Macht. Klaus-Jürgen Bruder

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Macht - Klaus-Jürgen Bruder

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Aufstiegs zur Macht in Schwierigkeiten (Agnoli 1968, S. 7).

      Es mussten »Demokratieformen« und Techniken entwickelt werden, die für die Mächtigen, die Regierenden, »für die besitzende Klasse risikofrei sind«, bei denen tatsächlich die Elite herrscht, nicht das Volk, sodass wir in einer »Illusion von Demokratie« leben, »mit oligarchischen Strukturen unter demokratischem Deckmantel«, wie Rainer Mausfeld dies in aller Schärfe formuliert (Mausfeld 2018, S. 24, 29). Repräsentative Demokratie ist dafür genau das richtige Mittel, »das Mittel zur Verhinderung von Demokratie« (ebd., S. 91). Damit das Volk weiterhin keinen Einfluss bekommt, ist entweder Meinungsmanipulation, die für die Übernahme der Meinung der Herrschenden sorgt, oder die Entpolitisierung des Volkes für die Herrschenden günstig.

      Die Eliten, die Herrschenden, brauchen aber Zustimmung, brauchen Massen, um ihre Geschäfte ungestört und unter Mithilfe erledigen zu können. Sie brauchen den »sozialen Frieden«, und der ist – mit Agnoli ausgedrückt – erreicht,

      wenn gegen die Herrschaft keine Forderungen mehr erhoben […] werden, die Massen ihr Interesse an einer Veränderung der Gesellschaft verlieren und von der Befreiung auf die Befriedung und Befriedigung … zurückgebracht werden […]. Konsumlusterweckung und optimale Lustbefriedigung … helfen dabei, den Verlust an Politik zu kompensieren und die Notwendigkeit der Politik zu verdecken. (Agnoli 1968, S. 22)

      Unter dem Einfluss der Corona-Politik haben wir darüber hinaus erlebt, dass unter besonderen Umständen mehr als nur Apathie nötig ist, sondern sehr aktive Mitwirkung, voller Einsatz und Gehorsam.

      Wie lässt sich nun garantieren, dass die herrschende Meinung – das ist doch eigentlich die öffentliche Meinung – die Meinung der Herrschenden ist beziehungsweise bleibt, unter den Bedingungen der Demokratie und unter den Bedingungen der Ungerechtigkeit, Spaltung der Gesellschaft?

      Es geht darum zu erforschen, wie die »Masse« denkt, fühlt, sich verhält, wie sie tickt, was sie antreibt und wie ihre inneren psychologischen Prozesse ablaufen. Dies ist wichtig, um die Bevölkerung in die gewünschte Richtung lenken und kontrollieren zu können, um die gewünschte öffentliche Meinung und Verhaltensweisen herzustellen. Denn das ist für die Herrschenden die beunruhigende und die zu lösende Aufgabe in der Demokratie. Wie sonst soll gewährleistet werden, dass die Demokratie nicht die des Volkes, sondern die Staatsform der Elite ist und bleibt?

      Ziel der Sozial- und Massenpsychologie ist also die Beherrschung der Massen, »systematische Steuerung und Kontrolle der Psyche« mit dem Ziel, »den Einzelnen mit der Lebensform auszusöhnen, die ihm von der Gesellschaft aufgezwungen wird.« (Marcuse 1968, S. 12 f.). Diesem Zweck dient die Manipulation von Meinungen, aber auch panem et circenses, Brot und Spiele, Weckung von Konsumbedürfnissen sowie deren Formung und Lenkung. Allgemeiner gesagt:

      Wer auf Herrschaft aus ist und ein Interesse daran hat, die Repression der Bürger zu verewigen, erklärt die Privatsphäre zum Heiligtum, denn nur in ihr entwickeln sie sich zum stillen Agenten und Akklamateur eben jener Herrschaft […]. Erst als verinnerlichte sind Könige vor der Guillotine sicher. (Brückner 1968, S. 100)

      Man braucht Instrumente, um die Massen zu manipulieren, um sie zu entmachten. Dabei dürfen »die Techniken des Herrschens den Beherrschten« nicht »zum Bewusstsein gebracht werden«. Daher muss auch

      politikwissenschaftliche Erkenntnis«, die »aufzeigt, wie manipuliert wird und damit auch, wie man sich der Manipulation entziehen kann, […] in den Grenzen des Akademischen gehalten [werden]. (Agnoli 1968, S. 12)

      Massenpsychologie: Le Bon

      Um den Ausschluss aus der Demokratie zu legitimieren, wurde der Bevölkerung, den »Massen«, vor allem jede Rationalität und Verantwortungsbereitschaft abgesprochen, weshalb sie unfähig zu einer Führungsposition seien. So werden die Elitenherrschaft und die Notwendigkeit der Führung und Kontrolle der Massen gerechtfertigt. Zugleich konnte man aufzeigen, dass und wie die Massen in aktuellen Zusammenschlüssen tatsächlich emotional aufgeheizt werden können und dadurch manipulierbar sind – etwas, was man ihnen wiederum zum Vorwurf macht. Das geht so weit, dass man sie zum Beispiel für den Faschismus verantwortlich gemacht hat.

