Septemberrennen. Isolde Kakoschky
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»Hallo Mama, das wollte ich dich fragen!«
»Mach dir keine Sorgen«, beruhigte sie ihre Tochter.
»Ich war gerade nochmal bei Herrn Ehrlich. Jetzt ist alles geklärt, was für die Beisetzung wichtig ist. Nun muss ich nur noch einen Tisch für die Trauerfeier
besorgen. Aber ich habe noch gar nicht gezählt, wie viele denn kommen. Da werde ich nachher noch mal mit deinem Onkel telefonieren. Seine Frau wird auf jeden Fall mitkommen, aber ob sie vielleicht Ines begleitet oder Victoria, das weiß ich gar nicht.«
»Also, mich darfst du dann mit zwei Personen einplanen.«
Uta hatte seit ein paar Monaten wieder einen Freund, nachdem ihre vorherige Liebe in die Brüche gegangen war.
»Oh, das ist aber schön, dass Jens mitkommt!« Carola war wirklich erfreut über diese Entwicklung. Schließlich wollte sie irgendwann einmal Oma werden.
»Ja, als ich ihm von Opas Tod erzählt habe, hat er sofort gesagt, dass er mich nicht allein zur Beerdigung gehen lässt. Mama, ich glaube, es ist diesmal der Richtige!«
Carola hörte das Glück in der Stimme ihrer Tochter, was dem Anlass des Gesprächs ein wenig die Trauer nahm.
»Ich wünsche es dir so sehr, mein Liebling!« Wieder stiegen ihr Tränen in die Augen, diesmal vor freudiger Rührung.
Nachdem sich Mutter und Tochter verabschiedet hatten, schlenderte Carola zurück zum Ausgang. Inzwischen war die Uhr ganz schön weit vorgerückt. Wenn sie vor der Arbeit noch etwas essen wollte, musste sie sich beeilen. Am Ortseingang in Eisleben bremste sie und ihr ging Blick unwillkürlich nach rechts, zu einem anderen Friedhof. Obwohl seit dem Tod von Uwe schon 35 Jahre vergangen waren, konnte sie sich nicht entschließen, das kleine Kindergrab ihres ersten Kindes beseitigen zu lassen. Es zog sie noch oft hierher. Heute allerdings saß ihr die Zeit im Nacken und sie gab wieder Gas.
6. Kapitel
»Jetzt kommt der Sommer aber richtig in Gang!« Christian wischte sich mit einer für ihn typischen Bewegung über die Stirn. »Ich gehe erst mal unter die Dusche.«
Monika hatte sich ebenfalls regelrecht erschrocken, als sie zum Feierabend aus dem klimatisierten Büro nach draußen trat. Inzwischen trug sie nur noch ein dünnes Top und einen bunten Rock und fühlte sich eigentlich recht wohl. Ihr gefiel der Sommer viel besser als der Winter. Sie hatte bereits ein paar leichte Salate angerichtet, aber auch Fleisch und Würstchen gekauft. Sie hoffte, dass Christian mit ihr einer Meinung war und sich für einen Grillabend begeistern konnte. Nicht, dass Monika ein besonders großer Grillfreund gewesen wäre, aber an solch einem herrlichen Sommerabend musste man sich nicht an den Herd stellen und drin sitzen. Sie liebte ihr kleines Häuschen, am Ortsrand im Grünen gelegen. Im angrenzenden Garten baute sie etwas Obst und Gemüse an, und frische Kräuter waren auch immer verfügbar. Manchmal hatte sie schon scherzhaft zu ihrem Mann gesagt, dass sie dadurch nicht verhungern müssten, auch wenn er über ein oder zwei Monate kein Geld verdiente. Doch ganz so schlimm war es noch nie gekommen, die Bauern in der Gegend und auch ein Fuhrunternehmer schätzten sein fachliches Können und ließen ihn manche Durststrecke überstehen.
Förmlich ohne Worte hatte Christian den Plan seiner Frau durchschaut, als er die Salate stehen sah. Er lief direkt auf die Terrasse und bereitete den Grill vor. Jetzt konnte er durchaus etwas Essbares vertragen.
