Septemberrennen. Isolde Kakoschky

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Septemberrennen - Isolde Kakoschky

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dich nicht warten lassen und man weiß ja nie, wie es auf den Straßen aussieht.« Er holte tief Luft. Wie er seine Tochter kannte, ließ die sich nicht mehr lange mit Konversation hinhalten.

      Und so, wie er es sich gedacht hatte, drängte sie nun, den Grund ihres Treffens zu erfahren. »Was ist denn jetzt so Wichtiges?«

      »Dein Opa ist gestorben.« Christian war einfach nicht wortgewandt genug, um lange um den heißen Brei zu reden. »Ich wollte dich fragen, ob du zur Beerdigung mitfahren möchtest.«

      Ines sah ihn irritiert an. »Und das konntest du mich nicht am Telefon fragen?«

      »Ich wollte nicht«, bekannte er. »Mir hat es gestern deine Tante Carola am Telefon gesagt. Auf diese Art und Weise solltest du es nicht erfahren. Ich wollte nicht, dass du dich so fühlst, wie ich mich gestern, so überrumpelt.«

      Spöttisch verzog Ines die Mundwinkel und ähnelte damit auf frappierende Art und Weise ihrer Mutter.

      »Also ehrlich, es gab Zeiten, da warst du nicht so feinfühlig! Da hat dir ein Zettel auf dem Stubentisch genügt, um Mama und mir kundzutun, dass du dich auf Nimmerwiedersehen verdrückt hast! Kannst du dir vorstellen, wie ich mich damals gefühlt habe? Ich war ein kleines, neunjähriges Mädchen und konnte mir gar nicht vorstellen, dass der Papa nicht mehr kommt.« Sie schluckte.

      Betroffen rührte Christian in seiner Kaffeetasse. Er wusste es ja selbst, doch er hatte zu der Zeit keine andere Möglichkeit gesehen. Jetzt trafen ihn die Vorwürfe aus dem Mund von Ines hart.

      »Mama und ich waren ja froh, dass der Opa uns geholfen hat«, fuhr sie fort. »Er war genauso traurig wie wir. Und er war genauso wütend. So ungefähr ein Jahr haben wir ihn noch regelmäßig besucht. Ich weiß nicht, warum dann der Kontakt abgebrochen ist, ich hab Mama nie gefragt. Auch Tante Carola habe ich seit dem nicht mehr gesehen. Aber deshalb jetzt zur Beerdigung fahren?« Sie schüttelte den Kopf. »Ich werde eine Karte schreiben. Jetzt habe ich ja keine

      hier. Aber ich kann sie dann zu dir schicken. Oder an Tante Carola? Wohnt sie noch in Eisleben?«

      Christian nickte. »Ja, immer noch in der alten Wohnung in der Bergmannsallee. Schick ihr die Karte. Carola übernimmt ja sowieso die ganzen Formalitäten.«

      »Gut«, erhob sich Ines, »dann will ich mal wieder. Mein Chef wird froh sein, wenn ich nicht zu lange wegbleibe.« Sie reichte ihrem Vater die Hand. An der Tür drehte sie sich noch einmal kurz um. »Komm gut heim!«

      Nachdem Christian die Rechnung bezahlt hatte, verließ auch er das Lokal. Obwohl die ganze Unterhaltung keine halbe Stunde gedauert hatte und er auch ein wenig betrübt über den Ausgang war, fand er es richtig, hergefahren zu sein. Er wusste sehr wohl, was er seiner Frau und seiner Tochter einst angetan hatte. Seit Jahren versuchte er, langsam wieder Vertrauen aufzubauen, wenigstens zu Ines. Er wollte nicht, dass es ihr mit ihm so erging, wie ihm jetzt mit seinem Vater.

      Gemächlichen Schrittes lief Christian um die Ecke, wo er glücklicherweise ganz in der Nähe einen Parkplatz ergattert hatte. Nun würde er doch nicht spät zu Hause ankommen. Der Blick zur Uhr zeigte ihm, dass Monika noch im Büro war und da er sie dort nur im Notfall anrief, tippte er erneut einen Nachricht in sein Smartphone: »Bin zum Abendessen wieder daheim. Bis nachher!« Dann startete er den Motor.

      Der einsetzende Berufsverkehr bremste das Vorankommen, und auch auf der Autobahn konnte er den BMW nur gemächlich dahin rollen lassen. Bei der Wahl seines Autos hatte er sich bewusst für die Bayerische Marke entschieden. Obwohl der Wagen schon einige Jährchen auf dem Buckel hatte, tat er treu seinen Dienst. Monika hatte sich inzwischen ein neues kleines, rotes Auto zugelegt. Der Mini passte einfach zu ihr. Es erinnerte ihn immer an ihre erste Begegnung. Schon mehrfach hatten sie überlegt, ob zwei Autos eigentlich sinnvoll waren, doch gerade an Tagen wie heute blieben sie beide unabhängig und konnten auch mal spontan reagieren. Zwar stand in der Garage neben der Werkstatt noch ein zum Camper umgebauter Kleinbus, doch der diente eigentlich nur dazu, mit dem Hänger die fertigen Autos zum Käufer zu transportieren. Eine seiner längsten Strecken hatte ihn bis nach Tallinn geführt. Dort wurde nun sein restaurierter »Estonia«-Rennwagen in einem Estnischen Museum ausgestellt.

