Verbrannte Erde. Marie Kastner
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Er schlüpfte knurrend in seine ausgetretenen Birkenstocks, die unter dem Gartentisch herumlagen, ließ das letzte Schlückchen Kaffee durch die Kehle rinnen und erhob sich.
Auf einmal wirkte auch er besorgt, runzelte die Stirn.
»Das stimmt, die Luft wird rauchig. Sieh mal! Man erkennt die Laubbäume auf der anderen Straßenseite jetzt nur noch als verschwommene Umrisse, ähnlich wie durch eine Nebelbank. Allmählich mache ich mir auch Gedanken, normal ist das jedenfalls nicht. Ich gehe besser kurz nachsehen, denn vorher gibst du ja sowieso keine Ruhe. Ich bin gleich wieder da, versprochen.«
Kaum war ihr Mann um die Ecke verschwunden, rannte Julia ins Haus, holte ihre Handtasche und den Ordner mit den wichtigsten Papieren, nur für alle Fälle. Sie hegte ein seltsames Gefühl, ein Anflug von Panik suchte sie heim. Im Ernstfall müsste man schnellstens von hier verschwinden können.
Schon trübte sich das Sonnenlicht und der soeben noch blaue Himmel wirkte dunstig-grau, wie mit einem Schleier verhangen. Ihr wurde schlagartig bewusst, dass sie in einem riesigen Waldgebiet wohnten. Brennbares Material gab es zweifellos in Hülle und Fülle.
Schweiß stand auf ihrer Stirn. Die Fragen im Kopf überschlugen sich. Diese brachiale Hitze … war sie nur klimatisch bedingt, oder gab es weitere Ursachen? Und falls der Wald tatsächlich brannte, wie weit mochte dann das Feuer momentan noch entfernt sein?
Könnte Bernd womöglich in Gefahr geraten?
Dieser Gedankengang jagte eine Portion Adrenalin durch ihre Adern, was sie gleich noch mehr schwitzen ließ. Irgendwo bellte ein Hund, er wollte gar nicht mehr aufhören.
Denk bloß nicht an sowas, Julia. Das führt zu nichts Vernünftigem, du machst dich nur selber verrückt. Vielleicht gibt es doch eine harmlose Erklärung für den Brandgeruch. Bernd ist ein erfahrener Kripobeamter, kann sehr gut auf sich selbst aufpassen, redete sie sich ein.
Angstvoll wartete sie auf seine Rückkehr, zählte die Minuten. Wie lange konnte man höchstens brauchen, um die nähere Umgebung des Weilers zu erkunden? Ihr kam die Wartezeit schon jetzt wie eine halbe Ewigkeit vor. Vielleicht hätte sie lieber mitgehen sollen, anstatt wie ein Angsthase hier auszuharren.
Den Kater hielt sie vorsichtshalber auf ihrem Schoß mit intensivem Streicheln fest, aber auch Felix wurde zunehmend unruhig, schnupperte ständig intensiv. Das brachte sie umgehend zur nächsten ungeklärten Frage.
Was, wenn seine angeborenen Katzeninstinkte ihn vor einem herannahenden Unglück warnten und er panisch davonrennen würde, wie sollte sie ihn wiederfinden und retten? Tiere besitzen bekanntlich viel feinere Antennen als Menschen, dieser Tatsache war sie sich in jenem sorgenvollen Augenblick vollauf bewusst. Wenn ihr Felix sich fürchtete, hatte auch sie allen Grund dazu.
Kurze Zeit später war Julia vollends überzeugt, dass sie augenblicklich aus Elend verschwinden mussten. Aus der Ferne trug der jetzt auffrischende Wind das Sirenengeheul mehrerer Einsatzfahrzeuge herüber. Sie schob kurzerhand Kater Felix auf die Rückbank ihres Škodas, warf den Ordner nebst Handtasche in den Kofferraum und eilte fliegenden Fußes ins Wohnhaus, um wenigstens ein paar Klamotten für sich und Bernd zusammenzuraffen.
Ein Glück, dass sie solch ein organisierter Mensch war. Schon vor Tagen hatte sie im Kleiderschrank mehrere Häufchen mit Kleidung und Kosmetikartikeln angelegt, die sie mit in den Urlaub nehmen wollten. All das Zeug stopfte sie nun ohne Rücksicht auf Verluste in zwei nagelneue Schalenkoffer, die sie eigens für ihre erste gemeinsame Reise angeschafft hatten. Vor lauter Aufregung wollte es ihr kaum gelingen, die Reißverschlüsse zu schließen.
Gerade, als sie die Gepäckstücke mit Schwung in den Kofferraum beförderte, keuchte plötzlich jemand neben ihr. Bernd. Sie hatte ihn nicht kommen sehen, so blickdicht waren inzwischen die gelblich-grauen Rauchschwaden über der Straße.