      Solcherart Psychologie über die Massen gab es sozusagen immer, wo es Klassengesellschaften und entsprechend auch Unruhen und Aufstände gegeben hat, so zum Beispiel bereits in der Elitendemokratie des antiken Griechenland.

      Für unsere Zeit war aber vor allem Gustav Le Bons berühmte Schrift Psychologie der Massen (Originaltitel: Psychologie des foules) von 1895 maßgebend, neben den Veröffentlichungen anderer Autoren aus Frankreich und Italien. Die »Massenpsychologie« war natürlich im Nachgang der Französischen Revolution, dann der späteren revolutionären Bewegungen in Frankreich 1848 oder im Aufstand der Pariser Kommune 1871 als Warnung vor dem »Mob« und vor dem Sozialismus zu verstehen. Auch sah man angesichts der aufstrebenden Industrialisierung bereits zu dieser Zeit die Epoche der Masse bedrohlich heraufziehen. Die Massen in der Massensituation seien, so bei Le Bon, vom Irrationalen und Suggestiven beherrscht, reaktiv, leichtgläubig und leicht zu beeinflussen. Masse wird klinisch und kriminologisch beschrieben, sie steht »unter dem Einfluss des Hypnotiseurs«. »Da das Verstandesleben des Hypnotisierten lahmgelegt ist, wird er der Sklave seiner unbewussten Kräfte, die der Hypnotiseur nach seinem Belieben lenkt« (Le Bon 1895/1953, S. 18). Die Massen seien vom Unbewussten und Triebhaften beherrscht (ebd., S. 15), ihre Gefühle seien einfach und überschwänglich (ebd., S. 35). In ihrer »Umformung zu Masse besitzen« die Individuen »eine Art Gemeinschaftsseele« (ebd., S. 13), »in der Gemeinschaftsseele verwischen sich die Verstandesfähigkeiten und damit auch die Persönlichkeit der Einzelnen« (ebd., S. 15 f.). »Der Einzelne ist nicht mehr er selbst, er ist ein Automat geworden, dessen Betrieb sein Wille nicht mehr in der Gewalt hat« (ebd., S. 19).

      Unglücklicherweise hat sich Sigmund Freud 1921 dieser Massentheorie von Le Bon angeschlossen – und somit lebt sie auch heute in der Psychoanalyse fort. Hintergrund bei Freud sind sowohl die Arbeiterbewegung im sozialdemokratischen »Roten Wien« als auch die Massen des italienischen Faschismus. Beidem stand er skeptisch gegenüber.

      Freud zitiert ausführlich und stets zustimmend Le Bon. Er spricht mit Le Bon von der

      Massenseele [als] dem Seelenleben der Primitiven und der Kinder. […] Die Masse ist impulsiv, wandelbar und reizbar. Sie wird fast ausschließlich vom Unbewussten geleitet […]. Nichts ist bei ihr vorbedacht. (Freud, 1921/1999, S. 82)

      In der Masse schränken die Individuen ihre »narzisstische Eigenliebe« ein, sie benehmen sich so, »als wären sie gleichförmig, dulden sie die Eigenart des anderen« (ebd., S. 112 f.). Das zeige, dass »das Wesen der Massenbildung in neuartigen libidinösen Bindungen der Massenmitglieder aneinander besteht« (ebd., S. 113), die Individuen regredieren und identifizieren sich miteinander und mit dem Führer gleichzeitig (vgl. ebd., S. 118). Massen seien so über Identifizierung in doppelter Art Bindung gefangen, die Bindung an den Führer und Bindung untereinander. Die affektiven Bindungen würden »den Mangel an Selbstständigkeit und Initiative beim Einzelnen« erklären (ebd., S. 129).

      Die linken, kulturkritischen Intellektuellen, aus den Kreisen der kritischen Theorie (Adorno, Horkheimer, Marcuse) hatten sich positiv auf Freuds Massenpsychologie bezogen. Ihr Bezugspunkt waren die tatsächlich emotionalisierten und manipulierten faschistischen Massen (vgl. dazu kritisch Bussemer 2005, S. 92–100). Auch heute ist diese Theorie mit Abstrichen noch innerhalb der Psychoanalyse anerkannt.

      Diese Massentheorien – von Le Bon, Freud und auch die des Spaniers José Ortega y Gasset (1930) – drücken die Massenfeindlichkeit des Bürgers, des Intellektuellen aus, sie sind eine elitäre, Herrschaft legitimierende

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