Sympathy For The Devil. Paul Trynka
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Cheltenham … das angeblich vornehme Provinzstädtchen entpuppte sich als Zentrum einer Reihe verruchter Aktivitäten. Aufgrund der Rolle als Basis des traditionellen Jazz fungierte Cheltenham zudem als Gaststadt für eine revolutionäre Blues-Performance, als Chris Barber, der bei einigen Gigs 1959 mit Muddy Waters auftrat, sich mit der Hilfe von Alexis Korner am elektrischen Blues versuchte. Korner lässt sich als eine faszinierende Persönlichkeit beschreiben und wurde zu einer der Schlüsselfiguren in Brians Leben. Der Mann, der auf australische, jüdische und griechische Vorfahren zurückblicken konnte, ergatterte 1947 mit viel Glück einen Job beim British Forces Network und entdeckte wenige Jahre später den Blues durch Leadbelly. Innerhalb eines Jahres spielte er Gitarre in einer traditionellen Jazzband, der auch Barber angehörte. Barber hatte seine Hinwendung zu Jazz und Blues dank einer weggeworfenen Biografie des Jazz-Klarinettisten und Drogenkonsumenten Mez Mezzrow begonnen, die er auf einem Müllplatz der US-Air-Force gefunden hatte. Die beiden schlossen sich 1961 erneut zusammen und sollten retrospektiv als die wichtigsten britischen Verfechter des Blues gelten, trotz ihrer allgemein unvereinbaren Persönlichkeiten. „Chris leitete eine Jazzband, wohingegen Alexis den traditionellen Jazz nun wirklich nicht mochte“, erinnert sich Korners Frau Bobbie. „Chris zeichnete sich als erstklassiger Geschäftsmann aus, Alexis als ein fürchterlicher. Die beiden ähnelten sich überhaupt nicht.“
Trotz aller Unterschiede erwiesen sich Barber und Korner als ausschlaggebende Katalysatoren. Brian hatte Korners Aktivitäten mit beinahe schon religiösem Eifer auf den Seiten des Jazz Journal verfolgt. Als Barber und seine Band ein Konzert in der Stadthalle von Cheltenham für den 10. Oktober 1961 ankündigten, stand Brian in den Startlöchern. Hier lag seine Chance, zum Herzen der sich noch im Embryonalstadium befindenden Blues-Szene Großbritanniens vorzudringen.
Brian sicherte sich Dick Hattrell und John Keen zur moralischen Unterstützung. Dann sagte Barber den Programmteil an, bei dem Korner im Vordergrund stand. „Brian und ich schrien uns die Lunge aus dem Hals!“, meint Dick. „Ich glaube, wir waren die einzigen dort, die je etwas von ihm gehört hatten.“
Brian konnte problemlos zum Backstage-Bereich gelangen, wo er direkt den Chef vom Dienst, Barber, ansprach. Die beiden plauderten über gemeinsame Bekannte, erzählt Barber und bezieht sich damit vermutlich auf Bill Nile. „Er wusste eine Menge über das Geschäft, wusste genau, was er tat. Meiner Meinung nach war er ein sehr netter Junge. Sehr ernst, was die Musik anbelangte. Doch ich überließ Alexis das Gespräch mit ihm, da er ja der Bluesman war.“
Die drei Freunde schleppten Korner ins Patio, einen von Brians Lieblingsclubs. „Dort erzählte uns Alex, dass er eine neue Band aufbaut, um die Musik von Muddy Waters zu spielen“, erklärt Dick. „Und dass sie in einem neuen Club ihren Einstand geben wollten. Die Antwort war klar: ‚Wir werden da sein.‘“ Bei diesem Gespräch erzählte Brian von seiner Absicht, nach London zu ziehen, um Blues zu spielen. Korners Reaktion war sehr aufschlussreich. Wie John Keen mitteilt, hielt der Vater des britischen Blues Brians Plan für regelrechten Schwachsinn. „Er sagte zu Brian: ‚Geh bloß nicht nach London! Das ist nicht gut, dort wirst du es nie schaffen. Da ist alles viel zu kommerziell – dieser Blues-Stil wird niemals populär werden.‘ Brian zeigte sich von der Aussage unbeeindruckt. In manchen Belangen war er zuversichtlich und überaus willensstark.“
Trotz der Überzeugung, dass der Blues niemals im Mainstream münden würde, wurde Alexis Korner, damals 33, Brians wichtigster Förderer. Chris Barber und sein Manager Harold agierten gemeinsam wie eine gut geölte Geschäftsmaschine, die bedeutende Veranstaltungsorte wie das Marquee oder Festivals wie das National Jazz and Blues Festival etablierten. Im Gegensatz dazu war Korner eher eine Vaterfigur, ein väterlicher Freund. Das Apartment in der Moscow Road in Bayswater, Westlondon, das er mit seiner Frau Bobbie, selbst ein wichtiger und engagierter früher Blues-Fan, sowie dem Schriftsteller Charles Fox bewohnte, wurde zu einem Künstlertreff, einem Anziehungspunkt für die Bohème. Zu den ersten jüngeren Besuchern in der Moscow Road gehörten Brian Jones und Dick Hattrell.
