ziemlich in Gedanken, »sagten Sie nicht, als wir heute früh über die Verirrungen Friedrich Alfred Krupps sprachen, sein Arzt hätte Ihnen eine allererste Adresse für solche Fälle gegeben?«

      »Sehr wohl, Euer Majestät.«

      »Also?«

      »Die Nervenheilanstalt des Professor Binswanger in Jena.«

      »Dann très vite, bestellen Sie meinem ersten, oder nein, meinem zweiten Kutscher, er solle Sorge tragen, dass man Frau Krupp stante pede zur Heilanstalt nach Jena expediere! Und lassen Sie umgehend an Herrn Krupp telegrafieren, dass seine Frau unter dramatischer Geistesverwirrung leide und nach Rücksprache mit den Ärzten ein Sanatoriumsaufenthalt kaiserlicherseits angeordnet worden sei. – Und wenn Sie schon mal dabei sind: Lassen Sie in das Telegramm den Hinweis aufnehmen, dass seine Frau Margarethe über eine ihn dekuvrierende fotografische Aufnahme verfüge. Er möge sich also um eine Sicherstellung dieser Fotografie bekümmern, in seinem eigensten, seinem ureigensten Interesse.«

      »Sehr wohl, Majestät«, sagte der Adjutant und wollte eben abtreten, als Wilhelm noch mal anhob: »Und schicken Sie das Telegramm nicht unter dem offiziellen kaiserlichen Absender. Ich denke, wir haben uns verstanden.«

      Nun ist auch diese Überlieferung nicht wirklich verbürgt. Und trotzdem wollen wir sie so stehen lassen, wie Großvater Fahrenhorst sie sich – wir wissen nicht aus welchen Quellen gespeist – zusammenreimte. Hätte sich die Szene nicht auf diese Weise abgespielt, so müsste man die Zeit zurückdrehen, die Historie korrigieren und sich das Ganze eben doch exakt getreu dieser seiner Ausführungen zutragen lassen! Einfach nur, weil es so perfekt passt. Womöglich ist das auch der Grund, weshalb ich mich noch aufs Jota an den Wortlaut seiner Erzählungen erinnere, obwohl inzwischen auch schon wieder über vier Jahrzehnte ins Land gegangen sind, seit er mir die Geschichte anvertraute.

      Andere historische Quellen wollen, wie mir inzwischen zu Ohren gekommen ist, glauben machen, dass nicht der Kaiser es war, der Margarethe Krupp in die Jenaer Psychiatrie verbringen ließ, sondern ihr Gatte Friedrich Alfred. Wenn auch auf des Kaisers Anraten hin! Dieser soll Krupp mitgeteilt haben, dass man in Berlin weniger ihn, Friedrich Alfred, denn vielmehr seine Frau Margarethe als die eigentliche Gefahr betrachte. Könne doch nicht ausgeschlossen werden, dass sie, verletzt und gedemütigt, wie sie augenscheinlich sei, querschieße bei den ohnedies höchst diffizilen Bemühungen, den um seine, Krupps, Person brodelnden Gerüchtesumpf trockenzulegen und das ganze Debakel in ein anderes, ins rechte Licht zu rücken.

      Obwohl sich an dieser Stelle die Frage erhebt, ob denn tatsächlich angenommen werden kann, dass Friedrich Alfred in seiner desolaten Verfassung im Herbst 1902 derart unverfroren gegen seine Frau vorgehen würde. War seine Persönlichkeit nicht weit eher darauf ausgelegt, die Anwürfe gegen sich selbst zu richten und schleunigst die Flucht anzutreten? Selbst wenn der Fluchtpunkt sein eigenes Herz wäre.

      Unstrittig ist auf jeden Fall die Tatsache, dass die Krupps ein besonderes Verhältnis zu Professor Binswanger in Jena unterhielten, der seinerzeit als einer der Apologeten der zeitgenössischen Neuromedizin galt. Es ist also nicht ausgeschlossen, dass Margarethe Krupp einfach nur aus persönlicher Verbundenheit zu Binswanger gefahren ist, um sich Rat zu holen. Und nicht auf kaiserliche Weisung hin. Mag sein, mag alles sein.

      Aber noch einmal: Die mir seinerzeit von meinem Großvater übermittelte Variante mit der höchstkaiserlichen Einweisung ist – wenn auch vielleicht nicht bis in die letzte Verästelung hinein historisch belegbar – dramaturgisch um Längen interessanter und soll hier weiters unhinterfragt für bare Münze genommen werden.

      Dass jedenfalls Margarethe Krupp sich bis zum Tode ihres Mannes in Jena aufhielt, ist zweifelsfrei überliefert. So vermeldete die Rheinisch-Westfälische Zeitung am 24.11.1902 – Zitat: »Frau Krupp, welche seit längerer Zeit leidend ist und bei Prof. Binswanger in Jena in Behandlung war, traf Sonntagvormittag [...] auf dem hiesigen Hauptbahnhof ein.«

      Damit nun ist ein Punkt erreicht, wo nicht mehr zu übersehen ist, dass es hier in dieser ganzen verknoteten Geschichte aber auch nicht einen einzigen Beteiligten gab, der nicht mindestens einen guten Grund gehabt hätte, Friedrich Alfred Krupp ans Leder zu gehen! Angefangen von irgendwelchen zerstrittenen Clans auf Capri, über welchen düpierten Galan auch immer, bis hinein in die engste Familie und die höchsten Staats- und Industriekreise. Nicht einer, der nicht ernsthaft in Frage kommt! Fantasiegespinste meines Großvaters hin oder her.

       6

      Nein, natürlich hab ich von den Geschehnissen in Kaiser Wilhelms Audienzsaal zu dem Zeitpunkt damals nichts gewusst. Sind mir erst reichlich zwei Monate später zugetragen worden durch das besagte Loch im Zaun des kaiserlichen Palais, das genauer zu beschreiben der Vertrauensschutz meiner Informanten verbietet.

      Ich lief um jene Zeit, ahnungslos wie ich war, bei der Villa Hügel auf, nahm die zwei Stufen zum Eingangsportal in einem Satz und knöchelklöpfelte gegen die schwere Tür. Es dauerte eine Ewigkeit, dann räusperte sich das Schloss und die Tür ging einen Spalt auf. Ich drückte den Rücken durch und bedeutete dem noch finstrer als sonst dreinblickenden Diener, er möge mich der Frau des Hauses melden.

      »Tut mir leid. Frau Krupp sind verreist«, knurrte der Diener unwillig, und als wenn er bemerkt hätte, dass er mit seiner abweisenden Haltung vielleicht doch ein bisschen übers Ziel hinausgeschossen war, schob er schnell noch nach: »Zur Kur nach Jena.«

      Ich war platt. Derart platt, dass ich jede Contenance fahren ließ und entgeistert mehr krähte als fragte: »Wie, was heißt hier ›Kur‹? Davon hätte sie mich doch unterrichtet. Noch mal: Es ist dringend! Melden Sie mich sofo...!«

      Krawumm – da war die Tür ins Schloss gefallen. Unglaublich! Schlug dieser räudige Lakai mir, Fahrenhorst,

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