Septemberrennen. Isolde Kakoschky
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»Ich gebe mich Mühe«, reagierte er ebenso. »Aber passen tut es trotzdem!«
Nachdem Carola noch eine Weile das Gespräch mit Themen wie Wetter und Straßenverkehr aufrecht erhalten hatte und Christian sich mit einem »Ja« oder
»Stimmt« beteiligt hatte, verabschiedeten sich die Geschwister. Wenn es etwas Wichtiges gab, konnte man immer noch einmal anrufen oder sich eine Nachricht schicken.
Und genau das tat er nun auch sofort. Schließlich wollte Monika wissen, wann sie Urlaub nehmen musste. Sie arbeitete seit Jahren im Büro eines großen Logistikunternehmens, da war Planung alles, um nicht in Probleme mit der Arbeitseinteilung zu geraten.
Nachdem Christian die Nachricht an seine Frau abgesendet hatte, legte er das Handy erst zur Seite, um es kurz darauf erneut anzuschalten. In der Telefonliste scrollte er zu I, I wie Ines. Auch wenn er nur selten Verbindung zu seiner Tochter hatte, jetzt war ihr Opa gestorben und er fühlte sich in der Pflicht, es ihr mitzuteilen. Denn nachdem die Mutter von Ines den Kontakt zu allen Mitgliedern seiner Familie abgebrochen hatte, konnte er nicht damit rechnen, dass Ines auf anderem Weg vom Tod ihres Großvaters erfuhr.
Nachdenklich schaute er auf das Display, das ihm mehrere Möglichkeiten für eine Kontaktaufnahme aufzeigte. Eine Nachricht schreiben?, überlegte er und verwarf es gleich wieder. Auch wenn die jungen Leute heutzutage sogar per SMS ihre Beziehungen beendeten, für ihn war das keine Option. Also doch anrufen.
Nach dem zweiten Klingelton hörte er die Stimme seiner Tochter.
»Hi, was gibt es Chris?« Er war nicht glücklich darüber, dass Ines ihn nicht mehr Papa nannte, dass sie dieses Wort wahrscheinlich sogar zum zweiten Mann ihrer Mutter gesagt hatte, doch er musste es akzeptieren.
»Hallo , Ines«, begann er die Unterhaltung unverfänglich. »Wie geht es dir?«
»Ganz okay soweit. Aber deshalb rufst du doch nicht an?«
»Nein«, bekannte er. »Sag mal hast du heute etwas Zeit? Ich müsste mit dir reden, aber nicht am Telefon.« Plötzlich erschien es ihm unmöglich, ihr diese Nachricht am Handy zu sagen. Selbst seine wortgewandte Schwester hatte gestern lange gebraucht, um zum Wesentlichen zu kommen. Und lange Telefonate waren nun gar nicht sein Ding. Vom anderen Ende kam Schweigen. Er hörte das leise Atmen seiner Tochter und fragte trotzdem: »Ines, bist du noch dran?«
»Es scheint dir wichtig zu sein«, antwortete Ines.
»Gut, heute Nachmittag um drei in dem Café gegenüber von der Kanzlei.«
»Danke! Dann bis nachher!«
Christian sah auf das Handy bis sich das Display verdunkelte und erhob sich dann ruckartig vom Stuhl. Er streifte die Träger seiner Latzhose, die er in der Werkstatt meistens trug, herunter und lief ins Schlafzimmer, um sich eine Jeans und ein T-Shirt aus dem Schrank zu nehmen. Fertig angezogen griff er die Autoschlüssel und schloss hinter sich die Tür ab.
Zuerst wollte er noch einmal in die Werkstatt fahren, um nach seinem neuesten Baby zu sehen. Jedes Fahrzeug, das durch seine Hände ging, war wie ein Kind für ihn. Vielleicht baute er zu diesen Blechkarossen eine engere Bindung auf, als je zu seiner Tochter. Hätte er sich sonst so aus dem Staub machen können?
Während er noch darüber nachdachte, war er schon bei seiner Werkstatt angekommen. Normalerweise legte er den kurzen Weg stets zu Fuß zurück, doch heute wollte er gleich weiterfahren und es lag in der Richtung zur Autobahn.
