Macht. Klaus-Jürgen Bruder
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Im Weiteren schränkt Lazarsfeld aber wieder auch die Medienwirkung dahingehend ein, indem er sagt, Medien können Verhaltensnormen in andere Bahnen lenken oder geringfügig modifizieren (»Kanalisieren«), nicht aber die Grundhaltung (Bussemer 2005, S. 268 f.).
Zudem ging Lazarsfeld von der Wirkung der erlebten sozialen Realität aus, die nicht durch Propaganda überspielt werden könne. Botschaften, die im krassen Widerspruch zur eigenen Erfahrung stünden, würden als nicht relevant erachtet. Propaganda würde oft überschätzt, sie habe keinen Einfluss, wenn sie der sozialen Praxis widerspreche (ebd., S. 270).
Lazarsfeld bedeutet nicht nur ein neues Kapitel in der Medienforschung, er repräsentiert auch ein neues Menschenbild:
Zum einen: Mit der die Massen als irrational kennzeichnenden Massenpsychologie war Lazarsfelds Position nicht vereinbar.5
Zum anderen: Menschen sind für Lazarsfeld nicht reine Spielbälle der Medien, nicht wirklich beliebig manipulierbar (ebd., S. 263). Sie sind stattdessen fähig zur Selektion, zur aktiven Interpretation und zur Verarbeitung ihrer eigenen Erfahrungen.6 Lazarsfeld spricht daher eher von Einfluss als von Manipulation (ebd., S. 261). So geht Lazarsfeld doch recht weit – vielleicht sogar verleugnend –, wenn er meint: Nicht Medien machen die Meinung, sondern die Menschen selber, wozu sie die Information benutzen.
In seiner ganzen Haltung spielt Lazarsfelds Herkunft aus Wien eine Rolle. In Wien über dreißig Jahre aufgewachsen, kam er 1933 durch ein Rockefeller-Stipendium als bereits wissenschaftlich ausgewiesener und politisch geprägter Sozialwissenschaftler aus der sozialistischen Reformmetropole »Rotes Wien« in die USA. Er war in Wien Assistent bei den Psychologen Karl und Charlotte Bühler und war Mitarbeiter der bahnbrechenden empirischen Studie über die »Arbeitslosen in Marienthal« (1932). Er war, wie er in einem autobiografischen Beitrag schreibt, »aktives Mitglied der Sozialistischen Studentenbewegung« und aktiv in der sozialistischen Erziehungsbewegung als »Amateur-Erzieher«, »Betreuer in sozialistischen Jugendlagern«.7 Hier wurde ein freundlicheres, selbstbewussteres Menschenbild gepflegt. Zudem fand sich seine Bezugsgruppe im Zirkel um Alfred Adler (vgl. Lazarsfeld, 1968/1975, S. 149) – seine Familie, besonders seine Mutter Sophie, waren wichtige, aktive Anhänger Adlers. Adler, ehemaliger Anhänger Freuds, spielte eine herausragende Rolle in der austromarxistischen Pädagogik und hatte besonders das aktive, gestaltende, ja »schöpferische« Moment in der Bewusstseins- und Persönlichkeitsbildung hervorgehoben.
Als Amerika nun in den Zweiten Weltkrieg eingetreten war, begann in breitem Maß Propagandaforschung für die psychologische Kriegsführung. Aus diesen Forschungen ging in großem Maßstab die »Medienwirkungsforschung« von Carl Hovland (geboren 1912 in Chicago) hervor, der selbst auch am Pentagon über die Kampfmoral amerikanischer Soldaten geforscht hatte. In den Fünfzigerjahren hat Hovland im großen Stil an der Universität von Yale über die Änderungen der Einstellungen durch »persuasive Kommunikation« Forschungen betrieben (die sog. Yale Studies). Dafür hat er eine ganze Fülle von Experimenten durchgeführt, deren Fragestellungen und Ergebnisse zeigen, wie speziell und differenziert, man kann auch sagen, gemein raffiniert, diese Thematik angegangen wird. Erforscht wurde in fünfzig Experimenten unter anderem: Wie viel Glaubwürdigkeit des Kommunikators (Experten) ist für die Meinungsformung nötig? Ist eine einseitige Argumentation oder eine Pro-und-contra-Argumentation günstiger? (Das sei abhängig vom Bildungsstand des Rezipienten.) An welcher Stelle, am Anfang oder am Ende, muss eine Botschaft stehen? Sind implizite oder explizite Schlussfolgerungen günstiger? Sind rationale oder emotionale Argumentationen erfolgreicher? Welches Ausmaß an Angst und Furchterregung beeinflusst mehr? (vgl. Bussemer S. 301).
