Septemberrennen. Isolde Kakoschky
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Er konnte wirklich zufrieden sein mit seiner Familie und seinem Leben. Wenn da nur nicht dieses Aber wäre. Inzwischen ging er auf die 60 zu. Das Rennfahren mit den historischen Formel-Wagen hatte er vor ein paar Jahren seinem Rücken zuliebe aufgegeben, doch von den Rennautos kam er nicht los. Wie gerne hätte er einem Kind seinen Lebenstraum übergeben. Doch weder Victoria noch seine Ines interessierten sich auch nur im Geringsten für Technik. Eines Tages
würde er sterben, so, wie sein Vater jetzt. Und dann? Der Gedanke war ihm unerträglich. Wenn wenigstens sein Neffe… Noch lebhaft erinnerte er sich an Carolas erste Schwangerschaft und die Geburt des kleinen Uwe. Eine Hoffnung, die schneller verging, als es sich alle versahen. Zwei Jahre später hatte ein zweites Kind, seine Nichte Uta, der Familie wieder Glück geschenkt, doch sein Traum erfüllte sich nicht.
»Komm, lass uns noch ein bisschen fernsehen. Vielleicht bringt mich das auf andere Gedanken«, riss er sich selbst von der Vergangenheit los.
Bestätigend lächelte ihm Monika zu und ging mit ihrem Glas voran in Richtung Wohnzimmer. Es war normal, dass Christian etwas sentimental reagierte. Der Tod hatte etwas Endgültiges. Damit musste er sich erst einmal auseinandersetzenen.
2. Kapitel
Das Klappern von Geschirr in der Küche weckte Christian am nächsten Morgen. Monika war wie immer schon auf den Beinen. Schließlich musste sie pünktlich im Büro sein, während er sich den Luxus gönnte, auch mal etwas später mit der Arbeit zu beginnen.
Mit einem liebevollen »Guten Morgen!« begrüßte ihn Monika, als er in die Küche kam und goss ihm sogleich Kaffee ein. Sie selbst hatte sich schon ein Brötchen mit Butter bestrichen und reichte ihm den Brotkorb über den Tisch. Einen Moment aßen sie schweigend, bis Monika ihr Geschirr zusammenräumte, um sich für die Arbeit fertig zu machen.
»Schreibst du mir nachher, wann die Beisetzung ist«, bat sie ihren Mann und drückte ihm einen Kuss auf die Wange.
»Natürlich, ich schicke dir gleich eine Nachricht, wenn sich Carola gemeldet hat.«
»Bis später dann.« Monika griff nach ihrer Tasche und zog im nächsten Moment schon die Tür hinter sich zu. Was für ein Wirbelwind, lächelte Christian in sich hinein und blickte ihr durch das Fenster hinterher, wie sie in ihrem leichten Sommerkleid zum Auto lief. Monika und er, das waren die sprichwörtlichen Gegensätze, die sich anzogen. Er der wortkarge Eigenbrötler, sie der Hansdampf in allen Gassen. Als sie sich kennenlernten, vor fast genau zwanzig Jahren arbeitete er erst ein Jahr in Bayern. Er reparierte noch bei einer Baufirma die Maschinen und versuchte gerade, auf einer schmalen Zufahrtsstraße einen Bagger wieder flott zu bekommen, der natürlich an der engsten Stelle seinen Geist aufgegeben hatte. Als er ölverschmiert unter dem Vehikel hervorkroch, stand sie plötzlich da, lässig an den Kotflügel ihres kleinen, roten Autos gelehnt. Lange braune Locken umrahmten ein lachendes Gesicht. Und als er seinen Blick über ihre Figur wandern ließ, da fand er, dass jede Rundung genau am rechten Fleck saß. Ihr Lächeln zu erwidern war alles, was ihm einfiel. Dafür hatte sie kein Problem, Worte zu finden.
»Des is grad net der beste Platz zum Parken!«, lästerte sie munter drauf los. »I müsst nämlich nach dort drüben.« Sie wies in Richtung des Weges, der aber in ganzer Breite vom Bagger blockiert wurde. »Dauert´s noch lang?«, zwang sie ihn nun durch ihre Frage zu einer Reaktion.
