Black or White. Hanspeter Künzler
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Black or White - Hanspeter Künzler страница 12
Wie der Musikhistoriker Charlie Gillett in seinem Buch „The Sound Of The City“ festhält, lag der Popgeschmack der weißen amerikanischen Teenager in der zweiten Hälfte der 50er Jahre recht nahe beim Geschmack ihrer schwarzen Alterskollegen. Fats Domino, Elvis Presley, Chuck Berry und Little Richard hatten sich als Rock’n’Roller in den „Popular“-Charts (sprich: den Charts, welche die Kaufgewohnheiten des gesamten Pop-Publikums reflektierten) ebenso etabliert wie in den „Rhythm & Blues“-Charts (den Charts für schwarze Musik). Aber die führenden Kräfte in der amerikanischen Musikindustrie zogen es vor, an den alten Demarkationslinien festzuhalten. Die großen Plattenfirmen, TV-Stationen und Konzertlokale konzentrierten sich weiterhin auf „Popular“. Plattenläden, Konzertlokale und vor allem Radiostationen stellten sich auf ein spezifisches Publikum ein, ohne sich darum zu kümmern, was auf der anderen Seite der Straße passierte. So drifteten die beiden „Märkte“ „Popular“ und „Rhythm & Blues“ bald wieder auseinander. Rock’n’Roll war die gemeinschaftliche Ausdrucksform der ersten Generation von Teenagern, die dank der blühenden Industrie in den Nachkriegsjahren über ihre eigenen finanziellen Mittel verfügte und dadurch für die Unternehmer im Unterhaltungsgeschäft interessant geworden war. Das bevorzugte Medium der Teenager war die Single, die mit billigen Mitteln in kürzester Zeit aufgenommen und verbreitet werden konnte. Aber die großen Plattenfirmen waren nicht flexibel genug, auf die kurzlebigen Trends im Singles-Markt einzugehen. Viel lieber belieferten sie den weißen Pop-Mainstream, der leichter manipulierbar war und durch saft- und kraftlose Saubersounds gekennzeichnet war, wo von Rebellion und emotionellem Selbstausdruck nicht die Rede sein konnte (in den Augen vieler kam „das Ende“ des Rock’n’Roll am 24. März 1958 mit dem Einrücken von Elvis in die Armee). Wie schon in den frühen Rhythm & Blues- und Country & Western-Jahren gab es nur noch zwei Möglichkeiten, wie Außenseitermusik einen Weg in die Pop-Charts finden konnte: Wenn die großen Plattenfirmen ihre etablierten Stars verwässerte Versionen der Underground-Hits einspielen ließen oder wenn die kleinen Fische – Sänger, Musiker, Manager, Produzenten – zur Selbsthilfe schritten und ihr eigenes, unabhängiges Plattenlabel gründeten, um ihre Platten selber an den Mann zu bringen. Eine schöne Illustration für diesen Vorgang liefert der (weiße) Comedian Tom Lehrer. Seine 1953 auf eigene Kosten aufgenommene und in Studentenkreisen populäre LP „Songs by Tom Lehrer“ wurde noch Jahre später von RCA Records abgelehnt mit dem Argument, man könne es nicht riskieren, dass die Kundschaft brüskiert werde und gar die Kühlschränke und Kochherde boykottiere, welche die Firma ebenfalls noch herstellte. Kein anderes Major-Label wollte das Album veröffentlichen, das heute zu den Klassikern des Genres zählt, und so vertrieb es Tom Lehrer weiterhin selber. Abseits der Zwänge des „Big Business“ verdrängte im Rhythm & Blues nun der Einfluss von Gospel die alten Blues-Elemente. Dadurch wurde ein neuer Stil kreiert – Soul. Sam Cooke war der erste schwarze Sänger, der Gospel auf diese Weise in die Hitparade brachte („You Send Me“, 1957). Ray Charles’s „What’d I Say“, „Shout“ von den Isley Brothers und Jackie Wilsons „Lonely Teardrops“ (Co-Autor: Berry Gordy Jr.) erschienen alle 1959 und waren weitere Meilensteine.