Die Antworten auf diese Fragestellungen sind differenziert, sie hängen von verschiedenen Faktoren ab, unter anderem davon, um welche Nachricht und um welchen Sprecher es sich handelt, um welche Interessen und welchen Bildungsstand des Empfängers. Besonders bekannt ist der »sleeper effect« als »forgetting effect«: die Assoziation zwischen Kommunikator und Nachricht wird bald vergessen, d. h. auch wenn der Kommunikator (Sender) unglaubwürdig war, bleibt die Botschaft erhalten – das muss nicht immer stimmen, stimmt aber erschreckend genug oft.
Anleitungen zur Manipulation und ihre Wirkungen
Aus der großen Fülle wissenschaftlicher Erforschung und Praxis der Medien,- Wahl – und Marktforschung hat sich seit Langem eine Praxis entwickelt, die mit Empfehlungen und Parolen die Manipulation der Meinungen in Gang setzt. Auf allen Ebenen und mit allen Instrumenten werden die Register gezogen, wahre Kampagnen werden inszeniert – siehe heute zu Corona –, um eine gewünschte öffentliche Meinung zu gesellschaftlich brisanten Fragen herzustellen oder um ein Produkt erfolgreich auf den Markt zu bringen, um Wünsche, Bedürfnisse, Emotionen zu wecken oder zu verändern. Hierzu dienen sprachliche Mittel, Bildmaterial und Zahlenverdrehungen, bestimmte Anordnungen und Veränderungen von Nachrichten. Zum Zweck der Manipulation werden komplexreduzierte Wissensbestände, Halbwahrheiten, Gerüchte, emotionale Botschaften, Verschweigen, Diskriminierungen bis zu Lügen eingesetzt.
Solche Anleitungen zur Manipulation findet man massenhaft in populärer Form, ein relativ beliebiges Beispiel im Internet von Jansen: »Manipulationstechniken – Die 6 häufigsten Techniken«.8 Nachdem erst ein Unbehagen angesprochen wird, »Manipulation« sei meistens negativ belegt, muss er dies beschwichtigen: Aber »Führung beinhaltet grundsätzlich die Tendenz zur Manipulation«. Die sechs Techniken der Manipulation:
1.Manipulation durch Wiederholung
2.Manipulation durch Erzeugen von Angst
3.Manipulation des Denkens
4.Manipulation des Verhaltens durch Sprache
5.Manipulation von Informationen
6.Manipulation von Bedürfnissen
Mit »Wiederholung« und »Angst« werden tatsächlich die beiden wichtigsten Anheizer genannt. Zur Angst könnte man allgemeiner Affekte als Instrument nennen, wozu auch Aggression zur Herstellung eines Feindbildes zählen würde. Die anderen vier »Techniken« sind genau genommen eigentlich keine Techniken, sondern deren Ansätze – oder Zielpunkte, was und worüber manipuliert werden soll.
In kritischer Absicht dagegen stellt Albrecht Müller in verschiedenen Publikationen Listen von Manipulationsmethoden auf und bringt dazu entsprechende Beispiele aus der Politik, um dabei zu helfen, »sich davor zu bewahren, selbst Opfer von Meinungsmache zu werden« (Müller 2019, S. 21). Ich kombiniere aus solchen Aufzählungen von 2004, 2009 und 2019 und wähle die wichtigsten aus.
1.Wiederholen ist die gängigste Methode, immer wieder das Gleiche, und dies von vielen maßgeblichen Personen, auch von verschiedenen Ecken. Wenn alle das Gleiche sagen und »wenn niemand widerspricht, warum soll man es nicht glauben?« (ebd. 2009, S. 129 f.). »Zweiundsechzigtausend Wiederholungen ergeben eine Wahrheit«, heißt es in Aldous Huxleys Schöne neue Welt (1932/1979, S. 47).
Hierzu schreibt Marcuse sehr eindrücklich: Die ständige Wiederholung derselben Reklame, derselben Phrasen und Gemeinplätze, derselben Parteistandpunkte, wirke destruktiv:
Sie zerstört geistige Autonomie, Intelligenz und Verantwortungsbewusstsein, verleitet zur Trägheit, Fügsamkeit […]. So gesehen wird die Politik der Wiederholung wirksame Aggression