Macht. Klaus-Jürgen Bruder

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Macht - Klaus-Jürgen Bruder

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unteren Klassen und Gleichsetzung von Massenaufmärschen mit Regression. Letztlich geht es um das Ressentiment gegen untere Klassen und um die Angst davor, dass Massen eigene Meinungen haben oder gar sich durchsetzen wollen, dass also aus der Illusion von Demokratie eine Volksherrschaft würde und die Gedanken der Herrschenden nicht mehr die der Beherrschten wären. Diese Haltung spielt heute zum Beispiel auch in der Ablehnung der direkten Demokratie eine wichtige argumentative Rolle.

      Manipulative, emotionale Propaganda aller Art und Inhalte im Sinne der Weckung neuer Bedürfnisse, die Schaffung von Feindbildern, das Schüren von Ängsten oder patriotischen Stimmungen gehören aber zu den täglichen Instrumenten auch solcher bürgerlicher Medien, die es mit einem voneinander isoliertem, auch »seriösem« Publikum zu tun haben, wie bei Presse oder Fernsehen.

      Kritik an der Massenpsychologie heißt ja nicht, zu leugnen, dass akute Massen (auf Großveranstaltungen wie Konzerten, Stadien oder Straße) häufig emotionalisiert und angestachelt werden und der Manipulationen und Regression zugänglich sind. Und umgekehrt werden mit dieser Massenpsychologie auch gerechtfertigte und wichtige Emotionen in der Freude oder Empörung denunziert, mit Irrationalität gleichgesetzt.

      Massen bei Demonstrationen sind zum Beispiel sicher oft »emotional«, denn diese Menschen sind ja da, weil sie ein Anliegen, eine Sorge bewegt und sie Forderungen haben. Diese Massen haben keine andere Macht als die »Straße«, und tragen ihr Anliegen häufig auch zu Recht emotional – empört, wütend – vor. Und diese Emotion ist nötig, um etwas bewegen zu können. Das aber fürchten die Herrschenden, aber auch die Intellektuellen.

      Ganz im Unterschied dazu haben Bürger des Establishments, gar die Mitglieder der – im breiten Sinn – herrschenden Klasse, diese »Straße«, diese Emotion, nicht nötig. Sie haben andere Kanäle, sie haben Macht, gehört zu werden, sie können ihre Interessen ganz ruhig, besonnen, cool vortragen, und sie haben keine ernsten Nöte und Sorgen, die ihnen den Schlaf rauben.

      Walter Lippmann, Edward Bernays

      Mit der Weiterentwicklung des Kapitalismus zur Massen- und Konsumgesellschaft, der Verschärfung der Klassengegensätze, mit den nun neuen Erfordernissen für die Herrschenden, Massen in großem Maßstab kontrollieren, lenken und beeinflussen zu können, entwickelte sich in den USA ein neuer Forschungszweig und eine neue Praxis der Propaganda, Medientheorie, Meinungsforschung. Der Kriegseintritt 1917, die bewegten Zwanzigerjahre mit den kulturellen Aufbrüchen, den politischen und gewerkschaftlichen Kämpfen (die teils mit großer Gewalt niedergerungen wurden), die darauffolgende Große Depression ab 1929 und die Reformbewegung des New Deal von 1933 bis 1939 verstärkten diese Notwendigkeiten.

      Massenkommunikationsforschung hat sich zunächst durchaus auch an der Massenpsychologie Le Bons orientiert und psychoanalytische Konzepte einbezogen, denn Psychoanalyse war ab circa 1910 bis weit in die Zwanzigerjahre hinein unter amerikanischen Intellektuellen und Bohémiens zur Analyse der Kultur und Politik, sehr beliebt, dementsprechend in entsprechenden Zirkeln, Medien und Publikationen präsent.

      Walter Lippmann, geboren 1889 in New York, deutscher Herkunft, war Journalist, Kolumnist, Medientheoretiker mit engen Verbindungen nach oben, zu den US-Präsidenten Theodore Roosevelt und Woodrow Wilson, und zu universitären Kreisen unter anderem zu William James. 1916 trat er im Wahlkampf von Woodrow Wilson auf, und beide arbeiteten auf den Kriegseintritt hin.

      Nach dem Eintritt der USA in den Krieg im April 1917 wurde durch die Anregung und Beratung von Walter Lippmann ein Propagandaapparat (Commitee on Public Informationn, CPI) eingerichtet. Es sollte sachliche Argumente für das amerikanische Kriegsengagement bereitstellen, wurde aber immer mehr ein massenpsychologisch orientiertes, emotional-manipulatives Propagandainstrument (Bussemer 2005, S. 73 f.), etwas, was zuvor aus einem liberal-demokratischen Denken heraus in der Öffentlichkeit abgelehnt wurde.