»Wie gut, dass du gepackt hast! Wir müssen hier weg, oben im Elendstal brennt der Wald lichterloh. Ich glaube sogar, die Brockenstieg-Apartments hat es schon erwischt. Die Feuerwehr ist auf dem Weg. So wie es aussieht, wird das Gebiet unterhalb des Brandes weiträumig evakuiert«, quetschte er hustend hervor.
Der sonst so abgeklärte Kriminalkommissar war völlig außer sich, geradezu hysterisch. Im Auto gebärdete sich Felix mittlerweile wie ein Verrückter, maunzte und kratzte am Seitenfenster.
Julia war vor Angst wie paralysiert. Auch sie plagte jetzt Hustenreiz, die Augen tränten. Unscharf sah sie, wie Bernd fahrig nach dem Gartenschlauch griff, Hausund Schuppendach kurz nass spritzte, die Haustür abschloss und zum Auto eilte.
»Los, hinten einsteigen! Worauf wartest du noch? Wir müssen hier auf der Stelle weg! Und versuch, den durchgedrehten Kater zu beruhigen. Der springt mir sonst womöglich beim Fahren ins Genick«, brüllte er und riss die Wagentür auf.
Während Bernd mit quietschenden Reifen vom Hof fuhr und die Ortsverbindungsstraße 27 in Richtung Elbingerode entlangraste, warf Julia einen wehmütigen Blick aus dem Heckfenster. Es schien ihr gut möglich zu sein, dass sie jenes mit viel Hingabe renovierte Schmuckstück, welches in den letzten Monaten zu ihrem Zuhause geworden war, jetzt zum letzten Mal in diesem Zustand sah. Schon quollen Rauchwolken hinter dem Anwesen hervor, waberten über den Hof und hüllten den Sonnenschirm in Dunkelheit. Funken stoben die Landstraße entlang, der böige Wind trieb sie vor sich her.
Sie brach in Verzweiflungstränen aus.
Das Anwesen der Maders lag ein wenig außerhalb. Der Škoda passierte zuerst das Hotel Waldmühle, raste durch den Kreisel in der Ortschaft, am Forstamt vorbei und erreichte schließlich das Hochwasser-Schutzbecken ›Kalte Bode‹ auf der gegenüberliegenden Seite von Elend.
Der Anblick von Wasser hatte etwas Beruhigendes. Hier wurde der Qualm merklich dünner, dafür nahm der Verkehr stetig zu. Die Evakuierung war inzwischen in vollem Gange. Überall luden Leute hektisch ihre Autos voll, um wohlbehalten das Weite zu suchen. Die Blechkolonne kannte nur eine Richtung, weg von den Bäumen, und das auf kürzestem Wege.
Bei jedem Stückchen Wald, das sie durchqueren mussten, war Julia mulmig zumute. Wer konnte schon genau wissen, welchen Weg die Feuersbrunst nahm. Sie erinnerte sich an Dokus über Waldbrände in Kalifornien, wo die Bewohner auf ihrer Flucht urplötzlich vom Feuer eingeschlossen worden, qualvoll in ihren Fahrzeugen verbrannt waren. Nichts dünkte ihr unheimlicher, als wenn Bäume bei einem Waldbrand links und rechts bis an die Straße heranreichten, einem die hochlodernden Flammen im schlimmsten Fall den Fluchtweg abschneiden konnten.
Sie trafen kurz darauf in Königshütte ein und erst da atmete Julia ein wenig auf. Von diesem Ort ab führte die 27 nicht mehr durch dicht bewaldetes Gebiet, sondern passierte ausgedehnte Wiesenund Ackerflächen, schlängelte sich schließlich am Kalksteintagebau Hornberg vorbei.
In Braunlage hielt Bernd erst einmal an, öffnete die Autotür und atmete Sauerstoff in seine Lungen. Anschließend stellte er die Lüftung des Wagens sofort wieder von Umluft auf Frischluftzufuhr um. Er war vorhin trotz der Eile noch geistesgegenwärtig genug gewesen, die beißenden Rauchschwaden aus dem Fahrzeuginneren fernzuhalten.
Sie hatten es geschafft, waren dem Feuer entkommen. Löschzüge rasten mit zuckendem Blaulicht und ohrenbetäubend jaulenden Martinshörnern an den Maders vorbei, einige Krankenund Polizeiwagen folgten. Ein Hubschrauber kreiste am Himmel. Wahrscheinlich wurden neben den Feuerwehren aus dem Altkreis Wernigerode gerade Löschtrupps aus der weiteren Umgebung zur Brandbekämpfung zusammengezogen, nämlich die Einheiten aus Quedlinburg, Thale, Ballenstedt und Harzgerode, wie er aus den behördlichen Katastrophenschutzplänen wusste.
Vielleicht