Sympathy For The Devil. Paul Trynka
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Graham war sich der Fehler von Brian bewusst, mochte ihn aber trotz der Defizite: Brian war klug, belesen und enthusiastisch. Seine Fähigkeit zu manipulieren wirkte sich „nie bei mir aus. Ich glaube nicht, dass er bei mir eine Charme-Offensive startete. Klar, er schwatze mir indirekt Geld ab, da ich für Zigaretten und Drinks zahlte. Doch das ist ja eigentlich ganz normal, gehört zum Erwachsenwerden. Du wohnst nicht mehr zu Hause und Freunde sind dann sehr wichtig.“
Tatsächlich gefiel Graham die leicht chaotische Grundstimmung. Er und Brian konnten sich über die Begegnungen, die das Leben des zukünftigen Stone bestimmten, schlapp lachen. Im Mai oder Juni vertraute er sich Graham und Dick an, verriet ihnen, dass seine Freundin Pat schwanger war. Den Rest des Sommers verhielt sich Brian nach Dicks Aussage vorbildlich – „er blieb Pat treu“ –, doch ohne dafür Anerkennung zu erlangen. Einige Zeit später schlenderten er und Graham die Promenade auf dem Weg zum Waikiki entlang, als Brian plötzlich fluchte. Pat Andrews’ Mutter und ihre Schwester hatten ihn gesehen. Die Mutter marschierte auf ihn zu, ließ eine Tirade unflätiger Bemerkungen vom Stapel und prügelte mit ihrem Schirm auf Brian ein. Auch Graham musste sich ducken, um den Schlägen auszuweichen, die jetzt auf ihn niedergingen. Brian nutzte die sich ihm dadurch bietende Chance und rannte lachend in einem Höllentempo davon, während Graham das Rückzugsgefecht einleitete.
Graham, John und Dick erlebten Brians ungeordnetes Leben; immer stand er am Rand der Pleite. Ständig schnorrte er Geld. Viele Stammgäste der Cafés von Cheltenham sahen sich plötzlich von Brian in eine Ecke gedrängt, wie gebannt von seinem jungenhaften, entschuldigenden Lächeln und fühlten sich genötigt, ihm einige Schilling für eine Tasse Tee oder ein Sandwich zu spendieren. Doch für die drei jungen Männer, mit denen er musikalisch arbeitete, überwog seine Leidenschaft für die Musik diesen störenden Charakterzug.
Im Herbst 1961 wurde aus den Obsessionen, die sein Leben bestimmten, ein musikalisches Manifest. Er hatte schon viel Blues gehört, doch der Sound von Jimmy Reed und Elmore James, nicht zu vergessen die gerade entdeckten Muddy-Waters-Alben, entwickelten eine geradezu magnetische Anziehungskraft. Es ist den Stones zu verdanken, dass man diese Giganten des elektrischen Blues begeistert feierte und ihr Einfluss die Sechziger- und Siebzigerjahre durchdringen sollte. Doch 1961 galten sie noch als mysteriöse Figuren. Wollte man an Informationen über ihr Leben und ihre Veröffentlichungen gelangen, musste man sie sich in mühevoller Kleinarbeit aus verschiedenen Quellen beschaffen.
Zuerst faszinierte Brian die Musik von Elmore James, der für einen schillernden, glänzenden und aufwühlenden E-Gitarren-Sound stand, nicht zu vergleichen mit allem, was er bislang gehört hatte. Er spielte unentwegt „Coming Home“ von Graham Rides Vee-Jay-Compilation und entdeckte dabei, dass James einen metallischen Gegenstand oder einen Flaschenhals benutzte, um über die Saiten zu gleiten, wobei er die Gitarre in „Open D“ stimmte. [Bei den sogenannten „Open Tunings“ werden meist mehrere Saiten im Gegensatz zur Standardstimmung tiefer oder höher gestimmt. Dadurch ergibt sich eine bestimmte Harmonik, die für das Slide-Gitarre-Spiel notwendig ist., A.T.] Brian begann mit einem Stahlröhrchen und dem Mundstück eines Blechblasinstruments zu experimentieren, die er auf einem Müllplatz in Cheltenham gefunden hatte, fand aber später heraus, dass sich ein abgebrochener Flaschenhals besser eignete. Erst mal die Gitarren-Stimmung entdeckt, richtete er seine Konzentration auf den Sound. „Ich weiß wirklich nicht, wie er das anstellte, doch irgendwie verwandelte er eine Bandmaschine in einen Verstärker“, spekuliert Dick Hattrell. „Er steckte das Kabel der Gitarre da rein, eine Akustikgitarre mit einem DeArmond-Tonabnehmer, und kopierte den Stil von Elmore James so gut er konnte. Hätte man nicht gewusst, dass es Brian war, hätte jeder geglaubt, es liefe eine Platte von Elmore James.“
Gegen Ende des Jahres 1961 putschte Brian das Publikum mit dem neuen Sound auf. Der erste Gig fand vermutlich in einem Dorf-Pub am Rande von Gloucester statt, in Birdlip oder Painswick. Mit einem Vox-AC15-Verstärker – er hatte John Keen dazu überredet, ihm den Amp per Ratenkauf zu beschaffen – startete Brian eine neue Ära der Musikgeschichte. In ganz Großbritannien fand man keinen anderen E-Gitarren-Slide-Gitarristen – und möglicherweise noch nicht mal unter den weißen Musikern in den USA (es dauerte noch etwas, bis sich Elvin Bishop in den Chicagoer Clubs blicken ließ). Brians Einsatz der verstärkten Bluesgitarre fand innerhalb weniger Wochen nach Chris Barbers ersten Gehversuchen im elektrischen Blues statt, wofür dieser Alexis Korner rekrutierte. Barber hatte eine wichtige Rolle bei der Popularisierung des Blues gespielt, doch Brian nutzte die Steilvorlage und überführte die Musik in bisher unbekannte Dimensionen. Abgesehen von John Lennon und Paul McCartney gab es in Großbritannien nur wenige, die daran arbeiteten, unterschiedliche Fäden zu einem kohärenten Ganzen zu verknüpfen.
