Septemberrennen. Isolde Kakoschky
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Dann widmeten sie sich der Speisekarte. Als Francesco mit den Getränken erschien, gaben sie ihm ihre Essenwünsche mit auf den Weg. Während sich Monika für eine Pizza Calzone entschieden hatte, bestellte Christian ein Nudelgericht.
Bäume und große Schirme spendeten angenehmen Schatten. Monika trank in großen Schlucken ihre gut gekühlte Cola und lehnte sich in den bequemen Korbsessel. Nur noch ein paar Stunden, dann ist der Sonntag schon wieder vorbei, dachte sie. Morgen kehrte erneut der Alltag ein und der ganz normale Wahnsinn im Büro. Doch ihr Gehalt half, auch in Monaten, wo Christian zwar jeden Tag arbeitete, aber nichts verkaufte, sicher über die Runden zu kommen.
»Prego!« Francesco stellte die dampfenden Teller vor ihnen ab. »Buon appetito! Lasst es euch schmecken!« Das musste der Wirt nicht zweimal sagen. Mit wirklich gutem Appetit und einer inzwischen gehörigen
Portion Hunger machten sie sich über die italienische Küche her.
»Nun noch zwei Espressi!« Mit einem anerkennenden Blick räumte Francesco das leere Geschirr ab, während Christian und Monika nickten.
»Ich glaube, ich brauche heute nichts mehr!« Obwohl es erst kurz nach 17 Uhr war, wusste Monika, dass für sie heute kein Abendbrot mehr infrage kam. Christian würde sich vielleicht noch ein Stück Wurst aus dem Kühlschrank holen, aber mehr musste nicht sein. Sie waren beide satt und zufrieden und schlossen mit ihrem Espresso einen schönen Sonntagsausflug ab.
5. Kapitel
Carola Strabeck stand am Fenster und blickte in die Weite. Von ihrer Wohnung im zweiten Stock konnte sie in der Ferne die aufgehende Sonne über dem Süßen See beobachten. Obwohl es noch sehr früh am Montagmorgen war und sie heute Mittagschicht hatte, war sie bereits auf den Beinen. Vor einer halben Stunde hatte ihr Mann Thomas das Haus verlassen. Er arbeitete seit Mitte der 90er Jahre im Westen Deutschlands auf Montage und blieb die ganze Woche über weg. Das Eisleber Kultduo »Elsterglanz« hatte es in einem ihrer Sketche einmal so dem Publikum erklärt: Westen – das ist da, wo ihr zum Arbeiten hinfahrt!
Carola selbst hatte Glück gehabt. Einst hatte sie den Beruf einer Verkäuferin bei der Handelsorganisation der DDR gelernt. Während ihrer Lehre war sie täglich mit dem Bus von ihrem Wohnort nach Eisleben gefahren. Später war sie dann von Hettstedt in die Kreisstadt des damaligen Nachbarkreises umgezogen. Doch die Kreise waren längst Geschichte, ebenso wie ihre Arbeitsstelle. Im Kaufhaus oberhalb des Eisleber Marktes, im Volksmund Großer HO genannt, hatte sie bis kurz nach der Wende gearbeitet. Dann schloss das Kaufhaus seine Pforten und das Gebäude verkam immer mehr. Jedes Mal, wenn sie daran entlang lief,
tat es ihr weh. Inzwischen war es nur noch ein Bürohaus, nachdem auch ein Schuhgeschäft und ein Computerladen dicht gemacht hatten.
Doch die großen Supermarkt-Ketten standen damals in den Startlöchern. Carola fand bald wieder Arbeit, auch wenn der Job als Kassiererin nichts mehr mit Kunden bedienen und beraten zu tun hatte. Dennoch war sie froh, ihre Arbeit zu haben. Ihre Tochter Uta war damals zehn und ein selbständiges, vernünftiges Kind, sodass es keine Probleme mit den Arbeitszeiten im Schichtsystem bis 21.00 Uhr gab. Denn auf eine Oma konnten sie nicht zurückgreifen. Carolas Mutter war im Jahr vor der Wende überraschend an Krebs gestorben und die Eltern von Thomas lebten in Leipzig und waren damals selbst noch berufstätig, so wie auch Carolas Vater. Inzwischen waren Arbeitszeiten längst kein Problem mehr. Da sie die ganze Woche über ungebunden und allein war, übernahm sie gerne auch die Schichten, bei denen es Probleme mit den jungen Müttern und deren Kindern gab.