Doch mehr als ein kurzes »Nee« kam nicht über seine Lippen. Er rieb sich die Hände an seinem Blaumann ab, kletterte nach oben und startete den Motor. Langsam und bedächtig setzte er die Maschine in Bewegung und fuhr ein paar hundert Meter vor bis zu einer Ausweichstelle, gefolgt von Monika in ihrem Auto. Als Christian den Bagger stoppte, sauste sie an ihm vorbei.
Er räumte das rasch zusammengeraffte Werkzeug in die dafür vorgesehene Kiste und lächelte vor sich hin. Was für eine Frau! Schon träumte er davon, sie wiederzusehen, als es neben ihm hupte. Aus dem Seitenfenster winkend, fuhr sie nun in die Gegenrichtung. Ein paar Tage später sah er das kleine, rote Auto vor der Metzgerei stehen. Ohne Plan, was er dort kaufen wollte, ging er hinein.
»Grüß Gott!« An den bayerischen Gruß hatte er sich inzwischen gewöhnt, auch wenn es aus seinem Mund wenig bayerisch klang.
»Ja hallo!« Mit einem erkennenden Blick strahlten ihn zwei braune Augen an. »Sie san aber net von hier?«, fragte sie einfach drauflos.
Wieder brachte er nur ein »Nee« heraus, was sie aus ihm unerklärlichen Gründen lustig fand.
»Ach so. Dann verstehen Sie mich wohl gar nicht? Ich kann auch hochdeutsch sprechen«, lachte sie.
Christian wurde rot. »Doch, schon.« Darauf musste er sich der Verkäuferin zuwenden, die nach seinen Wünschen fragte.
Monika hatte vor der Tür auf ihn gewartet. »Und, funktioniert der Bagger wieder?«
»Ja, der läuft wieder.«
»Dann haben Sie vielleicht Zeit für einen Kaffee?« Noch heute glaubte er, nie einen besseren Kaffee getrunken zu haben, als an jenem Tag in der kleinen Bäckerei gegenüber vom Metzger. Schon bald trafen sie sich regelmäßig, anfangs außerhalb von Monikas winzigem Heimatdorf. Wie schnell konnte man als geschiedene Frau in Verruf kommen! Dann lernte er Monikas Tochter Victoria kennen und wurde von ihr sofort als Freund der Mutter akzeptiert. Ein paar Jahre später machten sie Nägel mit Köpfen und heirateten, sie die geschiedene Katholikin und er der konfessionslose Zugezogene. Das Getratsche hatte sich irgendwann gelegt. Die Feier war klein, nur ein Essen zu dritt, es gab ja kaum Familie. Allerdings hatte Carola etwas verärgert reagiert, weil sie erst Monate später von der Hochzeit erfuhr.
Als sein Handy klingelte, saß Christian immer noch am Küchentisch und war in Gedanken bei Monika. Eigentlich hatte er seit einer Stunde schon in der Werkstatt sein wollen. »Carola« erschien auf dem Display, das musste wohl eine Gedankenübertragung gewesen sein.
»Hallo, kleine Schwester!«, nahm er das Gespräch an. Sie trennten zwar nur zwei Jahre, aber mindestens zwanzig Zentimeter Größe, insofern war »kleine Schwester« doppelt gerechtfertigt.
»Hallo, großer Bruder!«, grüßte Carola dann auch zurück und kam direkt zum Wesentlichen. »Ich konnte gestern noch das Wichtigste klären. Es ist ja gut, dass der Bestatter heute nahezu alles für einen erledigt. Das war bei Mutter noch ganz anders. Die Beisetzung ist
am neunten. Es ist ein Freitag, ich hoffe, das passt euch. Dann könnt ihr doch bestimmt noch übers Wochenende bleiben. Abgesehen davon, dass es ja noch einiges zu bereden gibt, freue ich mich einfach, dich und Monika mal wieder zu sehen.«
Christian hatte sogleich auf den Wandkalender gesehen und den Termin als wenig passend registriert. Eigentlich hatte er an diesem Wochenende mit einer Fahrt ins tschechische Brno geliebäugelt, wo die vorletzten Wertungsläufe des Historic Cup des ADAC stattfanden. Auch wenn er selbst nicht mehr startete, würde wenigstens eins der von ihm restaurierten Fahrzeuge dort teilnehmen. Doch nun entschied er sich ein letztes Mal für seinen Vater. »Jo mei, des passt schon!«
»Chris, sprich deutsch mit mich, nicht bayerisch!«, konnte sich Carola nicht verkneifen, zu lästern, wobei sie