Judengold. Erich Schütz

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Judengold - Erich Schütz

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dem Regionalprogramm angeboten sowie dem ZDF. Schließlich sei diese Staatsgrenze zwischen der Schweiz und Deutschland heutzutage, in Zeiten der weltweiten Globalisierung, irgendwie ein Anachronismus, hatte er argumentiert. Die Schweiz, sie war in sämtlichen Gremien der EU vertreten, trotzdem aber nicht ordentliches Mitglied der EU.

      Wer von Singen nach Schaffhausen fährt, benötigt noch immer einen Pass, als Deutscher zumindest einen Personalausweis. Ausländer aber brauchen einen Reisepass, schließlich verlassen sie die EU. Dagegen kann längst jeder ungehindert von Singen bis nach Lissabon fahren, ohne sich auch nur einmal auszuweisen. Vor allem amerikanische Touristen staunen über die deutsch-schweizerische Grenze. Sie fragen sich, wo sie denn nun gelandet sind? Von wegen good old Europe.

      Die grenzfreie Fahrt von Singen nach Schaffhausen war seit 1548 vorbei. Damals verabschiedeten sich die Eidgenossen aus dem Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation, und seither sind Singen und Schaffhausen Grenzstädte. Endgültig festgezurrt hat Napoleon diese Grenze, nicht etwa Wilhelm Tell. Dieses Märchen, von dem Schwaben Friedrich Schiller geschrieben, glauben nur die Schweizer selbst. Tatsache ist, dass Napoleon nach französischem Vorbild den Zentralstaat Helvetische Republik schuf und die Grenzen dafür endgültig festlegte, wie sie heute noch gelten. Aus seinen französischen Departements wurden schweizerische Kantone, Schaffhausen war einer von ihnen.

      Leon überlegte, wie er den Themenvorschlag aktualisieren könnte. Keine Redaktion, der er die Geschichte bisher angeboten hatte, schien sich dafür zu interessieren. Mit einer lässigen Handbewegung verscheuchte er die miesen Gedanken und schloss das aktuelle Nachrichtenfenster auf dem Bildschirm seines PCs.

      Er hatte anderes zu tun, er musste sich jetzt konzentrieren: ›Es werden festgesetzt, Sonderausgabenpauschbeträge, abziehbare Sonderausgaben …‹ Leon stöhnte. Doch einmal im Jahr musste er in diesen sauren Apfel beißen. Er saß in seinem Büro, in einer Überlinger Altstadtvilla, über der Einkommensteuer: Tankquittungen, Übernachtungsbelege, Parkhausquittungen galt es zu sortieren. Es war schon November, und das seit elf Monaten vergangene Vorjahr war von ihm noch immer nicht steuerrechtlich aufgearbeitet worden.

      Er tippte in seine Fahrtentabelle: Überlingen–Zürich, 108 Kilometer. Er schrieb dazu: Recherche wegen Titelhandels, das war für eine Dokumentation der ARD, die er im vergangenen Jahr abgedreht hatte. Dabei fiel ihm ein, dass er damals in einer stinkvornehmen Zürcher Bank einen alten südafrikanischen Krügerrand verkauft hatte. Den Krügerrand hatte er von seinem Opa geerbt. Doch Leon brauchte immer eher Geld als Geldwertereserven. In Zürich hatte er den Krügerrand in einer Bank umgetauscht, weil er dort für ihn mehr Geld bekommen hatte als in Deutschland.

      Gold hatte in der Schweiz einen höheren Kurs. Jeder Schweizer sollte Gold als Geldanlage besitzen, rieten die Schweizer Banken ihren Kunden. 20 Prozent der Ersparnisse sollten in Gold angelegt sein, empfahl eine Bankenstatistik der Schweizer Kredithäuser.

      Leon erinnerte sich an das Geld, das ihm der Krügerrand eingebracht hatte. Es waren rund 300 Euro. Die Frage, ob er dieses Geld als Einnahme des vergangenen Jahres in seiner Steuererklärung nun angeben müsste, stellte er sich lieber nicht. Dafür fragte er sich jetzt, ob er damals geschmuggelt hatte. Er hatte das Gold aus Deutschland in die Schweiz ausgeführt. Plötzlich wurde er unruhig. Nicht wegen der 300 Euro, die waren längst wieder im Umlauf. Aber er hatte Gold ausgeführt in die Schweiz, weil er wusste, dass dessen Wert in der Schweiz höher notiert war. Und in der Pressemeldung der Polizei war von zwei jungen Männern berichtet worden, die Gold aus der Schweiz nach Deutschland hatten schmuggeln wollen. Und das im Wert von drei Millionen Euro. Eine Summe, die sich in der Schweiz umzutauschen proportional um ein Vielfaches mehr lohnen würde als sein läppischer Krügerrand!