Sie riss sich von dem Anblick des Sonnenaufganges los. Es gab noch viel zu erledigen bis zum Arbeitsbeginn. Schließlich sollte ihr Vater, oder was dann noch von ihm übrig war, in zehn Tagen beigesetzt werden. Und ihr Bruder Christian konnte ihr dabei wenig helfen, so weit entfernt, wie er wohnte. Heute wollte sie unbedingt noch einmal zum Bestatter fahren. Sie hätte auch einen aus Eisleben wählen können, dann wären die Wege kürzer gewesen. Doch sie hatte den Auftrag an Herrn Ehrlich gegeben, von dem sie wusste, dass er ein guter Bekannter ihres Vaters, bereits aus Zeiten im Kulturbund der DDR, gewesen war. Dafür musste sie nun die Fahrt nach Hettstedt in Kauf nehmen.
Entspannt lenkte Carola ihren Passat durch das Zentrum des Mansfelder Landes. Gleich drei große Abraumhalden des Kupferschieferbergbaus türmten sich abseits der Straße weithin sichtbar auf. Obwohl sie hier geboren und aufgewachsen war, faszinierte sie diese herbe und doch schöne Landschaft, die der Bergbau geschaffen hatte, immer wieder. Sie war einmal in Frankreich gewesen und sah dort ähnliche Halden, da hatte sie sich gleich wie zuhause gefühlt. Für sie gab es inzwischen nicht mehr eine bestimmte Heimatstadt. Schon des Vaters wegen pendelte sie oft, wie früher, zwischen der Lutherstadt und der Kupferstadt hin und her. Ihr Vater hatte zwar bis zu dem Tag, als er einen Herzinfarkt erlitt und daran starb, selbständig in seinem Haus gelebt, doch sie hatte regelmäßig nach ihm gesehen. Und ihrer Region blieb sie sowieso treu. Nie hatte sie sich vorstellen können, von hier weg zu gehen. Wie fassungslos war sie damals gewesen, als sie diesen Anruf von ihrer Schwägerin erhielt, dass Christian mit Sack und Pack auf und davon war. Erst ein halbes Jahr später hatte er sich endlich bei ihr gemeldet. Sie hatte nicht einmal gewagt, ihrem Vater davon zu berichten, als sie end-
lich etwas von ihrem Bruder hörte. Für ihn war sein Sohn sprichwörtlich gestorben. Und selbst dann, als auch er wusste, wo sich Christian aufhielt, lehnte er jeden Kontakt ab. Wie gut, dass er sich über den Tod hinaus nicht mehr dagegen wehren konnte. Nun würden Vater und Sohn wenigstens am Grab wieder vereint sein.
»Ja, so ist es gut. So machen wir das«, stimmte Carola dem Bestatter in seinen Vorschlägen zu. Auch im Gespräch waren ihre Gedanken immer wieder abgeschweift, doch ihr Gegenüber schien es nicht zu bemerken oder es als normal anzusehen. In der vorigen Woche hatte er sie im Haus des Vaters aufgesucht, wo nahezu alle Formalitäten gleich erledigt werden konnten. Die wichtigsten Dinge für die Einäscherung und die Beisetzung hatte sie aus einem Katalog ausgewählt und sich für die Urne und die Musik jetzt vor Ort entschieden. Ihr Vater stammte aus einer alten Bergmannsfamilie und hatte noch einige Jahre bis zur Schließung des Reviers unter Tage gearbeitet. Darauf stimmte sie nun auch die Urne ab, verziert mit Schlägel und Eisen.
In den Geschäftsräumen hatte sich Carola noch beherrscht gezeigt, doch als sie jetzt in den strahlend hellen, warmen Sommertag hinaustrat, liefen ihr die Tränen über die Wangen. Für ihren Vater war es der letzte Sommer gewesen, unwiederbringlich vorbei und vorüber. Sie wischte sich mit dem Taschentuch
über die Augen, ehe sie das Auto wieder startete. Dann fuhr sie zum Friedhof. Dort hatte der Vater nach dem Tod seiner Frau ein Grab gekauft und wohlweislich auch beim Ende der Mindestlaufzeit den Vertrag verlängert. Nun konnte er neben seiner Gattin beigesetzt werden.
Im Schatten eines großen Baumes ließ sich Carola auf einer Bank nieder. Sicherlich war sie kein Kind mehr, doch jetzt, in diesem Moment, wurde ihr bewusst, dass sie nun keine Eltern mehr hatte. Und auch Verwandtschaft gab es nicht viel. Der einzige Bruder des Vaters starb als ganz junger Soldat in den letzten Kriegstagen. Carola hatte immer bedauert, keinen Cousin und keine Cousine zu haben, da auch die Mutter ohne Geschwister aufgewachsen war. Sie selbst hätte gerne mehrere Kinder gehabt, doch nach der Tragödie um Uwe, ihren kleinen Sohn, der nur zwei Monate alt wurde, war sie froh, wenigstens ihre Uta zu haben.
Als in der Tasche ihr Handy vibrierte, sah sie sich erst vorsichtig