Krupps Katastrophe. Ulrich Land

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Krupps Katastrophe - Ulrich Land Mord und Nachschlag

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mehr Christian Wilhelm Allers versuchte, sich gegen die Anwürfe zur Wehr zu setzen, desto mehr nahmen sie an pikanter Schärfe zu. Bis sie sich schließlich zu der Behauptung aufgeschaukelt hatten, der Zeichner aus Germania habe sich nicht nur mit seinesgleichen sündig amüsiert, sondern auch mit Knaben, die keineswegs dreimal sieben Jahre alt waren. Und keine Frage, der Maler muss ganz genau gewusst haben, was das bedeutete.

       4

      Du glaubst gar nicht, wie froh ich war, als ich endlich unten im Keller meines Essener Häuschens in der Dunkelkammer stand. Mein Zufluchtsort, wenn um mich rum die Luft brannte! Ich plätscherte mit der Fotoplatte in der Entwicklerlauge und war gespannt wie ’n Flitzebogen, was da wohl ans Tageslicht kommen würde. Irgendwann allerdings, ich hab keine Ahnung, wie lang ich schon gebannt auf die Platte in ihrer Brühe da starrte, irgendwann schlug die erholsame Ruhe in fiebrige Ungeduld um. Die übliche Zeitspanne war schon zweimal abgelaufen, die Entwicklung musste längst komplettamente vollzogen sein, aber nichts tat sich. »Himmel noch mal, komm schon!«, murmelte ich und gab der Platte noch mal einen Schubs, damit die Lauge von allen Seiten dagegenschwappen und ihre Arbeit endlich verrichten würde. Dann wartete ich noch mal eine halbe Ewigkeit. »Verdammt noch mal«, entfuhr es mir schließlich, »da ist nichts drauf! Kein Furz ist da drauf.« Ich kippte noch einen ordentlichen Schluck frischen Entwickler nach, ließ ihn die Platte noch mal umspülen, zigmal. Und noch mal.

      Irgendwann dann packte ich mir mit der von der Entwicklertunke schwammig aufgedunsenen Hand an die Stirn. »Da ist nichts drauf. Schwarz, zum Deibel, ist das schwarz! Schwarz wie ’ne Fotoplatte nur sein kann. Und bleibt schwarz. Also hat sie doch Licht abbekommen, die Platte! Doch ’n Riss im Gehäuse beim Sturz, vielleicht. Oder das Dingen hat einfach zu lang in der Sonne gelegen auf dem elend langsamen Fischkutter. Jedenfalls der olle Krupp, wie er sich da mit seinen Capri-Jungs tummelt: nichts, absolut nichts von zu sehn.«

      Ich ließ mich auf meinen Schemel plumpsen, oder besser gesagt: dahin, wo ich den Schemel vermutete. War aber kein Schemel zur Stelle. Also krachte ich rücklings mit lautem Kladderadatsch auf den Boden und rammte mit dem Steißbein gegen den Fünfzehn-Liter-Kübel mit Fixierbrühe. Egal. Schmerz spürte ich mit diesem Kreisel im Kopf sowieso nicht. Ich kauerte mich einfach auf die kalten Fliesen und sackte in mich zusammen. »Himmels willen, in’ Arsch gekniffen! Nichts da mit dem Foto, das ich der Krupp großkotzig angekündigt hab. Niente. Kein Bild, kein Beweis, kein Geld.«

      Dann plötzlich, wie vom Blitz getroffen, sprang ich auf und hörte mich laut rufen: »Und die andern Platten?« Und ich zog eine weitere aus ihrem Holzschuber, legte sie in die Brühe und schaukelte sie hin und her, so gleichmäßig, wie’s mir in meiner Aufregung gegeben war. »Jau, da ist was drauf. Irgendso ’n Idiotenfoto. Klar, die Platte ist heil geblieben! Ausgelöst, als die Trottel über mich herfallen und mir die Kamera wegreißen wollen, völlig schiefe Perspekt... he, warte mal!«, schrie ich. Ich weiß, ich weiß, bisschen seltsam: Selbstgespräche. Zumal für so ’n jungen Kerl, wie ich damals war. Aber hier unten hörte mich ja keiner. »Warte mal! Dieser Gigolo, der kleine schwule Caprifischer, Giovanni oder wie der hieß – das ist ja genau der Augenblick, wo dem einer mit dem Messer ans Fell geht – da ist, das ist doch, kann man genau erkennen: wie dem wer und wer dem das Messer in die Brust ... – Verdammt und zugenäht!«

      Kannst dir vorstellen: Ich war wie vor ’n Kopf gehauen! Blieb bloß noch die Frage, wann der günstigste Augenblick gekommen sein würde, um mit der Auflösung rauszurücken. Das Finale Furioso der Tragödie muss schließlich wohl gesetzt sein, wenn’s eine einigermaßen erbauliche kathartische Wirkung erzielen soll.

