Verbrannte Erde. Marie Kastner

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Verbrannte Erde - Marie Kastner

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      Julia Mader beobachtete das Naturschauspiel fasziniert, freute sich erwartungsvoll auf ein paar unbeschwerte Tage am Mittelmeer. Voller Optimismus betrat sie die Gangway.

      *

       09. Juli 2018, Revierkommissariat Wernigerode

      

      Der Großbrand im Harz war seit dem Mordfall Waldlichtung das erste Ereignis gewesen, welches dazu geeignet war, das Revierkommissariat Wernigerode in den Ausnahmezustand zu versetzen. Bis dahin war der Dienst gemächlich vonstattengegangen, fast so etwas wie Langeweile aufgekommen. Einige Ladendiebstähle, gelegentliche Anrufe wegen Ruhestörung oder häuslicher Gewalt, ein paar Körperverletzungsdelikte, jugendliche Kiffer, Trunkenheitsfahrten – das übliche Alltagsgeschäft eben, womit man sich bei der Polizei ständig zu plagen hatte.

      Revierleiter Remmlers geplanter Weggang im November war schon eher dazu prädestiniert, die Gemüter zu erhitzen. Anstatt erst 2019 von der Bildfläche zu verschwinden, so wie es angekündigt gewesen war, hatte er Knall auf Fall beschlossen, seinen Dienst ein ganzes Jahr früher zu quittieren. Mit der Begründung, dass er den Rest seines Lebens zukünftig ohne Mord und Totschlag genießen wolle. Dafür nähme er einige Einbußen bei der Beamtenpension gern in Kauf, hatte er behauptet. Ein seltsames Statement, das ihm gar nicht ähnlich sah. Charaktertypen wie er klebten gemeinhin an ihren exponierten Posten.

      Seine Ankündigung war sehr überraschend gekommen, selbst für seine Sekretärin Christa, aber böse war ihm niemand gewesen. Bis die Belegschaft feststellen musste, dass er es vor seiner anstehenden Pensionierung noch einmal richtig krachen lassen wollte, vermutlich um sich abschließend ein Denkmal zu setzen. Mit blindem Aktionismus und überheblicher Besserwisserei ging er den Kollegen und Kolleginnen mächtig auf die Nerven, und zwar schlimmer als jemals zuvor.

      Sein Nachfolger aus dem Revier Naumburg stand schon parat, kam mehrere Stunden pro Woche vorbei, um sich langsam einzuarbeiten. Schließlich musste er, neben örtlichen Gegebenheiten, die Strukturen und Mitarbeiter seiner neuen Wirkungsstätte kennenlernen, um von der ersten Sekunde an voll einsteigen zu können. Ein sympathischer Typ, dieser Thomas Wolters, wenn auch extrem ehrgeizig. Das war jedenfalls der Eindruck, der bei Marit Schmidbauer hängengeblieben war.

      Je mehr sich Remmler zum großen Zampano aufspielte und versuchte, dem Neuen seinen fragwürdigen Führungsstil aufzudrängen, desto intensiver fielen die Bestrebungen seiner Untergebenen aus, ihm tunlichst aus dem Weg zu gehen. Einige hatten Maßbänder in den Schubladen ihrer Schreibtische liegen, an denen sie an jedem überstandenen Tag feierlich einen Zentimeter abschnitten.

      Noch waren die Überreste mehr als einen Meter lang.

      An diesem Morgen ertappte Marit ihre Kollegin Verena Kant beim Abschneiden. Das gestutzte Maßband verschwand blitzartig in deren Jackentasche.

      »Mensch, hast du mich erschreckt! Nicht auszudenken, wenn der Alte ins Zimmer gekommen wäre und mich erwischt hätte. Da wäre ich ganz schön in Erklärungsnöte gekommen«, stöhnte die Beamtin erleichtert.

      Marit zuckte grinsend mit den Schultern.

      »Der ist doch selber schuld. Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es zurück. Mir ist inzwischen scheißegal, wie er über mich denkt. Der Wolters ist aus einem anderen Holz geschnitzt

      obwohl auch der seine Macken hat. Aber wahrscheinlich muss man rücksichtslos beide Ellbogen benutzen, wenn man auf der Karriereleiter ganz nach oben klettern will.«

      »Das stimmt. Und bedauerlicherweise ist er ein Mann, wenn auch ein ansehnlicher. Man könnte denken, Testosteron verneble die Denkprozesse. Eigentlich sollte keiner von denen aufsteigen dürfen, in welche Führungsposition auch immer. Männer sind für die schlimmsten Erfindungen und Ereignisse der Weltgeschichte verantwortlich, hast du darüber schon einmal nachgedacht? Die römischen Eroberungsfeldzüge, die Erfindung der Atombombe, der Zweite Weltkrieg, Giftgasangriffe in Syrien – und so weiter und so fort. Wann und wo immer du in der Weltgeschichte nachforschst, stets waren Männer für die allergrößten Katastrophen verantwortlich.

