Septemberrennen. Isolde Kakoschky

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Septemberrennen - Isolde Kakoschky

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Trauer hielt sich momentan in Grenzen, doch als seine Schwester ihn anrief, da drängte sich die Vergangenheit mit voller Wucht wieder in sein Leben. Seit zwei Jahrzehnten hatte er seinen Vater nicht mehr gesehen. Und seitdem war er nur noch selten in seiner Heimatstadt gewesen. Dass es ihn damals nach Bayern verschlagen hatte, war reiner Zufall gewesen. Hier fand er Arbeit, als es im Osten keine mehr gab. Nun würde er heimkehren, auch wenn es nur an ein Grab sein konnte, das hatte er seiner Schwester versprochen, den Auseinandersetzungen zu Lebzeiten zum Trotz. Er konnte den Streit doch nicht bis über den Tod hinaus fortführen. Instinktiv schüttelte er den Kopf und wandte sich wieder seiner Arbeit zu.

      Doch die Gedanken ließen ihn nicht los. Hätte das Zerwürfnis zwischen Vater und Sohn nicht längst beigelegt werden können, beigelegt werden müssen?

      Sie waren beide stur geblieben, der Vater nun bis zum Tod. Zumindest in dieser Hinsicht waren sie sich sehr ähnlich gewesen. Dort, wo die Unterschiede größer waren, rieben sie sich immer wieder aneinander, schon von Jugend an. Der Vater hatte stets etwas mit dem Bau zu tun. Erst war es der Bergbau, dann der Tiefbau, zwischendurch der Straßenbau und schließlich der Wohnungsbau. Nur zu gerne hätte er gesehen, wenn sein Sohn in seine Fußstapfen getreten wäre. Aber Christians Leidenschaft lag woanders. Er war der geborene Schrauber. Sei es nun ein Wecker, ein Fahrrad oder später ein Moped gewesen, er brachte alles wieder zum Laufen. Autoschlosser, davon träumte er als Junge. Ob es die Vier in Russisch war oder die in Staatsbürgerkunde wusste er nicht zu sagen, jedenfalls war es das Zeugnis, das zur Ablehnung seiner Bewerbungen führte. Schlussendlich landete er, fast noch Vaters Wunsch gemäß, im Betonkombinat. Immerhin hatte er die Ausbildung ordentlich zu Ende gebracht und noch ein paar Jahre dort mit der Produktion von Betonplatten für die einst beliebten und nun eher berüchtigten Plattenbauten ganz gutes Geld verdient. Seinem Drang zur Technik ging er in der GST nach. Obwohl militärisch angehaucht, bot die Gesellschaft für Sport und Technik viele Möglichkeiten, auch im Motorsportbereich.

      Christian schob sich mit dem Unterarm eine widerspenstige Strähne, in der sich langsam die ersten grauen Haare zeigten, aus der Stirn und wischte sich den Schweiß ab. Es war zwar die letzten Tage nicht so heiß gewesen, wie es im August hätte sein können, doch heute schien seit dem Morgen schon die Sonne und die körperliche Arbeit brachte ihn zusätzlich ins Schwitzen. Er griff zum Schraubenschlüssel. Hier in seiner eigenen kleinen Werkstatt ging es ihm gut. Erst mit über 40 Jahren hatte er voller Stolz den Meisterbrief in Empfang genommen. Auch wenn es ihm nicht leicht gefallen war, noch so viel zu lernen, er hatte dafür weder Russisch noch Staatsbürgerkunde gebraucht. Vielleicht wäre der Vater stolz auf ihn gewesen, erfahren hatte der es aber nicht.

      »Mist! Abgerutscht!« Er rieb sich das Handgelenk. Ich sollte weniger grübeln und besser aufpassen, schalt er sich in Gedanken. Vorsichtig rieb er mit einem Tuch über den frischen Lack. Nein, der hatte zum Glück nichts abbekommen. Er angelte das Werkzeug unter dem Auto hervor und arbeitete mit erhöhter Konzentration weiter.

      Zwei Stunden später putzte sich Christian die Hände an einem Lappen ab und blickte voller Stolz auf sein fertiges Werk. Wieder einmal war es ihm gelungen, ein fast verlorenes Stück Rennsportgeschichte vor dem endgültigen Verfall zu bewahren. Wenn alles gut lief, würde das Auto einen ordentlichen Preis erzielen bei einem Sammler oder einem Hobbyrennfahrer der Formel Easter, wie er selbst es bis vor Kurzem noch gewesen war. Dann könnte er seiner Frau ihre so lange ersehnte Reise nach Cornwall spendieren. Der Blick auf die Uhr und der Gedanke an seine Frau ließen ihn nun auch den Hunger spüren. Er griff im Laufe des Tages höchstens zu einem belegten Brot oder kaufte sich beim nahegelegenen Metzger eine LeberkäsSemmel, denn am Abend wurde gemeinsam warm gegessen. Monika war bestimmt schon beim Kochen und so schloss Christian die Werkstatt ab und machte sich auf den Heimweg.

