Die Kinder vom Schmetterlingshof. Gisela Sachs

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Die Kinder vom Schmetterlingshof - Gisela Sachs

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      Der Michel hat die Hausschuhe vom Opa versteckt. Der Michel macht oft Streiche mit dem Opa. Und der Opa macht die Streiche mit. Der Opa läuft im ganzen Haus herum, rauft sich die Haare und ruft: zum Kuckuck und zum Geier aber auch, wo habe ich denn bloß wieder meine Hausschuhe hingestellt. Kannst du mir bitte mal beim Suchen helfen, Ännchen? Dabei weiß der Opa ganz genau, dass seine Hausschuhe unter seinem Bett sind. Und er weiß auch ganz genau, dass ich nie unter sein Bett schauen würde. Weil da mal eine Maus gesessen hat. Und weil es unter dem Bett vom Opa so staubig ist. Und so viel Zeugs herumsteht.

      Der Michel hat dem Opa einen Regenwurm unter das Kopfkissen gelegt. Das findet der Opa aber kein bisschen lustig. Und er schimpft den Michel tüchtig aus. Unter der Erde muss der Wurm sich vor dem Maulwurf verstecken, schimpft der Opa und über der Erde vor unserem Michel. Das arme Würmchen hätte ersticken können. Zum Kuckuck und zum Geier aber auch. Und so einer will einmal Tierarzt werden! Wenn es um das Wohl von Tieren geht, dann kann der Opa richtig zornig werden. Der Opa bekommt auch einen tomatenroten Kopf, als er bemerkt, dass der Michel ihm Salz in den Kaffee geschüttet hat. Da hört der Spaß auf Michel, schimpft der Opa. Mit Lebensmitteln herum zu panschen gibt es nicht. Nicht in diesem Haus! Der Opa schimpft nicht oft mit uns. Aber wenn er das tut, dann ist das ganz schlimm für den Michel und mich. Und für die Minka auch. Die ist das auch nicht gewohnt. Sie verkriecht sich immer unter den Tisch, wenn der Opa schimpft. Es ist keine Selbstverständlichkeit, Kaffee im Haus zu haben, sagt der Opa. In Notzeiten hätte ich manches dafür getan, um eine Tasse richtigen Kaffee trinken zu können. Wir haben Getreidekaffee getrunken. Ersatzkaffee. Und das auch nicht alle Tage. Der Opa erzählt eine lange Geschichte vom Kaffeeanbau. Dass der Kaffee mit den Händen gepflückt werden muss. Und dass in den Ländern die Kinder mitarbeiten müssen auf der Kaffeeplantage. Den ganzen Tag lang. Und dass die Kinder nicht genug zu essen und zu trinken bekommen. Und dass sie noch nicht einmal Unterhosen tragen. Weil sie so arm sind, dass sie gar keine Unterhosen haben.

      Der Papa hat eine Hütte aus Holz für den Michel gebaut, da sperrt er den Michel ein, wenn er mal wieder über die Stränge geschlagen hat. Bei uns geht es zu wie auf dem Katthulthof, wo der Michel aus Lönneberga gewohnt hat, sagt die Mama. Aber so wild ist mein Bruder dann auch wieder nicht und die Hütte vom Michel hat zwei große Fenster. Und der Papa und die Mama wissen ganz genau, dass der Michel nicht wirklich weggeschlossen ist. Und der Michel weiß es natürlich auch. Der ist ja nicht blöd.

      Die Mama will einen Teil der Scheune zu einem Ferienlager für Kinder umbauen. Das wird sehr spannend werden. Es sollen nämlich auch Kinder aus Peru kommen. Der Herr Pfarrer hat das organisiert. Zusammen mit meinem Religionslehrer. Ich weiß gar nicht, welche Sprache man spricht in Peru. Mach dir da mal keine Gedanken darüber Schneckchen, sagt der Papa. Ein freundliches Lächeln und eine liebevolle Gestik versteht man auf der ganzen Welt. Nur die Liebe zählt, mein süßes, kleines Schmetterlingsmädchen. Der Papa sagt oft Schmetterlingsmädchen zu mir. Und Prinzessin. Und Zuckerännchen. Und Krümelchen. Und Fröschchen. Und Schneckchen. Und Schnuckelchen. Und Mäuschen. Wenn der Papa zu mir Mäuschen sagt, werde ich wütend. Ich will nicht, dass der Papa mich Mäuschen nennt. Ich mag keine Mäuse! Das weiß der Papa doch. Und ich will auch nicht, dass er mich angrinst, wenn ich wütend bin. Auch der Michel grinst, wenn ich zornig bin. Und die Mama. Aber nur ein bisschen. Nur der Opa nicht. Der Opa ist mein Lieblingsmensch.

      Ich will trotzdem wissen, welche Sprache man spricht in Peru, sage ich zum Opa. Und ich will italienisch lernen, damit ich mit den drei alten Leuten vom Schmitzhof reden kann. Die sind nämlich ganz lieb. Sie gehen sogar manchmal mit zur Oma ins Pflegeheim. Obwohl sie mit der Oma gar nicht sprechen können. Sie singen ihr halt was vor. Und die Oma freut sich immer sehr darüber. Ich will Klavierspielen können! So gut wie der Herr Kugler. Und ich will Mundharmonika spielen können. Und Geige. Und Gitarre. Ich denke, ich will einmal Musikerin werden. Am Theater in der Großstadt vielleicht. Und ich will so schöne Blumenbilder malen können wie die Oma.