Zufrieden ließ Christian den Blick über das Rennauto gleiten, dem man nun seine 40 Jahre nicht mehr ansah. Zwar fehlte noch die Werbung und der Namenszug auf der Karosse, auch die alte Startnummer sollte wieder darauf ihren Platz finden, doch das war Kleinkram gegen die Arbeit, die hinter ihm lag. Etwas wehmütig schweiften seine Gedanken ab zum ersten Rennwagen, den er wieder aufgebaut hatte. Auch wenn sich dieses Fahrzeug längst nicht mehr in seinem Besitz befand, hing doch noch immer sein Herz daran. Nur durch einen dummen Zufall hatte er es überhaupt gefunden. Sonst würden Teile der Karosserie möglichweise heute noch als Abdeckung eines Holzstapels in einem Mecklenburgischen Dorf dienen. Stattdessen hatte er es zu neuem Leben erweckt und damit wieder Rennen gefahren. In der Vitrine standen seine errungenen Pokale dicht an dicht. Seine Schwester hatte ihm zugejubelt an
den Serpentinen von Naumburg und auf der damals gerade neu erbauten Rennstrecke in Oschersleben, die binnen eines Jahres in der Börde, gar nicht weit von seiner Heimat entfernt, entstanden war. Auf diese Art war er immer wieder in den Osten gereist, schließlich fanden die Fahrer der historischen Rennwagen hier ein begeistertes Publikum, das sich an die Glanzzeiten dieser Rennwagen erinnerte. Seinem Heimatort war er oft sehr nahe gekommen, doch kaum einmal setzte er den Fuß in die Stadt seiner Kindheit. Wenn überhaupt, dann nur für einen Besuch am Grab seiner Mutter. Dabei war er sogar noch im Krankenhaus der Kreisstadt zur Welt gekommen, es war also auch sein Geburtsort. Wer bald danach auf die Idee gekommen war, die Entbindungsstation in den letzten Zipfel des Kreises zu legen, wusste er nicht. Vor allem im Winter erwies es sich als problematisch. Seine Schwester wäre beinahe eines jener Kinder geworden, die irgendwo unterwegs das Licht des Krankenwagens erblickten.
Christian riss sich von seinen Gedanken los. Schließlich zeigte die Uhr inzwischen Mittag an und er hatte noch ein Stück Fahrt vor sich. Noch einmal tippte er nun eine Nachricht für Monika ins Handy: »Es kann sein, dass ich heute später komme. Fahre nach München. ILD«
3. Kapitel
Schwungvoll trat Christian das Gaspedal durch und fuhr auf die Autobahn auf, die ihn von der Donau an die Isar bringen sollte. Mit der Mittagszeit hatte er einen guten Zeitraum erwischt. Der Berufsverkehr vom Morgen war vorüber und der vom Nachmittag kam erst. Auf der Heimfahrt würde es mit Sicherheit anders aussehen. Doch jetzt war die Bahn frei, er konnte Gas geben und trotzdem seinen Gedanken weiter Raum geben. Nur selten hatte es sich ergeben, dass er seine Tochter sah, obwohl sie seit acht Jahren in München wohnte und als Rechtsanwaltsfachangestellte in einer großen Kanzlei arbeitete. Noch immer stand zwischen ihnen, was er vor mehr als zwanzig Jahren getan hatte. Immerhin, Ines sprach mit ihm und hatte in das Treffen eingewilligt. Und es war schön, sein Kind hier in seiner Nähe zu wissen. Was waren schon die zwei Autostunden? Der Blick auf die Uhr zeigte ihm, dass er auf jeden Fall pünktlich sein würde, selbst wenn er mit Stau auf dem Weg durch die Stadt rechnen musste. Er setzte den Blinker und fuhr von der Autobahn ab.
Trotz der, wie immer, hohen Verkehrsdichte war Christian viel zu früh an dem kleinen Café angekommen. Zumindest blieb ihm nun noch Zeit, um etwas zu essen. Er hatte beinahe den Klops, den sie hierzulande seltsamerweise »Fleischpflanzerl« nannten, verdrückt, als seine Tochter zur Tür hereinkam.
Mit unbewegtem Gesicht, das keine Regung erkennen ließ, ging sie auf Christian zu. »Hallo Chris!«
Er schluckte den Protest mit dem Klops herunter.
»Hallo Ines! Magst du auch einen Kaffee?«
Auf ihr Nicken winkte er der Serviererin und wand sich dann wieder dem restlichen Essen zu, froh, noch nicht reden zu müssen.
»Du bist wohl schon länger hier?«, fragte Ines mit Blick auf den nun leeren Teller, den die junge Frau jetzt abräumte