Black or White. Hanspeter Künzler
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Um die Tragweite des Erfolgs von Motown Records erkennen zu können, ist ein historischer Ausflug nötig. Der Vater von Motown-Gründer Berry Gordy Jr., Berry Gordy Sr., war ein rühriger Geschäftsmann. Als Sohn eines befreiten Sklaven (der wiederum Sohn einer schwarzen Sklavin und eines weißen Plantagenbesitzers war) hatte er einen kargen Flecken Land in Georgia übernommen. Zum Erstaunen der weißen Nachbarschaft schaffte er es, aus dem Verkauf eines Haufens Abfallholz ein kleines Vermögen zu befürchten. Weil er Angst haben musste, dass ihm die freundlichen Nachbarn den Scheck stehlen würden, reiste er nach Detroit, um ihn einzulösen – und blieb, wie viele andere schwarze Emigranten aus den Südstaaten, dort. Die ansässige Automobilindustrie – allen voran die Firma Ford – hatte zu den Ersten gehört, die bei der Einstellung von Arbeitskräften keinen Unterschied gemacht hatten zwischen weißer und schwarzer Hautfarbe. Der Civil Rights Act von 1875 sah zwar vor, dass jeder Amerikaner ungeachtet seiner Rasse und seines Status (etwa als vormaliger Sklave) ein Recht auf gleiche Behandlung an öffentlichen Orten und am Arbeitsplatz hatte. Dennoch gingen von den Südstaaten in der Folge starke Bemühungen aus, die Bewegungsfreiheit und das Mitspracherecht von Schwarzen (und Juden und armen Weißen) auf gesetzlicher Ebene erheblich einzuschränken. Die sogenannten Jim Crow-Gesetze wurden von den einzelnen Staaten separat eingeführt und nicht selten vom Ku Klux Klan mit illegalen Mitteln, die von den Sheriffs stillschweigend toleriert wurden, „verwaltet“. Unter dem aus Virginia stammenden Präsidenten Woodrow Wilson – er amtierte von 1913 bis 1921 – nahmen diese Bestrebungen auf nationaler Ebene noch zu. Auch Detroit blieb von den Jim Crow-Gesetzen und den daraus resultierenden Spannungen nicht verschont. 1943 kam es zu tagelangen Krawallen, nachdem weiße Arbeiter in Streik getreten waren, weil ihnen die Firma Packard schwarze Arbeiter an die Seite stellen wollte. 34 Menschen wurden bei den Ausschreitungen getötet. Berry Gordy Jr. war vierzehn Jahre alt.
Es bedurfte vieler einzelner Vorstöße von Menschenrechtskämpfern, Gewerkschaften und ähnlichen Organisationen, um über die 40er und 50er Jahre hinweg einen Bundesstaat nach dem anderen zu zwingen, ein Segregationsgesetz nach dem anderen aufzuheben – was allerdings mancherorts nur dazu führte, dass der offene Rassismus hinter vorgehaltener Hand (oder brutal in einem einsamen Straßenpark) weiterging. Erst im Juli 1964 veranlasste Präsident Johnson die endgültige Abschaffung aller Jim Crow-Gesetze. Ein Jahr später setzte er es über den Kopf der Südstaaten hinweg auch noch durch, dass künftig wirklich jeder Amerikaner das Wahlrecht hatte. Noch im Jahr 1967 rief der Film „Guess Who’s Coming to Dinner?“, in dem es um eine gemischtrassige Ehe ging, heftige Proteste auf den Plan.
Die Gordys hielten sich von politischen und sozialen Konflikten fern. Im Mittelpunkt stand für sie die Familie und ihr Wohl. Berry Gordy Sr. hatte in Detroit als Straßenhändler angefangen und eine Lehre als Pflasterer gemacht. Dabei sparte er genug Geld, um eine Zimmerei, einen Lebensmittelladen und schließlich auch noch eine kleine Druckerei zu kaufen. Mit Bertha Gordy, der Mutter von Berry Gordy Jr., heiratete er eine bemerkenswerte Frau. Sie zog acht Kinder auf, absolvierte daneben ein Wirtschaftsstudium und gehörte zu den drei Gründerinnen einer Versicherungsgesellschaft für die Bewohner der „schwarzen“ Quartiere (sprich: Stadtteile, in denen es Schwarzen vom Gesetz her nicht zu wohnen verboten war) von Detroit. Alle anderen Gordys halfen in der Folge kräftig mit in den diversen Familienbetrieben – außer den jüngsten Söhnen, Robert und Berry Jr. Diese waren unverbesserliche Faulpelze und Hochstapler, die in der Schule nichts bis gar nichts taten. Wie Joseph Jackson kehrte Berry der Schulbank vorzeitig – und zum Schrecken der Eltern – den Rücken, um sich als Profi-Boxer zu verdingen. Im Alter von zwanzig Jahren konnte er auf eine nicht schlechte, aber auch nicht besonders gute Karriere zurückblicken: von neunzehn Kämpfen hatte er dreizehn gewonnen. Das ständige Training passte indessen auch nicht zu seinem Naturel. Nun richtete er sich im Hinterzimmer der väterlichen Druckerei ein, um Songs zu schreiben (der Vater war froh, dass der Querschläger überhaupt etwas tat). Ohne dabei irgendwie aufzufallen leistete er seinen Militärdienst in Korea ab (er behauptet seither, perfekt Koreanisch zu sprechen). Zurück in Detroit vermochte er seinen Bruder George dazu zu überreden, sich an einem Plattenladen zu beteiligten. Er setzte alles daran, seine Kundschaft zum Genuss von Jazz im Stil von Charlie Parker und Miles Davis zu überreden, aber in der schwarzen Arbeiterszene zählte bloß Rhythm & Blues. Mit der Zeit fand auch er Gefallen an den ihm solchermaßen aufgezwungenen Fats Domino, Jimmy Reed und Ray Charles – und an einer gewissen Thelma Coleman, die er alsbald ehelichte. Der Laden vermochte sich nicht über Wasser zu halten. Berry Jr. – unterdessen Vater einer Tochter namens Hazel und zweier Söhne – strauchelte von Job zu Job, die ihm nicht selten von den Schwiegereltern vermittelt worden waren. Einmal war ihm die Arbeit zu dreckig, ein anderes Mal zu langweilig, und überhaupt: Was interessierte ihn Staub, Krach und Schweiß, wenn Wein, Weib, Gesang und die neueste Herrenmode in der Luft lagen? Die Familie überlebte, weil die Gordys ihm mietfrei eine Wohnung überließen. Immerhin war die Zweitkarriere von Berry Jr. als Glücksspieler erstaunlich profitabel. Mit dem Geld kaufte sich der klassische „Hustler“-Typ auffällige Anzüge und ließ sich