      Meiner Mama gefällt es sehr, eine große Kinderschar um sich zu haben. Und dem Opa auch. Der Michel und ich dürfen oft unsere Schulfreunde und Schulfreundinnen zu uns nach Hause einladen. Die Mädchen und Jungen dürfen auch oft bei uns übernachten. Und die Mama macht Spiele mit uns und liest Geschichten vor. Und sie spielt auf der Flöte. Und wir singen und tanzen. Und auch der Papa und der Opa haben viel Spaß mit den Freunden vom Michel und mir. Sie spielen immer Fußball mit den Jungs. Schade, dass ich nicht noch mehr Enkelkinderchen habe, sagt der Opa. Eine eigene Enkelkinderfußballmannschaft das wäre schon was. Und der Papa lacht. Was nicht ist, kann ja noch werden. Und da muss auch die Mama lachen.

      Der Michel sitzt wieder einmal in der Hütte. Er hat die Hände vor dem Gesicht verschränkt und weint. Ich spähe durchs Fenster. Ich weiß nicht, ob ich in die Hütte reingehen und den Michel trösten soll. Ich weiß auch nicht, was er angestellt hat. Es wird etwas Schlimmes gewesen sein, sonst würde der Michel nicht so bitterlich weinen. Ich gehe ins Haus zurück. Und der Opa holt den Michel aus der Hütte. Und der Opa erzählt uns eine Geschichte von früher. Wie es war, als er der Oma den Heiratsantrag gemacht hat.

      Es war am ersten Mai, erzählt der Opa. Ich war schon drei Jahre lang mit der Oma zusammen. Im Dorf gab es ein Maifest. Und die unverheirateten Burschen hatten den Maibaum gestellt. Er war mit buntem Krepppapier geschmückt. Und auf der Krone des Baumes hing ein Kranz. Und es flatterte eine weiße Schleife im Wind. Und auf der Schleife stand Marie. Der Rudolf wollte der Marie nämlich einen Heiratsantrag machen. Da dachte ich mir, was der Rudolf kann, das kann ich auch. Ich habe mich also in der Umgebung nach einem schönen Birkenbaum umgesehen. Ich bin alle Ortschaften angeradelt, habe dann auch einen schönen Baum entdeckt. Er stand vor dem Rathaus. Und ich kam in große Versuchung. Am liebsten hätte ich den Baum mitgenommen. Es fiel mir schwer, weiter zu radeln, sagt der Opa. Sehr schwer! Das könnt ihr mir aber glauben, Kinder. Und der Michel nickt. Am Rande des Waldes lagen auch ein paar schöne Birkenbäume, erzählt der Opa weiter. Aber es wäre Diebstahl gewesen, wenn ich eines der Bäumchen mitgenommen hätte. Und der Michel nickt wieder. Ich habe dann kurzerhand einen dicken Ast von dem Haselnussbaum hinter unserem Haus abgeschnitten und Fliederzweige daran festgebunden, erzählt der Opa weiter. Und Butterblumen, Margeriten, Klatschmohn und alle möglichen Gräser. Krepppapier konnte ich keines auftreiben, so nahm ich eben Toilettenpapier für die Schleifen. Und auf jede Schleife habe ich in roter Schrift geschrieben: Ich liebe dich Anna. Willst du meine Frau werden? Da müssen der Michel und ich arg lachen. Wie immer, an dieser Stelle. Meine Eltern haben einen gehörigen Lachanfall bekommen, als sie den Maibaum für mein Liebchen sahen, erzählt der Opa weiter. Aber das Ännchen weinte vor Rührung. Und sie nahm meinen Heiratsantrag an. Danach bat ich die Eltern um die Hand ihrer Tochter. Und die sagten auch ja. Der Opa strahlt wie ein Honigkuchenpferd am Weihnachtsbaum. Wie immer, an dieser Stelle. Dann erzählt er weiter. Zur Feier des Tages tranken wir zusammen ein Glas Apfelmost. Und ich durfte du zu meinen zukünftigen Schwiegereltern sagen. Und Fritz und Emma. Anschließend fuhren die Oma und ich mit dem Fahrrad zum Tanz aufs Maifest. Die Feuerwehr im Nachbarort lud dazu ein. Eure Oma war es nicht gewohnt Alkohol zu trinken, lacht der Opa. Sie hatte einen kleinen Schwips. Sonst hätte sie sich auch nicht allein auf die Tanzfläche getraut. Den Burschen standen die Münder offen, als die Oma getanzt hat, sagt der Opa. Und der Opa lacht ganz froh. Und ich auch. Die Geschichte von dem Heiratsantrag ist eine meiner Lieblings-Opa-Oma-Geschichten. Und der Opa weiß das ganz genau. Er streichelt über meinen Kopf, sagt Zuckerännchen, mein liebes, liebes Zuckerännchen. Die Oma tanzte geschmeidiger noch als eine Elfe, erzählt der Opa weiter. Und alle Menschen schauten ihr zu. Sie klatschten den Rhythmus der Musik mit. Sogar der Rudolf. Der hatte gar keine Augen mehr für seine Marie. Ich bin fast geplatzt vor Stolz, dass die schöne, stolze Anna meine Frau werden sollte. Und der Opa seufzt. Glücklich. Und er streichelt dem Michel über den Kopf. Wie immer, an dieser Stelle. Und der Opa gibt dem Michel einen dicken Schmatz auf den Kopf. Obwohl er ganz genau weiß, dass der Michel nicht geküsst werden will.

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