Ave Maria. Gisela Sachs
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Das Phantom von Heilbronn hat schon wieder zugeschlagen. Dieses Mal wurde eine Leiche im Saarland gefunden.
Vor dem Hauptbahnhof steigert sich das Kommen und Gehen eiliger Menschen. Die Sonne blendet mich, ich sehe nur undeutlich die S4, die nach Öhringen fährt. Es sind kaum Leute in der Bahn. Im ersten der vier Waggons macht sich der Penner breit, der gerade eben noch in den Abfalleimern vor dem Bahnhof herumgestöbert hat.
Neben mir streiten sich lautstark zwei Nutten. Sie reißen sich heftig an ihren verfilzten zotteligen Haaren, zerkratzen ihre Gesichter mit ihren dreckigen langen Struwwelpeterfingernägeln. Elend und Fäulnis riecht aus ihren Klamotten.
Ich muss zurück ins Rentamt, verschafft sich ein Geistesblitz Gehör. Das ist nicht mehr meine Welt! Ich schaffe es gerade noch per Anhalter nach Schwaigern zu kommen, bevor die Zimmerstunde zu Ende ist und meine Arbeitszeit beginnt.
Links neben dem Haupteingang des alten Rentamts führen gepflasterte Steine, terrassenmäßig angelegt, steil nach unten zu einem weiteren Eingang. An der linken Innenwand befindet sich eine Holzklappe mit zwei Verschlägen. Ich hebe die Klappe hoch. Da war einmal ein Fenster? Das Loch ist mit zwei Eisenstäben abgesichert. An den Stäben sind beigefarbene Leinenbeutel mit Anglerschnur angebunden. Das sind die Säckchen, in welchen Pat sein Dope vertickt, erkenne ich verwundert und melde meinen Arbeitgebern sofort diesen Fund. Das Pächter-Ehepaar ist irritiert und die angeforderte Polizeistreife rasch da.
Bei der späteren DNA-Analyse stellte man eindeutige Spuren des
‚Phantoms von Heilbronn’ fest. Diese Spuren fand man in der gleichen Nacht bei einem weiteren Einbruch an einem abgebissenen Stück Keks.
»Wir brauchen die Weihnachtstage über Verstärkung, meint meine Chefin. Morgen früh um zehn Uhr wird sich ein junger Mann vorstellen. Sie sind schon soweit eingearbeitet, dass sie ihn in unser Haus einführen können. Wir sind sehr zufrieden mit ihnen.«
Mann oh Mann, was geht? Geil!
Mein Herz rast, als mir am nächsten Morgen Pat als mein neuer Arbeitskollege, den ich in das Haus einweisen soll, vorgestellt wird. Er hat abgenommen. Viel. Wirkt hager. Hat neue Zähne. Seine mit Gel bearbeiteten Haare sind sehr kurz geschnitten. Er trägt eine schwarze Stoffhose, ein weißes Hemd und schwarze Lederschuhe. Der war wohl auch bei Röther, denke ich. Pat sprüht nur so vor Charme. Wie früher.
Schweigend führe ich ihn durch das alte Gemäuer, zeige ihm das ehrwürdige Haus, den Innenhof, den Weinkeller, lasse ihn fragen, reden, gebe keine Antwort. Er will mir Dope verticken, rafft es nicht, dass ich clean bin, hält mir das Zeug immer wieder unter die Nase. Mit einer raschen Bewegung schlage es ihm aus der Hand. Pat grinst hämisch, als er das Leinensäckchen vom gepflasterten Boden aufhebt und in seiner Hosentasche verschwinden lässt.
»Dich krieg ich wieder«, sagt er beim langsamen Hochgehen und fasst mir in den Schritt. Ich bekomme sofort einen Steifen und werde wütend über die Macht, die Pat immer noch über mich hat. Wenn ich ihm jetzt eine in die Fresse haue, verliere ich meinen Job. Verrate ich ihn bei meinen Arbeitgebern, verrate ich mich selbst. Ich zähle bis 100, um mich zu beruhigen.
Pat wohnt im Zimmer neben mir und ich sehe und höre diesen Mistkerl bei Tag und bei Nacht. Sein Fernseher läuft so laut, dass ich die Nachrichten durch die Wände hören kann.