      Ja, er war inzwischen erfolgreich auf seinem Gebiet. Einem guten Dutzend historischer Fahrzeuge hatte er bereits zu einem zweiten Leben verholfen. Vielleicht wäre der Vater stolz auf ihn gewesen. Es hatte nicht sein sollen, dass er das noch erlebte.

      Über diesen Gedanken erreichte er die Donauniederung wieder. Die Ereignisse hatten dazu geführt, dass er vor zwei Jahrzehnten zufällig hier landete. Obwohl die Grenze zwischen den beiden deutschen Staaten da schon fünf Jahre offen war, ähnelte sein Neuanfang doch einer Flucht. Akribisch hatte er alles vorbereitet, aber niemandem etwas von seinen Plänen erzählt. Das Plattenbaukombinat hatte schon längst die Tore geschlossen. Dadurch bekam er die Chance, nun doch als Schlosser zu arbeiten, zwar ungelernt und schlecht bezahlt, aber endlich in seinem Wunschberuf. Doch auch mit dieser Firma ging es bergab. Und leider schien es in seiner Ehe mit Beate nicht anders zu sein. Inzwischen waren die glücklichen Jahre nach der Geburt von Ines dem täglichen Einerlei gewichen und den Kämpfen, sich mit den neuen Gegebenheiten zu arrangieren. Nahezu jeder Tag endete statt in liebevoller Umarmung mit Vorwürfen, die sie in einer nicht enden wollenden Litanei herunter ratterte. Sie wünschte sich so viel und er konnte ihr so wenig bieten. Mit der Zeit reifte der Entschluss in ihm, weg zu gehen. Weg von der schlechten wirtschaftlichen Lage, weg von seiner Frau, weg auch von seiner Tochter, weg von seiner Familie. Arbeit und Wohnung in Bayern fand er durch eine Chiffre-Anzeige. Am Morgen hatte er seine Frau ins Büro und Ines zur Schule gebracht. Dann musste alles ganz schnell gehen. Wenn er jetzt nicht fuhr, dann nie, soviel wusste er. Bei einem nochmaligen Zusammentreffen mit Beate hätte er auf jeden Fall kapituliert. Seit zwei Stunden klangen ihm Ines´ Vorwürfe im Ohr. Dass er seinem kleinen Mädchen das angetan hatte, war das Schlimmste an der Geschichte. Er hoffte sehr, dass sie ihm eines Tages wirklich verzeihen konnte.

      Christian bog von der Hauptstraße ab und hielt eine Minute später vor seinem Haus an. Als er die Tür öffnete, hörte er seine Frau in der Küche hantieren. Bevor er um die Ecke in Richtung Bad verschwand, steckte er kurz den Kopf durch die geöffnete Küchentür. »Bin wieder da!«

      Ein tiefes Aufatmen ging durch Monikas Körper. Nach langer Zeit hatte sie diese Angst wieder einmal gespürt. Schon kurz nach ihrem Kennenlernen hatte ihr Christian von seinem Ausstieg erzählt. Er war nicht stolz darauf gewesen, wie er seine Familie verlassen und über Monate im Ungewissen gelassen hatte, doch er wollte ihr von Anfang an reinen Wein einschenken und kein Geheimnis zwischen sich stehen haben. Was Christian vielleicht gut getan hatte, bereitete Monika Sorgen. Jedes Mal, wenn sie nicht wusste, wo Christian hingefahren war oder er sich nur verspätete, setzte bei ihr eine Panik ein. Das wurde erst besser, als sie sich zwei Handys zulegten und nun immer füreinander erreichbar waren. Auch heute hatte er sie informiert, dass er nach München gefahren war. Und sie war ihm dankbar für seine Nachricht noch zwischendurch, doch ihre Anspannung legte sich erst, als das vertraute Motorengeräusch vor dem Haus zu hören war und sein dunkelblonder Strubbelkopf im Türrahmen erschien.

      Ist doch Quatsch, schalt sie sich zum wiederholten Mal. Selbst wenn sich Christian von ihr trennen wollte, hier hielt ihn doch inzwischen viel mehr als damals in der Plattenbauwohnung. Er würde nie einfach seine Werkstatt verlassen. Daran hing sein Herz.

      Monika nahm die Teller und Bestecks aus dem Schrank und deckte den Tisch in der großen, mit rustikalen Möbeln eingerichteten Wohnküche, als sich ihr Mann wieder zu ihr gesellte. Sie wünschten sich guten Appetit und aßen ansonsten schweigend. Monika kannte ihren Mann gut genug, um ihn nicht sofort mit Fragen zu bedrängen. Erst als sie die Küche aufgeräumt hatten und im Wohnzimmer auf dem gemütlichen Sofa saßen, sah Monika Christian fragend an.

      »Du warst bei Ines?« Auf

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