      Lippmanns bekanntestes Buch, The Public Opinion von 1922, das als eine Art Bibel und grundlegende Arbeit für das Verständnis moderner Massenmedien und Massenmanipulation verstanden wird, liest sich in Teilen zunächst wie ein Buch aus der kognitions- oder wahrnehmungspsychologischen Grundlagenforschung für die praktische Beeinflussung und Propaganda. Wenigstens drei Merkmale sind demnach wesentliche Instrumente der Meinungsbeeinflussung:

      1.Unsere Meinung über die Welt ist wesentlich durch unsere Bilder von der Welt geprägt.

      2.In der Wahrnehmung der Welt werden wir von Stereotypen geleitet.

      3.Symbole spielen für die Meinungsbildung und für die Führung der Massen eine bedeutende Rolle.

      Zu Punkt eins: Menschen machen sich Bilder oder erfinden Fiktionen von der Wirklichkeit, was Lippmann auch »Pseudoumwelt« nennt, und sie reagieren auf diese Bilder ebenso stark wie auf die Wirklichkeit. »Sein Verhalten ist die Reaktion auf diese Pseudoumwelt« (Lippmann 1922/2018, S. 64). Pseudoumwelten, ihre inneren Vorstellungen von der Welt, sind ein bestimmendes Element im Denken, Fühlen und Handeln. Alles, was der Mensch tut, beruht »nicht auf unmittelbarem und sicherem Wissen, sondern auf Bildern, die er sich geschaffen oder die man ihm gegeben hat« (ebd., S. 72.).

      Zu Punkt zwei: Unsere Meinungen sind zusammengesetzt aus Schilderungen anderer Leute und aus unseren inneren Vorstellungen (vgl. ebd., S. 109).

      Wir werden über die Welt bereits unterrichtet, bevor wir sie sehen. Wir stellen uns die meisten Dinge vor, bevor wir unsere Erfahrungen damit machen. Und diese vorgefassten Meinungen beherrschen aufs Stärkste den Vorgang der Wahrnehmung. (ebd., S. 116 f.)

      Wir wählen aus, »was unsere Kultur bereits für uns definiert […] und stereotypisiert hat« (ebd., S. 110), »die subtilsten und allgegenwärtigsten aller Einflüsse sind diejenigen, die das Stereotypenrepertoire schaffen und aufrechterhalten« (ebd., S. 116).

      Zu Punkt drei: Symbole halten die Anhänger zusammen, mit Symbolen kann der Führer eine Menschenmenge in Bewegung setzen, »im Symbol entlädt sich das Gefühl in Richtung eines gemeinsamen Ziels« (ebd., S. 220 f.). Es kann »die Manipulation der Masse durch Symbole das einzig effiziente Mittel sein, um eine brenzlige Situation zu meistern« (ebd., S. 222).

      Aus all dem folgt für Lippmann: »Aber was ist Propaganda, wenn nicht die Bemühung, das Bild zu ändern, auf das die Menschen reagieren, das heißt ein Gesellschaftsmodell durch ein anderes zu ersetzen?« (ebd., S. 73) Wer also die Bilder in den Köpfen der Menschen beherrschen kann, beherrscht sie. 2

      In der Propaganda verwehre »eine Gruppe von Menschen […] der Öffentlichkeit den ungehinderten Zugang zu den Ereignissen […] [und] arrangiert die Nachrichten«. Sie benutze ihre Macht, »um die Öffentlichkeit […] die Dinge so sehen zu lassen, wie sie es wünschten« (ebd., S. 84). Daher ist Propaganda »ohne eine gewisse Form der Zensur« nicht möglich, denn Propaganda errichtet »eine Schranke zwischen Öffentlichkeit und Ereignis, […] der wirklichen Umwelt« (ebd., S. 85).

      Hier geht Lippmann zwar von allgemeinpsychologischen Grundlagen aus, ist in seiner Haltung der Anwendung aber getragen von Vorstellungen der irrationalen Masse, die in ihren Gedanken, Gefühlen und Bedürfnissen durch wirtschaftliche und politische Führer gelenkt und manipuliert werden muss.

      Lippmann hatte stets eine Elitentheorie oder »Expertokratie« vertreten. Die öffentliche Meinung müsse über die Medien gesteuert werden, von eine intellektuellen Elite, denn nur die politische Elite sei in der Lage, die Komplexität der Wirklichkeit zu verstehen – in Wirklichkeit geht es natürlich nicht darum, sondern um den Machterhalt der Elite.

      Das Volk als »verwirrte Herde« behält in Lippmanns »Demokratie« die Rolle von Zuschauern. Die Herde müsse gezähmt werden, mittels der

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