       5

      »Es gibt für die ungeheuerlichen Entgleisungen meines Mannes hieb- und stichfeste Beweise, Eure Majestät. Er ist von Sinnen!« Margarethe Krupp stand noch auf der Schwelle des Audienzsaals, wie mir einer meiner Informanten bei Hofe zutrug – ob du’s mir nun glaubst oder nicht, es war die Zeit damals, wo die ganze Welt mit Spitzeln gespickt war, man musste bloß das Portemonnaie ’n bisschen locker sitzen haben; außerdem, schließlich war’s ja nicht mein Geld –, Margarethe also stand auf der Schwelle des Audienzsaals und war, nachdem sie den Kaiser in einem der pompösen Sessel ausgemacht und das Begrüßungszeremoniell im Eilverfahren abgewickelt hatte, ohne weitere Umschweife zur Sache gekommen. »Ich brauche Euch nicht zu versichern, welch schwerer Angang es für mich ist, solche Anschuldigungen in den Raum zu stellen.«

      »Gemach, gemach!«, entgegnete der Kaiser mit beschwichtigend sonorer Stimme. »Welcher Art sind denn die hieb- und stichfesten Beweise, die Sie hier annoncieren? Und um welches Vergehen, meine Beste, handelt es sich eigentlich?«

      »An uns, Majestät, an Euch und an mir liegt es, dass wir der öffentlichen Verleumdung zuvorkommen und der Name Krupp so unbeschadet als irgend möglich aus dieser delikaten Angelegenheit hervorgeht. Und deshalb muss ich Euch dringend bitten, Euer Hochwohlgeboren kaiserliches Ansinnen darauf zu richten, dass man meinen Gatten ...«

      »Nun?«

      »Ihr, Majestät, Ihr müsst ihn ... ich flehe Euch an: Ihr müsst ihn entmündigen!«

      »Das ist starker Tobak.« Der Kaiser blickte kurz auf.

      Während Margarethe Krupp den Blick senkte und langsamen, nicht im mindesten herrschaftlichen Schritts näher kam. Mit hängenden Schultern und brüchiger Stimme resümierte sie: »Hat er sich im Grunde doch längst selbst entmündigt, jede Zurechnungsfähigkeit verspielt. Das dürfte ihm ja wohl bewusst sein, dass er damit nicht nur seine Existenz, nicht nur den Weltrang des Unternehmens aufs Schafott trägt, dass er nicht nur den seit Generationen unbefleckten Ruf seiner Familie den Schmähungen des Mobs ausliefert, sondern«, und plötzlich war ihre Stimme wieder schneidend klar, und ihr Blick richtete sich geradewegs auf ihr Gegenüber, dem es in seinem Sesselplüsch irgendwie unbequem geworden war, »sondern dass er mit seinem liederlichen Treiben auch Sie, Majestät, Sie allerhöchstselbst als seinen Freund und Förderer in Misskredit bringt.«

      Der Kaiser wechselte die übereinandergeschlagenen Beine. »Verehrte Frau Krupp, da müsste wahrlich Ungeheuerliches vorgefallen sein, bevor mit Fug und Recht an der Loyalität Ihres Mannes, an der Loyalität des Geheimen Rats Friedrich Alfred Krupp gegenüber Reich und Kaiser zu zweifeln wäre.«

      Sie wäre nicht die Krupp gewesen, wenn sie jetzt aufgegeben hätte. Den Anflug eines Knickses in die Knie legend, wagte sie einen weiteren Vorstoß: »Liegt nicht sogar die Vermutung nah, dass aus dem Vergehen meines Gatten der Keim der Disziplinlosigkeit übergreifen könnte auf die Arbeiterschaft?! Dass auf diesem so prächtig vorbereiteten Boden die Agitation der Sozialisten am Ende selbst im Bürgertum verfangen könnte?!«

      »Nicht auszudenken.«

      »Majestät, wenn ich in dieser schändlichen Sache eine andere Möglichkeit sehen würde als die, meinen armen, verirrten Mann von seiner großen, übergroßen Verantwortung zu befreien ...! Aber eine Entwürdigung diesen Ausmaßes muss Entmündigung nach sich ziehen! – Was nun die Beweise anlangt, Eure Majestät: Es existiert eine absolut desavouierende Fotografie, die meinen Gatten in unmissverständlicher Pose im Kreise graziöser Capreser Jünglinge zeigt.«

      Der Kaiser räusperte sich. Langsam schien er zu begreifen, mit was für Dimensionen er es hier zu tun bekam. Er lüpfte kurz den Allerwertesten aus den schwammigen Polstern, um sich grade zu setzen, und streckte, leise ächzend, den Rücken durch. »Lassen Sie die Sache auf sich beruhen! Übergeben Sie mir die Fotografie, ich selbst werde mir die angemessene Behandlung dieses Casus vordringliches Anliegen sein lassen.«

      »Ich würde es mir nie verzeihen«, sprang ihm Krupp, die Holde, untertänigst bei, »Dero großmächtiges Engagement über Gebühr strapaziert zu haben.«

      »Nein

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