Ein weiterer Eckpfeiler der Musik von Brian Jones entstand 1961, als er das Album King Of The Delta Blues Singers von Robert Johnson mit nach Haus brachte. Die Platte mit 16 Tracks – zusammengestellt vom „Musikologen“ Frank Driggs – wurde eines der Schlüssel-Artefakte des britischen Blues, von Keith Richards mit fast schon mystischen Tönen gelobt, der Brians Scheibe in der Edith Grove hörte (wo sich beide eine Wohnung teilten). Im Selkirk House spielte Brian die Platte rauf und runter. Nach der Lektüre der Artikel von Paul Oliver in der Jazz Monthly, einem Pionier der Erforschung des frühen Blues, kaufte er sich kurz nach Veröffentlichung eine Ausgabe von dessen beeindruckendem Standardwerk Blues Fell This Morning. „Er spielte nicht nur das Zeug“, meint Keen. „Er las auch darüber. Es war faszinierend.“
Johnsons Musik entfaltete sich zum Leitmotiv von Brians Leben. Die kurze Lebensdauer des Bluesman umgaben Mythen, und sie schien dunkle Energie zu verbreiten. Johnson war der Mann, der ihm bekannten Musikern wie zum Beispiel Son House erzählte, dass er seine geradezu teuflischen Gitarrenfähigkeiten an den „Crossroads“ erlernt hatte, einer nicht näher bezeichneten Straßenkreuzung in den Tiefen Mississippis. Dort traf er einen „Schwarzen Mann“, der seine Gitarre nahm und sie neu stimmte. Der „Schwarze Mann“ war, wie einige Gelehrte vermuten, eine Repräsentation des alten afrikanischen Gottes Elegua oder Legba – einer Manifestation des Teufels. Für Brian, der den Wert von Olivers bahnbrechender Recherche unmittelbar erkannte, stellte das eine durchschlagende Geschichte dar.
Doch der Crossroads-Mythos entbehrt nicht jeglicher Grundlage. Robert Johnson hatte die Geschichte zweifellos aufgepeppt, um Musikerkollegen zu beeindrucken und gottesfürchtige Christen zu schockieren. Sein Freund Honeyboy Edwards hörte Johnsons Erzählung und rückte sie mit den Worten zurecht: „Robert war ein totaler Aufschneider.“ Allerdings bekamen auch Honeyboy und andere die Präsenz des Teufels in Mississippi der Dreißigerjahre des letzten Jahrhunderts zu spüren, jedoch in einer speziellen Ausprägung. Ein schwarzer Mann, der die Straßen mit einer Gitarre bereiste, wurde oft zum Opfer eines unverzüglichen Gefängnisaufenthalts, und es konnte sogar noch schlimmer kommen: Musiker, die vor dem weißen Mann nicht mit einem untertänigen „Yes, Sir – No, Sir“ krochen, starrten allzu häufig in die Mündung des Colts eines Gesetzeshüters. Viele von ihnen wurden von ihren Familien geächtet, da sie sich für den Blues entschieden, also die Teufelsmusik, und nicht für den gottgefälligen Gospel. Brian war ein Pionier, vermutlich der erste britische Musiker, der sich Johnsons Mythos und seiner Story bediente. Zum Vergleich: Während Brian in die dunkle Welt des Robert Johnson eintauchte und per Anhalter den Südwesten Großbritanniens auf der Suche nach einem Musiker durchquerte, der sich mit ihm die Bühne teilte, sang Mick Jagger im Wohnzimmer in Dartford Buddy-Holly-Songs, um ein Publikum von Muttis zu bezaubern.
In späteren Jahren war es für die Brian überlebenden Musiker der Stones, wie beispielsweise Charlie Watts, wichtig, ihn auf eine eklige Art als Mittelschichtjunge aus Cheltenham herabzuwürdigen: „Er war ein angeberischer kleiner Bengel und stammte aus Cheltenham. Sagt das nicht schon alles?“ Einige Kritikpunkte waren berechtigt, andere glichen einem konfuzianischen Dilemma: Wir hassen einen Mann, der uns einen Gefallen erwiesen hat. Brian Jones war nicht nur die musikalische Inspiration der Rolling Stones, sondern zugleich Symbol ihrer schwarzen Magie. Er war der Stone, den etwas Dunkles umgab. Auch andere Aspekte seiner Persönlichkeit, wie die Sexualität, muteten verhängnisvoll an. Barry Miles erinnert sich,