Korner stand voll und ganz hinter der Musik, die er liebte, und ging damit wie mit einem Besitz um, was zu Auseinandersetzungen mit den vermeintlichen Rivalen Chris Barber und Paul Oliver führte. Jüngere Musiker empfanden die besten Charakterzüge des Musikers als inspirierend. In Brians Leben nahm er immer den Platz einer sympathischen, väterlichen Figur ein. „Alexis war ein netter Kerl, auch in der Art, wie er Brian ernst nahm“, meint Keen. „Einige Menschen hätten einen 19-Jährigen abgeschrieben, der sich zwar durch Leidenschaft und Interesse auszeichnete, aber nicht so richtig wusste, was er da gerade machte. Alexis erkannte Brians absolute Hingabe an die Sache.“
Schon von Anfang an gab sich der zukünftige Stone beharrlich und gewissenhaft in der Beziehung zu Korner. Er und Graham Ride waren erst vor Kurzem in die Bath Road 56 gezogen, in ein kleineres Apartment näher am Stadtzentrum gelegen, da sie sich mit ihrem Vermieter hinsichtlich eines verschwundenen Geldbetrags für die Gaskosten zerstritten hatten. Die beiden hassten die neue Wohnung – zu klein, um sie für Partys zu vermieten –, doch in der Nähe stand ein praktisches Telefonhäuschen, das Brian manipulierte. Indem er eine exakte Zahlenfolge vorwählte, gelang es ihm, Korners Londoner Nummer kostenlos anzurufen. Bald erfuhr er von einem geplanten Auftritt Korners im Oktober in Cheltenham. Erneut ebneten er und Graham sich den Weg zur Garderobe des Gaumonts, wo Brian die schlappe und lustlose Bill-Haley-Show gesehen hatte. Danach gingen die beiden mit Korner sowie Sonny Terry und Brownie McGhee ins Waikiki – zwei Blueser, die das gewerkschaftliche Auftrittsverbot für US-Musiker dadurch umgingen, dass sie sich als „Entertainer“ ausgaben.
Brian war in der Gegenwart von Brownie und Sonny völlig unbefangen. Letzterer hatte ein so schlechtes Sehvermögen, dass Brian und Graham ihm die Speisekarte des Waikiki vorlesen mussten. Sonny entschied sich für Steak and Kidney Pie. Während die Bluesmen aus Mississippi sich das klassisch britische Essen herzlich schmecken ließen, hielt Brian das Gespräch am Laufen. „Er ließ seinen Charme spielen“, erinnert sich Graham. „Darin war er gut, und zugleich kenntnisreich und beredt.“ Es sollte eine weitere Stufe zur Aufnahme in Korners großer Familie sein.
Brian und Dick Hattrell fuhren oft per Anhalter nach London. Die Trips waren strapaziös, trotz der gelegentlichen Freundlichkeit des einen oder anderen LKW-Fahrers, der auf Brians Masche hereinfiel, und das Geld für Eier und Fritten an einem Rastplatz springen ließ. „Mein Gott, wie schrecklich. Das dauerte immer so lange“, meint Dick. „Doch es lohnte sich. In Alexis’ Haus angekommen, beschlich einen schnell das Gefühl, im Anwesen eines Lords zu wohnen.“
Korner erläuterte Brian seine Pläne – wie er eine rein elektrische Bluesband gründen wollte, gemeinsam mit Cyril Davies, dem meist gereizten Mundharmonikaspieler und ehemaligen Arbeitskollegen vom Barrelhouse Blues Club. Cyril, von Haus aus Autoschlosser, ähnelte optisch ein wenig Lyndon B. Johnson, doch war er Großbritanniens erster Meister des „Mississippi Saxofons“ – der durch ein Mikrofon verstärkten Mundharmonika, wie sie auch von Little Walter und James Cotton gespielt wurde. Daraufhin schmiedete Brian eigene Pläne. Mehrere Wochen lang versuchte er Gordon Harper, einen Sänger aus Cheltenham, zu überreden, mit ihm eine elektrische Bluesband aufzuziehen. „Gordon war ein Versicherungsverkäufer mit einer Topffrisur, ein netter Kerl“, meinte der gemeinsame Freund Ken Ames. Harper verbrachte seine Wochenenden mit dem Bluesspiel im Stil von Big Bill Broonzy, was ihm sichtlich Spaß bereitete. Jedoch glaubte er felsenfest an wirtschaftlich schlechte Perspektiven. „Mit einer Bluesband wird man es niemals schaffen“, warnte er Brian. „Das ist nicht kommerziell. Es ist Musik für Spezialisten.“
Diese alte Leier hörte man im Jahr 1961 überall. Brian Jones, der durchgeknallte, verdorbene und böse Junge aus Cheltenham, war der Einzige, der solche Prognosen in Frage stellte. Prognosen, die nicht nur außenstehende Personen aufstellten, sondern auch Insider. Sogar sein neuer Freund Alexis Korner bezog beharrlich diese Position. Brian interpretierte den R’n’B (wie er