      Plötzlich erkannte er das Rätsel: Warum wollten die beiden jungen Männer so viel Gold aus der Schweiz schmuggeln, wo doch der Wert für Gold in der Schweiz höher lag?

      Leon schob die Steuerunterlagen von seinem Tisch, griff nach einem Telefonbuch und rief einen Freund bei der Überlinger Volksbank an. Dieser bestätigte ihm, dass der Kurs von Gold an der Zürcher Börse immer höher notiert sei als in Frankfurt bzw. in der EU. »Nur ihr Fränkli haben wir geschlagen«, lachte er hämisch, »für unseren Euro müssen die Chaibe jetzt das Eineinhalbfache hinblättern.«

      »Dafür bekommen sie die bessere Schokolade«, brummte Leon und legte schnell wieder auf, bevor sein Bankkumpel ihn noch an seinen, bis auf den letzten Cent ausgenutzten, Überziehungskredit erinnern konnte.

      Aber damit war Leon wieder bei seinem eigentlichen Thema gelandet: die Steuererklärung des längst vergangenen Jahres. Wenn er endlich die zwölf Monate aufgearbeitet hätte, würde er sicherlich Geld vom Finanzamt zurückerstattet bekommen. Trotzdem wählte er die Telefonnummer des Zolls in Singen und ließ sich mit der dortigen Pressestelle verbinden.

      Ein freundlicher, aber wortkarger Herr wollte ihn zunächst abwimmeln: »Wir haben zu diesem Fall in einer Stunde eine Pressekonferenz angesetzt. Da wird Sie unser Chef persönlich informieren.«

      »Kann er uns auch schon etwas zu dem Motiv sagen?«, fragte Leon schnell, noch bevor der Pressesprecher wieder auflegen konnte.

      Der Mann lachte: »Geld, was denn sonst? Immer das Gleiche, wir haben es hier nur mit Kapitalverbrechen im wahrsten Sinne des Wortes zu tun.«

      »Und warum wollten die beiden Gold und Geld aus der Schweiz nach Deutschland schmuggeln?«

      »Geldwäsche, was denn sonst?«, lag für den Polizeibeamten der Fall klar auf der Hand.

      »Geldwäsche, verstehe ich schon«, blieb Leon unerbittlich, »aber geht da die Richtung nicht immer von Deutschland aus in die Schweiz? Warum also nun umgekehrt?«

      Der Pressesprecher schwieg. Er schien zu überlegen. Dann gab er zu: »Eine gute Frage. Kommen Sie doch zur Pressekonferenz, dann können Sie ja unseren Chef direkt ansprechen.«

      Entmutigt legte er auf und widmete sich wieder seinem ursprünglichen Vorsatz. Er musste diese verdammte Steuererklärung zu Ende bringen. Er suchte den Übernachtungsbeleg für sich und sein Kamerateam in Zürich. Er hatte, wie immer, alles in einer Schublade abgelegt. Und wie jedes Jahr musste er nun für die Steuer alle Belege, Rechnungen und Quittungen wieder zu einer Einheit zusammenfügen, um sie danach wieder getrennt nach Ausgabearten in einem Ordner abzuheften.

      ›Nächstes Jahr wird alles besser organisiert‹, schwor er sich jedes Jahr zornig. Frustriert fuhr er den Computer herunter, löschte das Bürolicht, schnappte sich entschlossen seinen grünen Parka vom Kleiderhaken im Flur und stieg in seinen alten 911er-Porsche.

      *

      Leon Dold fuhr von Überlingen in Richtung Ludwigshafen, er bediente, während der Porschemotor betulich schnurrte, sein Autoradio. Er suchte den Seefunk. Vielleicht wussten sie schon mehr zu der Schießerei am Zoll und der anschließenden spektakulären Festnahme. Doch der Sender nudelte, wie jeden Tag, Oldies der 70er ab.

      Leon wurde nervös. Die ängstlichen Nebelkriecher vor ihm nervten. Bei den miesen Sichtverhältnissen konnte er aber auch nicht überholen. Deshalb fuhr er bei Stockach auf die Autobahn. Er fädelte sich schnell auf die linke Fahrbahn ein und konnte endlich Gas geben. Zwar hatte er noch Zeit bis zum Beginn der Pressekonferenz in Singen, trotzdem wollte er früher vor Ort sein. Die wirklichen Infos gab es immer vor und nach den Pressekonferenzen in kleinen Zirkeln. Was öffentlich vorgetragen wurde, das stand in der Regel nicht nur in den Pressemappen, sondern meist auch schon in den verschiedenen Meldungen der Kollegen.

      *

      Vor dem Hauptzollamt Singen, in der Bahnhofstraße, war großer Bahnhof angesagt. Der Eingang war mit Flutlichtern verschiedener Fernsehstationen hell

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