Das Phantom von Heilbronn ist eine Packerin aus Bayern, höre ich erstaunt. Ganz Deutschland war auf der Suche nach dem Phantom von Heilbronn. Es hätte Flügel haben müssen, um an 40 verschiedenen, weit auseinanderliegenden Orten in Baden Württemberg, Rheinland Pfalz, dem Saarland und Österreich präsent gewesen zu sein. 32 Verbrechen, darunter drei Morde, verteilt auf drei Staaten ließ Deutschland zittern. Wie man jetzt erst herausgefunden hat, stammen die DNA-Spuren von einer Fabrikarbeiterin eines Wattestäbchenherstellers, der die Polizei beliefert.
Manchmal klopft Pat nachts an meine Tür, will zu mir ins Bett. Ich habe Angst vor ihm und schließe mich ein.
Pat und ich müssen gemeinsam Zimtsterne backen. Er stellt sich geschickter an, als ich beim ersten Mal, werkelt und werkelt den Teig mit Begeisterung hin und her, rollt ihn in seinen Händen zu einer dicken Wurst und schaut mir dabei provokant in die Augen.
Mein Herz klopft wie wild, mein Magen zieht sich schmerzhaft zusammen, ich spüre einen Kloß im Hals und schäme mich über die Beule in meiner Hose.
Vollmond. Ein lautes Rumsen schreckt mich aus dem Schlaf. Erschrocken hüpfe ich aus dem Bett und schaue in den Gang vor meinem Zimmer, sehe Pat, der nackt umherwandelt, zielsicher die Küche anpeilt, mit einer Hand voll Zimtsternen zurückkommt und wieder schlafen geht. Es fühlt sich an wie früher.
Ich bin jetzt hellwach, mache einen Spaziergang rund um das Rentamt, laufe unruhig das ganze Gelände des Grafen Neipperg ab. Es ist weitläufig, dicht mit Büschen bepflanzt und mit Eisenstäben umzäumt, die wie Lanzen aussehen. Nur vereinzelt kann man einen winzigen Blick in den riesengroßen Park werfen. Ich höre eine Nachtigall singen.
Hinter der Holzklappe finde ich wieder diese Säckchen aus grobem Leinen. Ich schneide das Anglergarn durch, und sie verschwinden in die dunkle Tiefe des Kellers. Ich höre Ratten davonhuschen. Auf unserem Gang ist es ruhig. Pat scheint zu schlafen.
Aufgeregtes Hin und Her, geschäftiges Treiben, dann Türen schlagen, laute Stimmen und Geklapper aus der Küche haben unsanft viel zu früh meine Träume beendet. Verschlafen schaue ich aus dem Fenster, sehe zwei Polizeiautos auf dem Parkplatz davor. Dann klopft es auch schon heftig an meiner Zimmertür. Ich soll herunterkommen, befiehlt die Chefin.
Was ich heute Nacht in der Küche gemacht habe, fragt sie mich kalt. Die örtlichen Polizisten durchsuchen das Haus und werden in meinem Zimmer fündig. Die Süßwasserperlenkette der Chefin, auf die sie ganz stolz ist, steckt in einem meiner Frotteesocken. Daneben, unter dem Stapel bunter Boxershorts, liegen drei benutzte Spritzen, ein paar Leinensäckchen mit Dope und die fehlenden Scheine aus der Küchenkaffeekasse.
Unter meinem Bett finden sich zahllose andere Gegenstände, die in letzter Zeit auf mysteriöse Weise verschwunden waren und ich mache große Augen, als ein benutzter String meines Chefs zum Vorschein kommt. Die Finger des Polizisten bleiben daran kleben und der Beamte verzieht angeekelt sein Gesicht, rennt ans Waschbecken und schrubbt seine Finger, bis sie rotblau leuchten. Mir stockt der Atem. Pat und die Chefin tauschen Blicke, die ich nicht einordnen kann.
Ich werde fristlos entlassen, darf noch im Rentamt wohnen bleiben, bis ich ein neues Zuhause gefunden habe. Zum Essen gibt es aber hier nichts mehr für mich.
»Haben Sie eine Ahnung, was hier vorgeht?«, fragt meine Chefin einen der Polizisten.
»Ich darf ihnen leider keine Antwort auf ihre Frage geben, dafür ist Hauptkommissar Meckle zuständig.«
»Können sie sich das hier erklären Herr Meckle?«, fragt Frau Wolf süffisant.
»Ahnen oder wissen sie etwas?«
Ich lausche gespannt einer Antwort. Von Harald Meckle, dem Hauptkommissar und Pressesprecher der Polizei von Heilbronn habe ich schon einiges gelesen und gehört. Er leitet die Soko der ermordeten Polizistin Michèle Kiesewetter, sucht verzweifelt nach dem ‚Phantom von Heilbronn’.
»Wissen