      »Da bist ja, Schatz!«, begrüßte Monika Blätterberg ihren Mann mit einem kurzen Blick aus der Küche in Richtung Hausflur. »Magst dich erst duschen? Dann bin ich auch mit dem Essenmachen fertig.« Sie wartete keine Antwort ab, sondern widmete sich wieder dem Fleisch in der Pfanne. Christian war noch nie sehr gesprächig gewesen und so fiel ihr gar nicht auf, dass er heute noch wortkarger reagierte als sonst.

      Erst als er frisch geduscht aus dem Bad kam, trat er hinter seine Frau und hauchte ihr einen Kuss auf ihre braunen Locken. »Na, wie war dein Tag?«

      »Nichts Besonderes«, erwiderte Monika und fragte nun ihrerseits: »Und du, bist fertig geworden mit dem Flitzer?«

      »Das schon«, antwortete Christian und ließ sich auf einen Stuhl fallen.

      »Aber? Da ist doch noch was«, drängte Monika, die schon am Tonfall bemerkt hatte, dass es heute etwas Ungewöhnliches gab, das er bisher nicht gesagt hatte.

      »Lass uns erst essen, danach ist genug Zeit.« Im Moment konnte Christian verstehen, warum Carola vorhin so lange gebraucht hatte, ehe sie zum Punkt gekommen war. Der Tod war immer noch ein Tabuthema, niemand sprach gerne darüber.

      Erst als sie gegessen und das Geschirr abgeräumt hatten, nahm sich Christian ein Bier aus dem Kühlschrank und sah zu seiner Frau. »Magst auch eins?« Monika schüttelte den Kopf. »Ich hab noch ein Wasser. Aber nun sag schon, was heute los war!«

      Er setzte sich ihr wieder gegenüber an den Tisch.

      »Carola hat angerufen«, begann er zu berichten. Seine Frau unterbrach ihn nicht, bis er fortfuhr: »Mein Vater ist gestorben.«

      Monika griff über den Tisch und drückte seine Hand.

      »Das tut mir leid.« Es tat ihr wirklich leid, obwohl sie ihren Schwiegervater nie kennengelernt hatte. Aber wahrscheinlich war es auch gerade das, was ihr so leid tat. Immer hatte sie gehofft, dass sich Vater und Sohn versöhnen könnten. Doch nun war es definitiv zu spät. »Wirst du zur Beerdigung fahren?«

      Christian nickte. »Ja, natürlich. Er ist und bleibt doch mein Vater. Und du kannst schon mal Urlaub beantragen für Anfang September, denn du kommst natürlich mit. Den genauen Termin wird mir Carola wohl

      morgen sagen können, er wird eingeäschert und danach ist die Urnenbeisetzung.«

      »Aha.« Monika musste das alles erst einmal sacken lassen. Hier in Bayern waren die Erdbestattungen üblich. So manch ein Katholik könnte den Gedanken daran, verbrannt zu werden, mit dem Fegefeuer vergleichen. Das wollte man sich doch lieber ersparen. Aber im protestantischen Sachsen-Anhalt wurde es wohl anders gesehen. Ihr Mann war ja nicht mal evangelisch getauft, er war ein Heidenkind, von Staats wegen angeordnet in der DDR, von der sie überhaupt keine Ahnung hatte, bis Christian hier aufgetaucht war. Irgendwie hatten sie sich gefunden, es hatte gefunkt zwischen dem Zugezogenen und der Geschiedenen, beide mit einem Makel behaftet. Was hinter ihm lag, hatte sie erst viel später erfahren. Noch heute machte das ihr manchmal Angst, doch nach bald fünfzehn Jahren guter Ehe kam es nur noch selten vor.

      »Was meinst du«, unterbrach Christian die aufkommende Stille, »ob Victoria uns begleiten möchte?« Seine Frau sah ihn mit skeptischem Blick an. »Ich denke, eher nicht. Und ganz ehrlich, was soll sie denn bei einer Beisetzung von einem Menschen, den sie nicht kannte und der nichts von ihr wusste? Er hätte ihr Opa sein können, aber dem standen wohl zwei Sturköpfe im Wege.« Sie hatte oft versucht, ihren Mann zu überzeugen, endlich den alten Streit beizulegen und auf seinen Vater zuzugehen. Nun war es zu spät.

      »Du hast Recht«, stimmte Christian ihr zu. »Wir müssen sie nicht mit unserem Kram, der ja eigentlich mein Kram ist, behelligen.«

      Christian liebte seine Stieftochter sehr. Er hatte sie als Kind kennengelernt und das Heranwachsen der jungen Frau miterlebt. Etwas, was ihm bei seiner eigenen Tochter verwehrt geblieben war. Und wenn er selbstkritisch in sich hineinhorchte, musste er seine Exfrau verstehen. So, wie er sich damals aus dem Staub gemacht hatte, das konnte man nicht die feine englische Art nennen.

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