Kurz nach dem Hitparadenerfolg von „Reet Petite“ saß Berry Gordy Jr. im Büro von Nat Tarnopol, der nach dem Tod von Al Green Jackie Wilson allein managte, als eine Gruppe von Teenagern zur Vorsingprobe erschien. Tarnopol schickte The Matadors alsbald weg, aber Gordy eilte ihnen nach und kam mit ihnen ins Gespräch. Erstaunlicherweise stammten die Songs der Gruppe aus der Feder des 17-jährigen Lead-Sängers William „Smokey“ Robinson. Innerhalb kürzester Zeit entwickelte sich ein außergewöhnlich starkes Band zwischen den beiden ambitionierten Songschreibern. Gordy verbrachte Stunden damit, die ungehobelten, aber einprägsamen Lieder Robinsons so zurechtzustutzen, dass sie ins Schema eines Pop-Songs passten. Das erste erfolgreiche Resultat war im Januar 1958 die Single „Got a Job“, ein Antwort-Song auf den Silhouettes-Hit „Get a Job“ (allerdings ließ sich Gordy als alleiniger Komponist auflisten). The Matadors hießen nun The Miracles. Zur gleichen Zeit bemühte sich Gordy, Nachwuchssänger zu finden, mit denen er Demo-Aufnahmen der Songs machen konnte, die er weiterhin mit Billy Davis komponierte, um sie potentiellen Kunden vorzuspielen. Auf seiner Suche stieß er auf David Ruffin, Melvin Franklin (später beide bei den Temptations) sowie Brian und Eddie Holland. Dann kam für Berry Gordy Jr. der große Aha-Moment. Sein Bruder Robert hatte ihn dazu überredet, ihn ein Lied einspielen zu lassen, das er selber komponiert hatte, „Everyone Was There“. Die Studiomusiker waren skeptisch – sie meinten, der Song klinge „zu weiß“ für einen schwarzen Sänger. Dennoch konnte ein respektables, unabhängiges New Yorker Label gewonnen werden, die Single zu veröffentlichen. Die Radiostationen spielten sie auch häufig. Ein Auftritt in der samstagabendlichen TV-Sendung von Dick Clark sollte Robert Gordy (alias Bob Kayli) den Durchbruch sichern. Das Gegenteil passierte: Auf der Stelle interessierte sich niemand mehr für die Platte. Für Berry Gordy war klar, was passiert war: Dem schwarzen Publikum war das Stück tatsächlich „zu weiß“ (sprich: poppig), während das weiße Publikum nicht verstand, warum ein Pop-Song von einem Schwarzen gesungen wurde. Berry Gordy betrachtete die Situation aus einer anderen, geradezu revolutionären Perspektive. So gesehen war die Diskussion, ob Elvis Presley „Rock’n’Roll“ oder „Rhythm & Blues“ gesungen hat (eine Diskussion, die in gewissen Kreisen heute noch geführt wird), unsinnig: Für Gordy war die Musik von Elvis Presley schlicht „Pop“. Fortan erachtete er es als seine große Herausforderung, Popmusik zu kreieren, die von Schwarzen gesungen und gespielt wurde. Er nahm ein Darlehen von $ 1 000 aus der Familienkasse auf und startete Motown Records. Mit seiner neuen Lebenspartnerin Raynoma Liles zog er an die Nummer 2648, West Grand Boulevard, Detroit und gab dem netten Häuschen gleich einen neuen Namen: „Hitsville USA“ – es wurde das Hauptquartier des brandneuen Labels, samt Studio. Die Gebrüder Holland hatten sich unterdessen mit dem Songschreiber Lamont Dozier zusammengetan. Holland-Dozier-Holland wurden alsbald als Hausproduzenten erachtet, während aus der Feder von Smokey Robinson am laufenden Band hochklassige Schlager flossen. Ein Unterlabel – Jazz Workshop – wurde gegründet. Sein Zweck war es, den Kontakt zu lokalen Jazzmusikern aufzubauen, um jederzeit auf einen Pool von Begleitmusikern zurückgreifen zu können. Tatsächlich kristallisierte sich eine hervorragende Hausband heraus – The Funk Brothers. Die Platzverhältnisse im Studio waren prekär. Alle Beteiligten mussten flexibel, tolerant und improvisationsfähig sein. Musiker und Sänger standen sich praktisch auf den Füßen. Die Enge war dem Groove nur förderlich, denn alle hörten genau, was der andere tat, und eine heiße Passage wirkte ansteckend. Berry Gordy hatte ein geniales Auge für praktische Aspekte der Musik, die sonst niemand beachtete. So war ihm aufgefallen, dass das Autoradio zu einem der wichtigsten Pop-Medien avanciert war. Er richtete im Studio eine Anlage ein, die es ihm ermöglichte, zu testen, wie seine neuesten Aufnahmen über ein billiges Autoradio klingen würden. Er erkannte die Wichtigkeit von – schwarzen – Discjockeys und besuchte sie persönlich im Studio: Ein schwarzer Plattenlabeldirektor hatte selbst bei den Independent Labels absoluten Seltenheitswert, und Gordy konnte auf Unterstützung bauen, selbst dann, wenn seine Musik dem jeweiligen Discjockey nicht gefiel. Indem sie die Singles spielten, verpassten sie dem Motown-Sound automatisch Glaubwürdigkeit. Gordy hatte genaue Vorstellungen, wie eine Motown-Single aufgebaut sein musste. Während für die meisten zeit- und stilgenössischen Produzenten der Beat und das Image des Künstlers am wichtigsten waren, stellte er den „Song“ in den Vordergrund. Er verlangte von sich und seinen Komponisten, dass in den Texten kein überflüssiges Wort auftauchte und dass sie im Präsens geschrieben waren. Slangausdrücke waren verboten. Jeder Song musste über mehrere „Hooks“ verfügen, melodische oder textliche Momente, die unweigerlich im Ohr hängen blieben. Das konnte nebst einem eingängigen Refrain ein kurzer Bassriff sein, eine gelegentliche Bläsersalve, ein „oooh-aaaah“ von den Begleitsängern oder auch nur irgend ein Geräusch,