»Morgen werde ich das Auto bekleben«, erzählte er, während er das erste Steak auf den Grill legte. »Da ist es gar nicht so schlecht, wenn es warm ist. Besser warm als zu kalt.«
»Ist die Lieferung angekommen?« Monika wusste, dass er die Logos extra in einer reprografischen Werkstatt bestellt hatte. Manchmal dauerte das etwas länger.
Mit einem kurzen Nicken beantwortet Christian die Frage und wendete das Fleisch. Inzwischen strömte ein herrlicher Duft durch den Garten. »Wenn das die Nachbarn riechen, wird es gleich klingeln«, scherzte er.
Monika holte ein Bier und ein Radler aus dem Kühlschrank und dann stand dem gemütlichen, rustikalen Abendessen nichts mehr im Weg.
Genüsslich kauend dachte Christian an früher. Da hatten sie mit den Eltern auch oft gegrillt. Früher, das war inzwischen über 40 Jahre her. Selbst wenn es sicherlich in der DDR manchen Mangel gegeben hatte, hungern musste keiner. Und mit etwas Organisationstalent kam man auch an gute Sachen ran. Er hatte jedenfalls nichts vermisst und behielt seine Kindheit und Jugend mit Carola in bester Erinnerung. Dass er es seinem Vater nie wirklich recht machen konnte, war auf einem anderen Blatt geschrieben.
Am nächsten Morgen stand Christian mit Monika zusammen auf. Er wollte lieber etwas früher in der Werkstatt arbeiten, als später in der Nachmittagshitze. Außer an seinem Rennauto arbeitete er auch noch an einem Getriebe für einen Sportfreund, den er nicht länger warten lassen wollte. An der Tür verabschiedete er sich von Monika und lief den kurzen Weg bis zu seiner Werkstatt. Ein lauer Wind schubste am strahlend blauen Himmel ein paar Schäfchenwolken vor sich her. Kaum zu glauben, dass fast schon September war.
Er ließ seinen prüfenden Blick noch einmal über die frisch lackierte Karosse gleiten, ehe er an die Fertigstellung ging. Jetzt kam es auf eine ruhige Hand und ein geschultes Auge an. Schief sitzende Starternummern oder Blasen in den Logos, das wollte er tunlichst vermeiden. Also schaltete er auch sein Handy lautlos und legte es in den Schrank. Jetzt wollte er auf keinen Fall gestört werden. So war es dann bereits Mittag durch, als er wieder drauf sah und bemerkte, dass Carola ihn erreichen wollte. Rasch drückte er die Wahltaste, um sie zurückzurufen.
Es dauerte eine ganze Weile, bis seine Schwester den Anruf mit einem kurzen »Ja« annahm.
»Hallo, kleine Schwester, was gibt es?«
»Sorry Chris, ich bin schon bei der Arbeit, muss mich also kurz fassen«, erwiderte Carola. »Ich wollte auch nur wissen, ob es bei euch passt mit dem Termin für die Beisetzung. Morgen sollen die Anzeigen in der Zeitung erscheinen. Aber nun isses eh für Änderungen zu spät.«
»Na sicher klappt das«, beruhigte Christian seine Schwester. »Sonst hätte ich mich doch gemeldet.«
»Was ist mit deinen Töchtern?« Carola stellte Ines und Victoria in dieser Beziehung auf eine Stufe.
»Nein, da kommt keine mit. Ist ja irgendwie verständlich«, fügte er erklärend hinzu. »Aber das müssen wir jetzt nicht diskutieren. Ich will dich auch nicht weiter von der Arbeit abhalten.«
»Na gut. Mir wäre es ja egal, aber meinem Chef nicht«, lachte Carola. »Dann mach´s gut, großer Bruder!«
»Mach´s gut, meine Kleine!«
Ach ja, überlegte Christian, an Carola blieb jetzt alles hängen. Obwohl sie die Jüngere war, hatte sie schon von Kindheit an die Fäden in der Hand. Er war einfach zu ruhig, reden war nicht sein Ding, und schreiben eigentlich auch nicht. Von seiner Exfrau wurde er dafür immer kritisiert. Erst Monika wusste ihn zu nehmen, wie er war.
Er putzte sich die Hände ab und griff zur Wasserflasche, die er schon fast ausgetrunken hatte. Mit Sicherheit war die Temperatur längst wieder über 30 Grad gestiegen.