      Gut, wir Frauen können natürlich auch fies werden, aber auf völlig andere Weise und nicht in diesem desaströsen Ausmaß für ganze Volksgruppen«, philosophierte Verena grimmig.

      Marit fand es insgeheim frappierend, dass eine, die mit ihrem kantigen Körperbau und dem Herrenkurzhaarschnitt selber fast wie ein Mann aussah, diskriminierende Sprüche über die Herren der Schöpfung von sich gab. Nicht zum ersten Mal hatte Verena heute dieses Thema angeschnitten. Sie musste wohl schon einige negative Erfahrungen mit dem stärkeren Geschlecht hinter sich haben. Oder es lag daran, dass auch sie zum Opfer von Remmlers ekelhaften Grabsch-Attacken geworden war. Vielleicht hatte sie deswegen die Nase von Männern gestrichen voll.

      Noch immer ahnte niemand im Revier, dass Verena Kant eine Lesbe war. Als solche verspürte sie das Bedürfnis, der hübschen Marit ein wenig näher zu kommen, ach was, sehr viel näher. Sie hatte mitgekriegt, dass die schlanke Brünette seit längerer Zeit keinen festen Freund an ihrer Seite hatte und gedachte ein paar Testballons zu starten.

      Fürs Erste rückte sie ihr auf die Pelle, indem sie sich neben ihr vor einer monströsen Landkarte an der Wand postierte, die die Harzregion zeigte. Mithilfe von Stecknadeln und roten Wollfäden war ein Gebiet eingegrenzt. Es handelte sich um die abgebrannte Fläche. Sie reichte von der Ortschaft Torfhaus, gelegen im Vogelschutzgebiet und westlich der Landesgrenze zu Niedersachsen, bis zur Straße L 100 im Osten, wo es den Feuerwehren zumindest im nördlichen Teil gelungen war, eine Feuerschneise zu schlagen und die Flammen zurückzudrängen.

      Bedauerlicherweise hatte es das idyllisch gelegene Hotel Der Kräuterhof noch mit erwischt, es war dem Feuer zum Opfer gefallen. Die Brockenstieg-Apartments waren Geschichte, genauso wie der bei Touristen wie Einheimischen beliebte Campingplatz am Schierker Stern. Wie durch ein Wunder waren die Ortschaften Elend und Schierke knapp verschont geblieben.

      »Ist das jetzt der endgültige Stand?«

      »Ja. Ein riesengroßes Waldstück, nicht wahr? Keine Ahnung, wie viele Hektar es sind. Ich könnte heulen, wenn ich das sehe. Noch jetzt hängt eine graue Rauchglocke über Wernigerode, es stinkt zum Himmel. Ich bin wirklich gespannt, was der Brandermittler herausfindet.«

      Verena rückte, wie zufällig, auf Tuchfühlung heran und zeigte gezielt auf einen Punkt in der Karte.

      »Sieh mal einer an, die kleine Waldlichtung hinter dem Schierker Bahnhof, auf der letztes Jahr Rüdiger Müller ermordet wurde, ist mit abgefackelt. Weiß man mittlerweile eigentlich schon, ob bei dem Brand die Gleisanlagen der Brockenbahn in Mitleidenschaft gezogen wurden? Vorhin hat mich eine aufgebrachte Anruferin danach gefragt.«

      Marit trat einen halben Schritt zur Seite. Zu viel Nähe war ihr unangenehm, egal ob sie nun von Männlein oder Weiblein hergestellt wurde. Sie brauchte ihren Dunstkreis für sich alleine.

      »Nein, das muss zuerst alles sorgfältig durchgecheckt werden. Der Bahnbetrieb dieses Streckenabschnitts bleibt bis auf weiteres eingestellt. Die Harzer Schmalspurbahnen gehen kein Risiko ein. Das Brockenplateau ist am Freitag sowieso prophylaktisch mit evakuiert worden, damit niemand vom Feuer eingeschlossen wird. Wer, außer ein paar gestörten Katastrophentouristen vielleicht, sollte momentan schon freiwillig da hochfahren wollen«, merkte sie sarkastisch an.

      »Auch wieder wahr«, nickte die Kant. »Wobei man genau hieraus wahrscheinlich richtig viel Profit generieren könnte. Mancherorts ist Ähnliches zum Geschäftsmodell geworden. Hast du gewusst, dass auf dem Gelände des havarierten Atomreaktors

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